Irans Religionsführer begnadigt Zehntausende Gefangene
5. Februar 2023Im Iran hat Religionsführer Ajatollah Ali Chamenei laut Staatsmedien Zehntausende Gefangene begnadigt. Der Schritt erfolgte anlässlich des Jahrestags der Islamischen Revolution von 1979, wie das Staatsfernsehen verkündete. Die Begnadigungen umfassten demnach Hafterleichterungen und Amnestien. Auch während der jüngsten Protestwelle inhaftierte Demonstranten seien von der Entscheidung betroffen, berichtete die Staatsagentur IRNA.
Gnadenakte mit Einschränkungen zum Geburtstag der Islamischen Republik
Die Begnadigungen erfolgten demnach auf Vorschlag des Justizchefs Gholam-Hussein Mohseni-Edschehi, der zuletzt einen harten Kurs gegen Demonstranten verfolgt hatte. Mehr als 500 Demonstranten wurden im Rahmen der Proteste getötet, rund 20.000 nach Schätzungen von Menschenrechtlern inhaftiert. Die Justiz steht nach der Vollstreckung von Todesurteilen gegen Demonstranten im Land und international in der Kritik.
Die Begnadigungen seien allerdings an Bedingungen geknüpft, berichtete IRNA weiter. Unter anderem werde keinen Gefangenen vergeben, denen Spionage für ausländische Behörden oder ein direkter Kontakt mit ausländischen Agenten zur Last gelegt werde. Auch Mord, Beschädigung oder Brandstiftung von Regierungs- oder Militäreinrichtungen schließe einen Gnadenspruch aus.
Am 11. Februar feiert die Islamische Republik ihr 44-jähriges Bestehen. Im Februar 1979 wurde die Monarchie im Iran nach der Rückkehr von Ayatollah Ruhollah Chomeini aus dem Pariser Exil nach Teheran gestürzt. Chamenei wiederum übernahm 1989 das Amt des politischen und religiösen Oberhaupts. Der inzwischen 83-Jährige hat in allen strategischen Belangen das letzte Wort.
Die politische Führung des Irans steht seit Ausbruch der landesweiten Proteste Mitte September 2022 unter enormem Druck. Der Tod der iranischen Kurdin Jina Mahsa Amini im Polizeigewahrsam stürzte Teheran in die schwerste politische Krise seit Jahrzehnten. Die 22-Jährige war vor fast fünf Monaten wegen Verstoßes gegen die islamischen Kleidungsvorschriften festgenommen worden.
Journalistin Elnas Mohammadi bei Gerichtsvorladung festgenommen
Unterdessen berichtete die iranische Zeitung "Entekhab", dass auch die Schwester der bekannten, seit Monaten inhaftierten Journalistin Elaheh Mohammadi festgenommen worden sei. Elnas Mohammadi, ebenfalls eine Journalistin, soll bei einer Gerichtsvorladung in Gewahrsam genommen worden sein. Der Grund für die Aktion ist noch unklar. Ihre Schwester Elaheh hatte als eine der ersten Journalistinnen im Iran über den Tod Aminis berichtet.
Nach Angaben des Komitees zum Schutz von Journalisten (CPJ) in New York wurden im Rahmen der Proteste fast 100 Medienschaffende festgenommen. Etwa die Hälfte von ihnen kam inzwischen auf Kaution frei. Auf einer Rangliste der Pressefreiheit der Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) liegt der Iran auf einem der letzten Plätze. Kritiker werfen der iranischen Führung vor, auch Familien inhaftierter Journalisten unter Druck zu setzen.
Reformpolitiker Mussawi für "freies Referendum" über neue Verfassung
Einer der wichtigsten Reformpolitiker im Iran, der frühere Regierungschef Mir Hossein Mussawi, forderte angesichts der anhaltenden Proteste einen "grundlegenden Wandel" in dem Land. "Der Iran und die Iraner brauchen und sind bereit für einen grundlegenden Wandel", schrieb der 80-Jährige in einer auf seiner Webseite veröffentlichten Erklärung. Die Grundzüge eines solchen Wandels seien bereits von der "Bewegung Frauen-Leben-Freiheit" vorgezeichnet, erklärte Mussawi mit Blick auf den wichtigsten Slogan der Demonstranten. Die derzeitige "Struktur" des iranischen Systems hält der bekannte Reformer für "unhaltbar" und schlägt daher ein "freies und faires Referendum" über eine mögliche neuen Verfassung vor. Wie bei der "Volksrevolution von 1979" hätten die Menschen "ein Recht auf grundlegende Überarbeitungen, um den Weg für Freiheit, Gerechtigkeit, Demokratie und Entwicklung" des Iran zu ebnen, erklärte Mussawi weiter.
Mussawi war bei der Präsidentschaftswahl 2009 gegen den erzkonservativen Mahmud Ahmadinedschad angetreten und hatte nach dessen Wiederwahl massiven Wahlbetrug angeprangert. Seit zwölf Jahren steht er gemeinsam mit seiner Ehefrau unter Hausarrest - ohne jemals angeklagt worden zu sein. Er gehörte seinerzeit zu den engsten Vertrauten von Ayatollah Chomeini. Von 1981 bis 1989 amtierte er als Regierungschef.
sti/qu (afp, dpa, rtr)