Staatsballett Berlin: Einigung im Rassismusstreit
22. April 2021Chloé Lopes Gomes hatte 2020 gegen das Auslaufen ihres befristeten Vertrags geklagt. Sie sah sich wegen ihrer Hautfarbe diskriminiert. Jetzt stimmten Staatsballett und Tänzerin einem gerichtlichen Vergleich zu. Danach bleibt die Ballerina ein weiteres Jahr beim Staatsballett angestellt und erhält außerdem eine Entschädigungszahlung von 16.000 Euro.
Das Staatsballett hatte die Nichtverlängerung der Ensembletänzerin ursprünglich mit künstlerischen Gründen begründet. Ob diese mit rassistischen Motiven verknüpft gewesen waren, hätte vor Gericht bewiesen werden müssen.
"Ich bin froh, dass wir uns heute einigen und den Rechtsstreit damit beenden konnten", so Christiane Theobald, kommissarische Intendantin des Staatsballetts. "Ich bedauere die von Chloé Lopes Gomes geschilderten Diskriminierungserfahrungen, die wir sehr ernst nehmen und in aller Tiefe aufarbeiten." Und weiter: "In der jetzigen Situation liegt auch eine große Chance zur Veränderung, es ist ein Weckruf.“
Rückblick: Die Klage der Chloé Lopes Gomes
Der Fall der dunkelhäutigen Tänzerin hatte international großes Aufsehen erregt: Sie habe sich wiederholt rassistische Kommentare der Trainingsleiterin anhören müssen, hatte Chloé Lopes Gomes öffentlich beklagt. Eine Schwarze im sogenannten Corps de ballet sei "nicht ästhetisch" und die Gruppe "dadurch nicht homogen". Die französische Tänzerin ist seit 2018 am Berliner Staatsballett beschäftigt - als erstes und bis heute einziges schwarzes Mitglied.
"Während dieser zweieinhalb Jahre stand ich unter der Supervision einer Ballettmeisterin, die sagte, dass das Ballett mich nicht nehmen sollte, weil ich schwarz bin - und eine Frau wie ich in einer Compagnie sei etwas Unästhetisches, Unhomogenes", so Lopes Gomes im Dezember 2020 gegenüber der DW. "Sie machte rassistische Witze und Kommentare."
Die Ballettmeisterin soll sie wiederholt rassistisch diskriminiert haben. So habe diese von Lopes Gomes verlangt, sich für Tschaikowskys Ballett "Schwanensee" weiß zu schminken.
Ein brisantes Thema, denn Whitefacing, also das Weißschminken von schwarzen Menschen, verstieß unter dem früheren Intendanten Johannes Öhman gegen die Hauspolitik des Balletts, in dem auch weitere People of Colour tanzten. Nachdem Öhman das Berliner Staatsballett im Dezember 2019 verlassen hatte, habe die Ballettmeisterin aber genau das von Lopes Gomes gefordert. "Ich fühlte mich gedemütigt, aber ich war vor allem sehr überrascht darüber, dass sie keine Angst vor einer Bestrafung hatte," erinnert sich die 29-jährige Französin.
Lopes Gomes hatte Öhman vor dessen Weggang informiert. Obwohl der Intendant von ihren Aussagen offensichtlich erschüttert gewesen sei, habe er erwidert, dass staatliche Ballettmeisterinnen mit lebenslangen Verträgen abgesichert seien und wenig getan werden könne. Tänzerinnen und Tänzer wiederum haben nur befristete Verträge. "Damals machte ich mir Sorgen, dass es schlimmer würde, falls er mit ihr spräche", so die Tänzerin gegenüber der DW. Daher ging sie mit ihrem Fall erst an die Öffentlichkeit, als sie wusste, dass ihr Vertrag nicht verlängert werden würde.
"Jegliche Form von Diskriminierung nicht tragbar"
Die Intendanz des Berliner Staatsballetts wollte sich damals auf DW-Anfrage nicht zu dem Fall äußern. In einem Statement zu den Rassismus-Vorfällen hieß es: "Jegliche Form von Diskriminierung und Rassismus sind in unserer Compagnie nicht tragbar." Man habe gedacht, die internationale Diversität - schließlich arbeite man mit 91 Tänzerinnen und Tänzern aus mehr als 30 Nationen zusammen - sensibilisiere "bereits ausreichend für Rassismus- und Diskriminierungsproblematiken".
Das war wohl nicht der Fall. Deshalb können sich seit Dezember alle Beschäftigten des Staatsballetts anonym an eine externe Clearingstelle wenden, um eigene Erfahrungen und Wahrnehmungen zum Thema Diskriminierung zu berichten.
Außerdem erscheine mit Blick auf die Zukunft, die "Möglichkeit, unsere Compagnie neu auszurichten und nach vorn zu sehen, auch um eine geschützte und wertschätzende Atmosphäre für alle Mitarbeiter*innen, vom Corps de Ballet über die Ersten Solist*innen bis hin zur Produktion und Verwaltung, zu schaffen." Die Untersuchung betreffe auch das Repertoire, "überholte und diskriminierende Aufführungsweisen" sollen entlarvt, "Traditionen in neuem Licht und mit anderem Bewusstsein" gesehen und neu bewertet werden. Die Intendanz ist sich bewusst darüber, dass "das Ballettgenre People of Colour im Laufe seiner Geschichte marginalisierte."
Protest gegen Blackfacing im Brauchtum
Im Fall von Lopes Gomes ist Whitefacing problematisch, weil es von ihr eine Anpassung an die weiße Mehrheit einfordert - einst Maßstab beim klassischen Ballett. Die umgekehrte Art, das Blackfacing, ist ebenfalls eine Praxis der darstellenden Künste - und ebenfalls umstritten, etwa beim Karneval. "Schwarze Menschen werden auf ihre Hautfarbe und stereotype Merkmale wie Perücken und Ohr- oder Nasenringe reduziert. So sehen schwarze Menschen aber nicht aus", sagte Tahir Della von der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD) der DW in einem früheren Interview.
Blackfacing hat seinen Ursprung im 19. Jahrhundert bei den sogenannten Minstrel-Shows in den USA, die die Sklaverei verharmlosten. Weiße Schauspieler stellten klischeehaft schwarze Sklaven dar, malten sich dafür dunkel an und zeichneten sich übertrieben dicke Lippen.
Blackfacing im klassischen Ballett
Auch das zum Kernrepertoire des klassischen Balletts gehörende Stück "La Bayadère" ist in der Debatte um das Blackfacing in die Kritik geraten. Das Liebesdrama einer indischen Tempeltänzerin wurde 1877 am St. Petersburger Mariinksi-Theater uraufgeführt. Geschrieben für russisches Publikum, sollte es durch den Handlungsort und die Charaktere zwar ein Bild von Indien und seiner Geschichte vermitteln, aber nicht die indische Kultur repräsentieren.
Musik und Choreografie weisen orientalische Einflüsse auf, doch die üblichen Adagios und Walzer halten an der klassischen Technik fest. Dennoch: Um weiße Tänzerinnen und Tänzer als indisch erkennbar zu machen, wurden sie gelegentlich dunkel bemalt. An dieser Tradition halten manche Häuser heute noch fest.
Ballett-Star Misty Copeland, die 2015 als erste Afroamerikanerin Primaballerina des American Ballet Theatre wurde, positioniert sich gegen dieses Blackfacing. Unter ein auf Instagram geteiltes Bild von dunkel geschminkten Tänzerinnen des russischen Bolschoi Theaters schrieb sie den Kommentar: "Und das ist die Realität der Ballettwelt."
Tänzerinnen und Tänzer unter Druck
Copeland kann sich eine solche Kritik erlauben. Sie muss nicht wie ihre weniger berühmten Tanzkolleginnen und -kollegen um ihre Karriere bangen. Die Konkurrenz im Ballett ist groß, darum möchte kaum einer negativ auffallen.
Friedrich Pohl, Geschäftsführer beim Tänzernetzwerk Dancersconnect sieht darin ein wiederkehrendes Muster: "Künstler und Künstlerinnen tanzen ja auf ständig befristeten Verträgen. Für die Nichtverlängerung dieser Verträge reichen künstlerische Gründe. Die Tänzer und Tänzerinnen stehen deswegen unter Druck und sind unverhältnismäßig unterlegen. Es kommt immer wieder dazu, dass Leute sich erst im Zuge einer Nichtverlängerung äußern." Pohl fordert deswegen, dass sich die leitenden Personen darüber bewusst werden. Zudem sollten Kettenbefristungen hinterfragt und mit weitreichenden Maßnahmen zum Schutze der Künstlerinnen und Künstler erschwert werden.
#BlackDancersMatter: Manifest gegen Rassismus im Ballett
Ganz unabhängig davon, ob die Vorfälle in Berlin tatsächlich so geschehen sind - Lopes Gomes' Rassismusvorwürfe wurden in der Ballettwelt gehört. Und auch außerhalb von Deutschland wurde man auf die Vorfälle aufmerksam. So teilte Primaballerina Misty Copeland einen Artikel der britischen Zeitung "The Guardian" über Lopes Gomes' Vorwürfe auf Twitter.
Auch in Paris wurden in dem von der Bewegung #Black Lives Matter geprägten Jahr Stimmen gegen rassistische Strukturen laut. Im Herbst 2020 veröffentlichten fünf Tänzer der Pariser Oper ein Manifest gegen Rassismus im Ballett. Das von Guillaume Diop, Letizia Galloni, Jack Gasztowtt, Awa Joannais und Isaac Lopes Gomes verfasste Dokument zielt darauf ab, die "Rassendiskriminierung aus dem Schweigen zu lösen, das sie in der Oper umgibt."
Die Stigmata der Rassendiskriminierung seien in der französischen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts nach wie vor präsent. Diese machten auch vor der Oper keinen Halt. Das Manifest - unterschrieben wurde es von 400 der knapp 2000 Angestellten der Pariser Oper - fordert die "offizielle und endgültige Abschaffung des Blackfacing in Balletten und Opern".
Außerdem sollten schwarze Tänzerinnen und Tänzer Ausstattung und Kleidung wie beispielsweise Strumpfhosen erhalten, die zu ihrem Hautton passen. Laut der Pariser Oper sollen die Accessoires farblich bald nuancierter ausfallen, und auch hier solle eine Untersuchung den im Manifest aufgeworfenen Fragen im Zusammenhang mit Rassismus innerhalb der Ballettkompanie nachgehen.
Dies ist die aktualisierte Fassung eines Artikels vom 11.12.2020.