St. Pauli pinkelt zurück
9. März 2015Die Reeperbahn mit ihren Seitenstraßen im Hamburger Stadtteil St. Pauli ist mit ihren Theatern, Bars, Kneipen, Diskotheken, Nachtclubs und Sex-Shops eine der Attraktionen der zweitgrößten deutschen Stadt. Pro Jahr kommen etwa 20 Millionen Besucher - vor allem abends und nachts. Doch mit der Dunkelheit und zunehmenden Alkoholpegel fallen bei vielen Partywütigen die Hemmungen. Wenn der Druck in der Blase steigt, stehen unzählige Männer breitbeinig vor Häuserwänden, begleitet von einem leichten Plätschern. Den Bewohnern von Sankt Pauli stinkt es - im wahrsten Sinne des Wortes. Sie wollen die Wildpinkler nun disziplinieren.
Viele Besucher würden den Kiez für das "Eldorado des schlechten Benehmens" halten und vergessen, dass es auch ein Wohnviertel ist, schimpft Quartiermanagerin Julia Staron. Es könnte zugegebenermaßen mehr öffentliche Toiletten geben, räumt die 44-Jährige ein. "Allerdings haben wir auch sehr viele Gäste, die sich für die angebotenen Toiletten nicht interessieren und eher von draußen dran pinkeln."
Hilfe aus dem Schiffs- und Flugzeugbau
Die Frau mit den kurzen blonden Haaren und dem fröhlichen Lachen kümmert sich im Auftrag der Geschäftsleute und der Hausbesitzer um die Probleme in St. Pauli - also auch um die Wildpinkler. Gemeinsam mit Kollegen und mit einer Werbeagentur überlegte die Quartiesmanagerin, was zu tun sei. Beim Brainstorming sei jemanden eingefallen, dass es im Schiffs- und Flugzeugbau einen Speziallack gebe, von dem einfach alle Flüssigkeiten abperlen. Derart lackierte Wände würden nicht nur geschützt, Urin müsste auch zum Verursacher zurückspritzen, so die Überlegung. "Wir haben es getestet, natürlich noch nicht überall, aber an ein paar Punkten und haben festgestellt, es funktioniert", erinnert sich Staron.
Aber St. Pauli wäre nicht St. Pauli, wenn nun die neuralgischen Punkte klammheimlich mit dem teuren Lack behandelt worden wären. Typisch derb, so wie der Charme des Viertels, ersannen Staron und ihre Kompagnons die Kampagne "St. Pauli pinkelt zurück". Sie druckten Schilder, die demnächst aufgehängt werden, mit deutscher und englischer Aufschrift: "Hier nicht pinkeln - wir pinkeln zurück!" Sie ließen ein professionelles #link:http://youtu.be/uoN5EteWCH8:Internetvideo# drehen, der die Wildpinkler humorvoll vor nassen Füßen und Hosen warnt. Die lackierten Flächen seien zum einen leichter sauber zu halten, sagt Staron. "Das andere ist, dass wir mit den Schildern den Gästen auch sagen, dass wir das nicht wollen."
Millionen Klicks für Internetvideo
Die Aktion "St. Pauli pinkelt zurück" ist ein voller Erfolg: Nach nur einer halben Woche wurde das Internetvideo zwei Millionen Mal angeklickt und Julia Starons Telefon steht nicht mehr still: "Das Münchner Oktoberfest hat sich gemeldet, auch Bonn und Köln wegen der Karnevalsproblematik." Selbst aus Russland und Singapur habe es Reaktionen gegeben. "Wir waren vielleicht die Ersten, die es öffentlich gemacht haben oder so laut geworden sind bei dem Thema. Aber das Problem gibt es wohl an ganz vielen Orten auf dieser Welt."
Aber St. Pauli wäre nicht St. Pauli, wenn die Initiatoren es nun dabei bewenden ließen. Ende März soll es eine Pinkelkarte geben - eine Art Bonusheft zum Abstempeln: "Wir haben uns überlegt, wir wollen diejenigen, die sich gut benehmen, auch belohnen. Das heißt, wer sechs Mal eine ordentliche Toilette benutzt hat, der bekommt noch einen Schnaps", sagt Staron und lacht.
Das nächste Problem wartet schon
Auch soll auf dem Nachtmarkt - ein ungewöhnlicher Wochenmarkt im Herzen St. Paulis, der bis 23 Uhr geöffnet ist - der Lack verkauft werden. Das Schild "Hier nicht pinkeln - wir pinkeln zurück" bekommt jeder Käufer eines Lackkanisters gratis dazu. Staron rechnet damit, dass die Schilder, die man auch ohne Lackkanister bald kaufen kann, reißenden Absatz finden werden - ebenfalls im wahrsten Wortsinn. Die Quartiersmanagerin und ihre Mitinitiatoren tüfteln derzeit daran, wie die an den lackierten Wänden befestigten Schilder vor Langfingern auf Souvenirjagd geschützt werden können. Aber auch hierfür werden sie eine Lösung finden, denn St. Pauli wäre nicht ...
Aber das wissen Sie ja schon.