Sri Lanka auf dem Weg in einen neuen Krieg
19. Januar 2006"Wir sind hier, um einen Waffenstillstand zu überwachen - und keinen Krieg", sagt Helen Olafsdottir, Sprecherin der Beobachtermission der nordischen Staaten (SLMM) in Sri Lanka. Doch im Norden und Osten der Insel, wo die Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) einen eigenen Staat für die tamilische Minderheit anstreben, ist von dem vier Jahre alten Waffenstillstand immer weniger zu spüren: Die Gewalt nimmt stetig zu, seit Anfang Dezember 15 Soldaten bei zwei Anschlägen starben. Insgesamt kamen im Dezember 45 Angehörige der Sicherheitskräfte ums Leben - die höchste Zahl seit 2002.
Nach einem Bombenanschlag auf einen Marinebus, der zwölf Soldaten das Leben kostete, und einer anschließenden Schießerei mit zwei Toten entschied die SLMM am Dienstag (17.1.2006), die Arbeit im Nordosten der Insel vorübergehend einzustellen. Es sei richtig, dass die fehlende Überwachung den Konflikt anheizen könnte, sagt Helen Olafsdottir. Aber Island und die skandinavischen Staaten seien nicht bereit, die entsandten Beobachter zu gefährden. Sobald die Lage es zulasse, würden die SLMM-Mitarbeiter ihre Arbeit wieder aufnehmen. "Wir sollten nicht zu pessimistisch sein", sagt Olafsdottir. "Immerhin haben die beiden Seiten keine offenen Kampfhandlungen aufgenommen."
Verhärtete Fronten
Viele Beobachter bezweifeln indessen, dass es dabei bleibt. Auch UN-Generalsekretär Kofi Annan äußerte sich Anfang der Woche "sehr besorgt" über die Lage und rief Regierung und Rebellen auf, den Waffenstillstand einzuhalten, die Menschenrechte zu respektieren und an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Doch dafür sind die Voraussetzungen denkbar schlecht: Seit November regiert mit Mahinda Rajapakse ein Präsident, der für eine harte Linie steht. Zwar bot Rajapakse, der mit der Unterstützung zweier ultranationalistischer Parteien gewählt worden war, den LTTE Gespräche an - doch eine Autonomie für die Tamilen-Gebiete lehnt er ab.
Paradoxerweise war es die LTTE, die den Hardliner ins Amt gehievt hatte. Während die Rebellen offiziell neutral blieben, riefen die zivilen Unterorganisationen der LTTE zum Wahlboykott auf. "Zwischen den Kandidaten gibt es keinen Unterschied - sie werden das Tamilen-Problem genauso wenig lösen, wie die vorherigen Präsidenten", sagte ein LTTE-Sprecher vor der Wahl gegenüber DW-WORLD. Der Boykott trug dazu bei, dass Rajapakse knapp vor Ranil Wickramasinghe gewann, der für eine Wiederaufnahme des Friedensprozesses geworben hatte. Beobachter sahen in in der Wahlhilfe einen Hinweis, dass die Befreiungstiger wieder einen offenen Bürgerkrieg anstreben. Dies scheint sich mit der Zunahme der Gewalt nun zu bestätigen.
Rettungsversuch aus Norwegen
Die Angriffe auf Soldaten, die trotz aller Dementis anscheinend von den LTTE organisiert werden, sorgen in den Tamilen-Gebieten für eine wachsende Polarisierung. Zu dem angespannten Klima tragen auch Demonstrationen gegen die Regierungstruppen unter dem Slogan "Verschwindet oder werdet vertrieben" bei. "Die LTTE versuchen, einen Gegenschlag zu provozieren", glaubt Jehan Perera vom Nationalen Friedensrat in Colombo. Bislang habe die Regierung zwar eine erstaunliche Zurückhaltung gezeigt, doch einzelne Soldaten würden ihre Wut zunehmend an der Zivilbevölkerung auslassen.
"Es sieht definitiv so aus, als rutsche das Land wieder in einen Bürgerkrieg", sagt Paikiasothy Saravanamuttu, Direktor des Thinktanks "Zentrum für Politikalternativen" (CPA) in Colombo. Doch eine realistische Einschätzung der Situation sei erst nach dem Besuch von Erik Solheim möglich. Der norwegische Sondergesandte, der den Friedensprozess seit 2000 begleitet, kommt am Montag (23.1.) nach Sri Lanka, um zu versuchen, das Waffenstillstandsabkommen zu retten. Solheim wird unter anderem Präsident Rajapakse und den LTTE-Chef Velupillai Prabhakaran treffen.
Letzte Möglichkeit
"Solheims Besuch ist die letzte Möglichkeit, den Trend umzukehren", glaubt der Friedensaktivist Perera. Denn durch den Besuch könne die Regierung eine Rückkehr an den Verhandlungstisch mit der norwegischen Initiative erklären - und so bei ihren Anhängern den Eindruck zu vermeiden, sie reagiere auf den Druck der LTTE.
Die gegenwärtigen Angriffe seien auch eine Folge davon, dass die Bürgerkriegsparteien seit zwei Jahren nicht mehr miteinander gesprochen hätten, sagt Helen Olafsdottir von der Beobachtermission. Nun dränge die Zeit, denn ein neuerlicher Beginn des Bürgerkrieges drohe auch dann, wenn dies keine der beiden Seiten wolle: "Die Situation kann schnell so weit eskalieren, dass sie außer Kontrolle gerät."