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"WM nicht auf Rücken von Arbeitsmigranten austragen"

Sven Pöhle28. Mai 2015

Trotz Reformversprechen aus Katar hat sich an den Bedingungen der Gastarbeiter in dem Austragungsland der WM 2022 wenig geändert, kritisiert Regina Spöttl von Amnesty International. Schuld daran trage auch die FIFA.

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Symbolbild WM-Baustellen in Katar (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/B. von Jutrczenka

Deutsche Welle: Nach einer Vielzahl von Berichten über die schlechten Arbeitsbedingungen in Katar, wo 2022 die Fußball-WM stattfinden soll, hat die Regierung des Wüstenstaates im Mai 2014 Reformen angekündigt, um das Los der Gastarbeiter zu verbessern. Was hat sich seitdem getan?

Regina Spöttl: Leider herzlich wenig. Von den minimalen Reformen, die Katar letztes Jahr versprochen hat, ist nur sehr wenig umgesetzt worden. Zum Beispiel ist offenbar ein System auf dem Weg, wonach jeder Arbeitnehmer ein Bankkonto bekommt und die Gehälter dann automatisch einbezahlt werden können. Das läuft wohl an, ist aber bei weitem noch nicht implementiert. Außerdem hatte Katar versprochen, dass Kafala-System zu reformieren. Aber das ist bislang nicht passiert.

Wie wirkt sich dieses System auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Gastarbeiter aus?

Es ist ein Hinderungsfaktor für die Menschenrechte. Das Kafala-System besagt, dass jeder Arbeitnehmer, der in Katar arbeiten möchte, einen Bürgen braucht, der für ihn die Einreise regelt und ihm danach eine Arbeitserlaubnis ausstellt. Das Problem bei dem System in Katar ist, dass jeder Arbeitnehmer, der das Land verlassen oder innerhalb von Katar den Arbeitgeber wechseln möchte, das Einverständnis des alten Arbeitgebers braucht. Das bekommt er natürlich nur sehr selten. Da hätte die Regierung anzusetzen und müsste sagen: Jeder hat das Recht, seinen Arbeitgeber zu wechseln oder das Land zu verlassen.

Regina Spöttl
Regina Spöttl, Amnesty InternationalBild: privat

Aus dem Ministerium für Arbeit und Soziales in Katar hieß es letzte Woche, man habe "bedeutende Veränderungen" eingeleitet. Dort erklärte man: "Niemand soll daran zweifeln, dass wir uns für spürbare und nachhaltige Veränderungen engagieren". Bezweifeln Sie den Reformwillen?

Über den Willen möchte ich gar nicht spekulieren. Fakt ist: Es geht viel zu langsam. Und es bleibt immer bei diesen Versprechungen und vollmundigen Pressekonferenzen, auf denen es heißt: "Jetzt wird alles besser". Wir wollen endlich mal Taten sehen und zwar jetzt, denn bis 2022 ist nicht mehr so weit hin.

Taten fordern sie nicht nur von Katar, sondern auch vom Weltfußballverband FIFA. Was müsste der Verband ihrer Ansicht nach tun?

Die FIFA ist der Ausrichter der WM 2022 und mitverantwortlich für eine gute Abwicklung. Aber auch für faire und gute Arbeitsbedingungen für die vielen Menschen, die dieses Großereignis erst möglich machen. Neben etwa 280.000 Kataris leben jetzt schon zwischen 1,5 und 1,7 Millionen Arbeitsmigranten im Land. Die Zahl steigt. Wir vermuten, dass in den nächsten Jahren bis zu 2,5 Millionen Arbeitnehmer aus den armen südostasiatischen Ländern in Katar sein werden. Für die müssen einfach bessere Verhältnisse geschaffen werden. Da muss die FIFA Verantwortung übernehmen.

Denken Sie, dass ihr Anliegen angesichts der aktuellen Probleme der FIFA auf der derzeit stattfindenden Hauptversammlung des Verbands eine wichtige Rolle spielen wird?

Ich hoffe, dass die drei großen Themen, mit denen sich die FIFA in letzter Zeit beschäftigt hat - nämlich a) Fußball im Winter, b) der Korruptionsskandal und c) die Lage der Arbeitsmigranten - dass die gleichwertig diskutiert werden. Wie sich das nach der heutigen Nachrichtenlage gestaltet müssen wir abwarten. Ich hoffe, dass die Menschenrechte nicht hinten runter fallen. Wir werden alles dafür zu tun, der FIFA das nochmal ins Gedächtnis zu rufen.

Von Seiten des Sports heißt es häufig, man sei nicht in der Lage, Gesellschaftssysteme zu verändern. Was könnte man denn konkret tun?

Man könnte die Vergaberichtlinien ändern. Man müsste im Vorfeld untersuchen, ob ein Staat eine gute Menschenrechtsbilanz hat oder zumindest einen Willen dafür entwickelt, die Menschenrechte zu verbessern. Dann müsste man in die Vergaberichtlinien einen Passus einfügen, dass eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Vergabe der Fußball-WM die Wahrung der Menschenrechte ist - für alle im Land.

In Katar machen neben internationalen Firmen auch viele deutsche Unternehmen gute Geschäfte. Welchen Einfluss könnten diese auf die Situation vor Ort nehmen?

Häufig ist es ja so, dass die deutschen oder die US-Firmen durchaus gute Standards haben und ihre Arbeiter bezahlen und gut unterbringen. Aber was die Subunternehmer machen, entzieht sich oft deren Kenntnis. Da müsste man ansetzen. Man müsste durch das ganze System sicherstellen, dass die Menschenrechte gewahrt werden, dass die Menschen ihre Arbeit gut machen können unter guten Bedingungen. Und dann könnte man so ein schönes großes Sportereignis auch richtig genießen. Die WM darf nicht auf dem Rücken von Millionen ausgebeuteter Arbeitsmigranten ausgetragen werden.

Regina Spöttl ist bei Amnesty International Expertin für die Golfregion.

Das Interview führte Sven Pöhle.