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Europawahlkampf 2.0

Sabrina Pabst29. Januar 2014

Europas Grüne haben alle EU-Bürger im Internet über ihre Spitzenkandidaten für die Europawahl abstimmen lassen. Das gewagte Experiment endete in einem Fiasko.

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Bild: picture-alliance/European Green Party/Ho

Bei der Vorstellung der vier Kandidaten für die Europawahl im November herrschte noch sichtlich gute Laune bei den europäischen Grünen. Bei der Verkündung der Sieger zwei Monate später ist die Stimmung dann deutlich gedämpfer. Selbst die beiden Gewinner Franziska Keller und José Bové sind kaum in Feierlaune. Die Enttäuschung ist ihnen anzusehen. Kaum mehr als 22.000 EU-Bürger haben das grüne Mobilisierungsexperiment "Green Primary" genutzt, mit dem aus vier Kandidaten das grüne Spitzenduo für den Europawahlkampf online gewählt werden konnte - bei insgesamt 375 Millionen Wahlberechtigten in der gesamten EU ein ziemlicher Flop. Die Grünen hatten sich ursprünglich das Ziel gesetzt, mindestens 100.000 Teilnehmer zu mobilisieren. "Wir haben mit "Green Primary" einen wichtigen Trend richtig verstanden und uns damit an die Spitze gesetzt", verteidigt Reinhard Bütikofer, Chef der europäischen Grünen, das basisdemokratische Projekt. "Wir wollten die wachsende Kluft zwischen Bürgern und politischen Institutionen reduzieren. Das ist uns gelungen", sagte er im DW-Interview.

Und tatsächlich klang das Konzept der Online-Nominierung zukunftsweisend: Jeder, der älter als 16 Jahre ist und innerhalb der Europäischen Union wohnt, hatte auf der Online-Plattform drei Monate lang die Möglichkeit, die Gesichter für den europaweiten Wahlkampf der Grünen-Fraktion im Europäischen Parlament zu wählen. Es genügte, per Mausklick zu bestätigen, dass der Teilnehmer den Grünen nahesteht. Keine Parteimitgliedschaft, kein Urnengang – Politik für jeden, bequem vom Sofa aus.

Unbekannte Gesichter werben für Europas Grüne

Die vier grünen Spitzenkandidaten Monica Frassoni aus Italien, José Bové aus Frankreich und Rebecca Harms und Franziska Keller aus Deutschland stellten sich der Online-Abstimmung. Doch wie sollten diese in vielen europäischen Ländern eher unbekannten Europapolitiker Wähler an die Rechner locken? Zumal sich auch ihre Konzepte für den Europawahlkampf kaum unterscheiden, sondern jeder von ihnen nur unterschiedliche Prioritäten setzt: Rebecca Harms auf Energiepolitik und Anti-Atomkraft, Franziska Keller auf die Flüchtlingspolitik und den Außenhandel. José Bové ist ein versierter Agrarpolitiker, Monika Frassoni will das Gewicht wieder stärker auf die Nationalstaaten legen.

Der Politologe Kai Arzheimer. Foto: dpa/dls
Arzheimer: E-Voting als Verfahren der ZukunftBild: picture-alliance/dpa

Trotz der kümmerlichen Beteiligung spricht der Politikwissenschaftler Kai Arzheimer von einem interessanten Experiment: Per Mausklick mehr Mitbestimmungsrecht für EU-Bürger – das sei ein Schritt in die richtige Richtung: "Dass das in der ersten Runde nicht besonders viel Zuspruch gefunden hat, ist eigentlich nicht erstaunlich," meint der Wahlforscher. Denn wer nicht aufmerksamer Besucher einschlägiger Grünen-Websites sei, habe von dem E-Voting vermutlich überhaupt nichts mitbekommen. "Die Grünen hätten das offensiver vermarkten und die Medien mehr darüber berichten müssen. Dann wäre auch die Beteiligung höher gewesen", sagte der Politologe der DW. Gerade mal 13.000 Euro standen der European Greens Party (EGP) für dieses Projekt zur Verfügung. "Der Sinn dieser Maßnahme war es, Aufmerksamkeit zu generieren. Das hat nur nicht geklappt".

Kümmerliches Ergebnis - ja, Politikverdrossenheit - nein

Es dürften dennoch keine voreiligen Schlüsse aus dem entmutigenden Ergebnis gezogen werden:"Die Bürger sind nicht politikverdrossen, aber sie sind anspruchsvoller geworden", meint Arzheimer. "Sie wollen die Möglichkeiten haben mitzureden. Ob sie es dann tatsächlich tun, ist eine andere Frage."

Die drei Grünen-Spitzenkandidaten Monica Frassoni, Rebecca Harms und Ska Keller bei einer Diskussionsrunde der Grünen
Auch offline debattieren die Spitzenkandidaten der Europa-Grünen (v.l.Frassoni, Harms, Keller) mit EU-BürgernBild: picture-alliance/dpa

In anderen Ländern Europas finden solche E-Votings regelmäßig statt - etwa in Estland oder auch der Schweiz. In der EU werden schon lange unterschiedliche Abstimmungsverfahren getestet. In Deutschland dagegen haben Online-Votings eher schwierige Ausgangsbedingungen, meint Wahlforscher Kai Arzheimer. Verglichen mit nordeuropäischen Ländern und auch den baltischen Staaten lägen die Deutschen bei der Internetnutzung derzeit noch weit hinten. "Außerdem gibt es hierzulande viele rechtliche Bedenken, weil man nicht weiß, ob die Wahl wirklich sicher ist: Ob die Anonymität gewährleistet werden kann und ob Manipulationen ausgeschlossen sind."

Europäischer Wahlkampf gegen nationale Kandidaten

"Die europäische Demokratie stärken können am Ende nicht neue Tools, sondern nur eine echte Ausweitung der Mitbestimmungsmöglichkeiten von EU-Bürgern", meint Julia Reda, Vorsitzende der Jungen Piraten Europa. Für die Piratenpartei sind basisdemokratische Online-Abstimmungen selbstverständlich. Dem Verfahren der Grünen müsse man zu Gute halten, dass mit der Online-Nominierung ein echter länderübergreifender Europawahlkampf geführt werde und nicht 28 nationale.

"Allerdings könnte man den Grünen vorwerfen, dass das ganze Verfahren in Wahrheit eine Mogelpackung ist: Denn es ist fraglich, ob das frisch gewählte Spitzenduo Keller-Bové tatsächlich ins Europäische Parlament kommt. Die Kandidaten werden von den nationalen Grünen aufgestellt und von den EU-Bürgern in den entsprechenden Ländern, also Deutschland und Frankreich, gewählt. Ein echtes Hindernis für einen europäischen Wahlkampf, meint auch die Piratin Julia Reda.

Julia Reda, Vorsitzende der Jungen Piraten Europa in Brüssel. Foto: dpa.
Reda: "Wir brauchen einen länderübergreifenden Europawahlkampf, nicht 28 nationale"Bild: imago/M.Golejewski/Future.Image

Genau in diesem Punkt räumt Reinhard Bütikofer, der Chef der europäischen Grünen in Brüssel, die Schwachstelle für dieses Wahl-Debakel ein: Die Aktion ist zentral in Brüssel geplant worden - aber ausgeführt und beworben werden musste sie an der grünen Basis vor Ort. Und dort sei man oft wenig begeistert gewesen: "Da haben wir erlebt, was in der Europapolitik fast schon typisch ist: Plötzlich kommt aus Brüssel eine Einmischung in die örtliche grüne Arbeit, und auf einmal ist Europa nicht mehr weit weg, sondern landet vor der Haustür. "

Ein echter europäischer Wahlkampf, so Bütikofer, könne nur dann stattfinden, wenn es auch eine gemeinsame Kandidatenliste der europäischen Parteien gäbe - doch für eine solche Lösung zeigen die anderen derzeit im EU-Parlament vertretenen Parteien nur wenig Sympathien.