Spießrutenlauf im EU-Parlament
27. September 2004Hart, aber fair wollen die Parlamentarier die neuen EU-Kommissare in die Mangel nehmen. Das haben die Fraktionen im Vorfeld des zweiwöchigen Anhörungsmarathons angekündigt. 24 Kommissare müssen sich dem Kreuzverhör in den zuständigen Ausschüssen stellen. Kommissionspräsident José Manuel Barroso ist bereits vor der Sommerpause vom Parlament bestätigt worden.
Eine Minute fragen, zwei Minuten antworten
Nur einige wenige alte EU-Kommissare, wie der deutsche Vertreter Günter Verheugen, bleiben in Brüssel. Die meisten Spitzen der europäischen Verwaltung sind neu, haben aber zu Hause bereits Ministerämter bekleidet oder Regierungen geleitet, wie etwa der ehemalige tschechische Ministerpräsient Vladimir Spidla. Er musste kürzlich in Prag seinen Hut nehmen und soll nun in Brüssel Kommissar für Beschäftigung, Soziales und Chancengleichheit werden. Er machte den Anfang bei den Befragungen, die intern von den Parlamentariern auch gerne "Grillfest" genannt werden.
"Ich bin ein entschlossener Verfechter der europäischen Integration. Denn dieses europäische Projekt ist ein einzigartiger Beitrag der Völker zur politischen Demokratie", gab Spidla zum Besten. Nach diesem grundsätzlichen Bekenntnis sprach er sich für die Schaffung von Arbeitplätzen aus. Die Beschäftigungsquote in der EU müsse auf 70 Prozent angehoben werden. Die Abgeordneten hatten dann jeweils eine Minute Zeit, um Fragen zu stellen, Spidla durfte zwei Minuten anworten. Das verbale Ping-Pong-Spiel dauerte drei Stunden.
Alles muss raus
Vor den mündlichen Befragungen mussten die neuen Kommissare einen schriftlichen Fragebogen ausfüllen und ihr ungefähres Regierungsprogramm umreißen. Außerdem wurden alle genötigt, ihre Taschen umzukrempeln und ihre Vermögen und Einkünfte offenzulegen, um mögliche Interessenkonflikte aufspüren zu können. Besonders kritisch ist dieser Punkt für die designierte Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes, sagte die Vorsitzende des Parlamentsausschusses für Wirtschaftsfragen, Pervenche Berès.
"Neelie Kroes war in Aufsichtsräten zahlreicher Unternehmen tätig, die direkt oder indirekt von den Aktivitäten des Kommissars für Wettbewerb betroffen sind. Deshalb ist es ein berechtigtes ethisches Anliegen, die Kommissarin zu durchleuchten", so Berès. Die resolute Niederländerin Kroes musste sich denn auch von ihren lukrativen Beraterposten und millionenschweren Aktienpaketen trennen. Falls Entscheidungen anstehen, die einen ihrer früheren Brötchengeber betreffen, will sie ihre "Befangenheit" erklären und kein Votum abgeben. Viele Abgeordnete stellen ihre Unabhängigkeit trotzdem in Frage.
Befähigt oder nicht?
Auch die politische Vergangenheit einiger Kommissare aus den neuen osteuropäischen Mitgliedsländern sowie die fachliche Eignung einiger Kandidaten werden bei den Anhörungen eine Rolle spielen. So hat zum Bespiel der deutsche EU-Kommissar Günter Verheugen, der bislang für die Ost-Erweiterung zuständig war, viel Erfahrung in Sachen Brüsseler Diplomatie und Arbeitsweise gesammelt. Von seinem neuen Ressort "Industrie und Unternehmen" hat er aber noch keine Ahnung - Verheugen übernimmt den Bereich auf Druck der Bundesregierung.
Der Vorsitzende des Industrieausschusses, Glies Chichester, kündigt einen gründlichen Test für Verheugen an. "Wir werden seine Absichten testen und ich höre, er freut sich darauf", erklärte er spitzbübisch. Kritische Fragen werden auch zum liberalen Wirtschaftskurs der Kommission erwartet, die Wachstum und Innovation im Rahmen der so genannten Lissabon-Agenda zu ihrem Schwerpunkt machen will. "Ich möchte von Herrn Verheugen hören, wie er die Lissabon-Agenda mit Leben erfüllen will, die bislang hauptsächlich aus Worten, aber nicht aus Taten bestand", kündigt Chichester an.
"Grillfest" live im Netz
Ende Oktober 2004 wird das Parlament über die neue Mannschaft abstimmen. Fünf Jahre wird sie dann die Geschicke der EU bestimmen. Die Abgeordneten können die Kommission nur komplett oder gar nicht akzeptieren. Einzelne Kommissare können nicht abgelehnt werden. Der Eignungstest ist öffentlich und kann unter der Adresse des Europaparlaments "www.europarl.eu.int" in 19 Sprachen live im Internet verfolgt werden.