Spekulanten wetten jetzt auch auf Wasser
21. Januar 2021Wenn Edgar Terry morgens über seine Felder stapft, denkt er vor allem an eins: an Wasser. Der 61-jährige Farmer besitzt mehr als 700 Hektar Land, insgesamt zwölf Felder voll mit Paprika, Erdbeeren, Spinat, Sellerie und Koriander, die rund ums Jahr bewässert werden wollen. Seit 126 Jahren betreibt seine Familie die Terry Farms, einen alteingesessenen Landwirtschaftsbetrieb in Ventura County, etwa eine Autostunde nördlich von Los Angeles entfernt, wo Wasser schnell mal knapp werden kann. "Es gibt keinen Tag der Woche, an dem ich nicht an Wasser denke. Gerade jetzt, wo wieder Dürre herrscht", sagt der Landwirt.
2000 Meilen östlich, in Chicago, will man die Wasserknappheit in Kalifornien jetzt bekämpfen. An der größten Terminbörse der Welt, der Chicago Mercantile Exchange (CME), spekulieren Anleger normalerweise mit Waren wie Öl, Holz oder Aluminium. Seit Anfang Dezember können Investoren hier allerdings auch auf den Nasdaq Veles California Index handeln, einen Index, der Preise für kalifornischen Wassernutzungsrechte in sogenannten Wasser-Futures abbildet.
Futures, das sind Terminkontrakte, mit denen sich Käufer und Verkäufer verpflichten, Waren zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft zu einem vorher festgelegten Preis zu handeln. Genau diese Verträge sollen Bauern helfen, ihre Kalkulationen zu vereinfachen.
Versorger könnten profitieren
Auch städtische Betriebe und Energieversorgungsunternehmen könnten von den Wasser-Futures profitieren, sagt die CME. Denn gerade hier, im Pazifik-Bundesstaat Kalifornien, ist Wasser ein extrem knappes Gut. Durch Dürreperioden und Waldbrände steigen die Wasserpreise oft von heute auf morgen sprunghaft an. Die Kosten für die kommenden sechs Monate ließen sich hier "allenfalls schätzen", sagt Patrick Wolf, Manager an der Tech-Börse Nasdaq, der die Futures in Kalifornien, Amerikas größtem Wassermarkt, betreut, dem Nachrichtenmagazin Bloomberg.
Farmer wie Terry sehen in der Wall Street-Initiative durchaus Perspektiven. Sollte eine Dürre drohen, könnten sie sich so rechtzeitig und günstig mit Wasser eindecken. Bei Trockenheit gehe der Preis für den Kubikmeter Wasser oft plötzlich durch die Decke, sagt Terry, der nebenberuflich als Finanzprofessor an der California Lutheran University lehrt. Mit den Futures könne er sich die Preise von heute bei der Lieferung von morgen sichern.
Abwasser aus Öl- und Erdgasproduktion
Im benachbarten Kern County nutzen Bauern seit Jahrzehnten mehr und mehr Abwässer aus der Öl- und Erdgasproduktion, um ihre Felder während längerer Trockenperioden zu bewässern. Das recycelte Wasser macht hier inzwischen 25 bis 30 Prozent des jährlichen Bewässerungshaushaltes aus. Nach Angaben der LA Times lieferte allein der Öl-Riese Chevron im Jahr 2015 mehr als 20 Millionen Gallonen (umgerechnet rund 76 Millionen Liter) Abwasser an die Bauern in Kern County aus. Weil in dem Wasser allerdings selbst nach der Aufbereitung noch Spuren von Chemikalien wie Arsen, andere Giftstoffe und radioaktive Elemente zu finden sind, warnen Wissenschaftler und Umweltschützer regelmäßig vor den gesundheitlichen Risiken für Verbraucher.
Ethische Fragezeichen
Futures auf Wasser dürften allerdings mindestens ebenso gravierende Folgen für Verbraucher haben, warnen Experten. Dahinter stecke vor allem die ethische Frage, ob ein für das menschliche Leben so essentielles Produkt überhaupt als Spekulationsobjekt handelbar sein darf. "Wir müssen über die potenziellen direkten und indirekten negativen Konsequenzen nachdenken, wenn wir Wasser als Ware und nicht als Ressource behandeln", sagt Simon Puleston Jones, ehemaliger Europa-Chef der US-Handelsorganisation Futures Industry Association (FIA) der Financial Times. Er fürchtet einen deutlichen Preisdruck nach oben und Spekulationen auf Kosten der Armen.
Mehr als 2,2 Milliarden Menschen haben nach Angaben der Vereinten Nationen aktuell keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Die Organisation fürchtet, dass sich die Lage durch die Wasserpreis-Spekulationen verschlimmere. "Ich bin sehr besorgt darüber, dass Wasser jetzt wie Gold, Öl und andere Rohstoffe behandelt wird", sagt UN-Sonderberichterstatter Pedro Arrojo-Agudo. Dass Wasser jetzt auf dem Terminmarkt gehandelt werde, bringe das Menschenrecht auf Zugang zu sauberem Wasser in Gefahr.
Nahrungsmittelkrisen durch Spekulation
Dass Spekulanten veritable Nahrungsmittelkrisen auslösen können, hat sich bereits mehrfach gezeigt. In den Jahren 2008 bis 2010 etwa hatten Hedgefonds auf steigende Kakaopreise gesetzt und so den Preis für Kakaobohnen um 150 Prozent nach oben getrieben. Auch beim Preisanstieg von Weizen und Sojabohnen in den Jahren 2007 und 2008 hatten Finanzjongleure ihre Finger im Spiel und lösten damit Hungersnöte und soziale Unruhen in Entwicklungsländern aus.
Die Börse in Chicago wiederum beschwichtigt: Die Wasser-Futures würden nur regional und in sehr kleinen Mengen gehandelt, schließlich sei ein Großteil der kalifornischen Wasserrechte fest in der Hand der Versorger. Zusätzlich habe man die Verträge als "financially settled contracts" aufgesetzt, will heißen: hier fließe überhaupt kein "echtes" Wasser, sondern lediglich Geld.
Das soll verhindern, dass Investoren mit großen Lagerkapazitäten eine künstliche Wasserknappheit herbeiführen, um von steigenden Preisen zu profitieren. Außerdem müssen Spekulanten, die nur Renditen erzielen wollen, am Stichtag keine physische Wasserlieferung fürchten.
Farmer schaffen eigenes Handelssystem
Für Bauern wie Terry sind die Wasser-Futures also schlicht sinnlos. "Wir Farmer brauchen echtes Wasser für unsere Felder und kein Papier-Wasser", sagt der 61-Jährige. Er setzt daher auch in Zukunft lieber auf seine eigene Initiative, die er vor einigen Jahren aus Wassermangel ins Leben gerufen hat: den Fox Canyon Groundwater Market, ein lokales Handelssystem für Bauern.
Der Marktplatz zum Kauf und Verkauf von Grundwasser ist möglich, weil sich die strengen Wasserrechte und Verordnungen in Kalifornien lediglich auf die Nutzung von Wasser aus Flüssen, Bäche und Seen beschränken. Hier verfällt der Anspruch eines Grundbesitzers, wenn er die ihm legal zustehende Wassermenge nicht komplett verbraucht. Dank Terry können Bauern jetzt aber zumindest ihre überschüssigen Grundwasser-Kapazitäten, die sie selbst aus dem Boden pumpen, verkaufen und so anderen zur Verfügung stellen. Der Handel mit Wasser funktioniert hier also längst, nur eben auf eng begrenzter, regionaler Ebene.