SPD-Spitze will den Parteiabsturz stoppen
18. Februar 2018Nach den ersten Auftritten vor den Mitgliedern in Hamburg und Schleswig-Holstein zeigte sich die designierte SPD-Chefin Andrea Nahles zuversichtlich, die Parteibasis zur Annahme des Vertrages mit der Union bewegen zu können.
Der Auftritt in Kamen im Ruhrgebiet könnte da allerdings ungemütlicher werden. "Ich rechne hier mit intensiven Debatten", sagte sie der Agentur Reuters vor Beginn der dritten von sieben solcher Konferenzen. Sie glaube, mit Argumenten bei den Mitgliedern etwas erreichen zu können. Die Anerkennung, dass wir gut verhandelt haben, ist spürbar", so Nahles.
Vorbehalte an der NRW-Basis
In NRW gibt es den größten Landesverband, viele Mitglieder fürchten hier bei einer erneuten Koalition unter Führung von Kanzlerin Angela Merkel einen weiteren Absturz und ein Verwässern des Profils - viele Mitglieder bemängeln, dass man nicht mehr wisse, wofür die SPD noch stehe.
NRW-Landeschef Mike Groscheck betonte, die Debatten belebten die Partei. "Ich habe sehr stark gefordert, dass endlich wieder Leben in die Bude der alten Tante SPD gehört. Manche tanzen auf den Bänken und Tischen, aber besser so, als wenn Grabesstille herrscht", versucht Groschek der Situation etwas Positives abzugewinnen. Wer Diskurs bestelle, dürfe sich über Diskurs nicht beschweren, so der SPD-Chef aus dem Ruhrgebiet weiter.
Der kommissarische SPD-Chef Olaf Scholz unterstützt Nahles: "Ich habe insgesamt erlebt, dass wir hier sachlich diskutiert haben, die Mitglieder interessieren sich für den Koalitionsvertrag. Sie wissen, es geht um eine Entscheidung, die jedes der über 460.000 Mitglieder der SPD jetzt zu treffen hat über die Frage, wie es weitergeht mit Deutschland und Europa."
Die Mitglieder entscheiden aber auch über die Zukunft von Nahles und Scholz, der Finanzminister und Vizekanzler werden will in der GroKo, aber das noch nicht sagt. Beide wären bei einem Nein erledigt. Und beide würden gerne bei einem Ja ohne Gabriel weitermachen, heißt es intern.
Umgang mit dem "Spaltpilz"
Das Spitzenduo traut ihm nicht über den Weg, nach diversen Konflikten mit Gabriel und seinen Alleingängen als Parteichef. Sie wissen, er wäre kaum zu disziplinieren, ein Spaltpilz im SPD-Teil der Regierung. Zugleich ist er der beliebteste SPD-Politiker derzeit. Der Ruf nach Gabriels Verbleib erschallt nach der Vermittlung bei der Freilassung des "Welt"-Journalisten Deniz Yücel in der Türkei von allen Seiten. Auch wenn der Reiseausflug des Außenministers von der Münchner Sicherheitskonferenz nach Berlin, um im Newsroom der Springer-Zeitung die Yücel-Freilassung zu feiern, Fragen aufwirft.
SPD-Oberbürgermeister von Großstädten für Koalition
Die Bürgermeister der 35 größten von der SPD regierten Städte sprachen sich indes in einer Umfrage der "Bild am Sonntag" mit deutlicher Mehrheit für die Groko-Neuauflage aus. Demnach gaben 26 Stadtoberhäupter an, dafür stimmen zu wollen werden. Von den restlichen war keine Festlegung zu erhalten. "Der Koalitionsvertrag enthält viele dringend benötigte Entlastungen für die Menschen in unserem Land", wurde Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter zitiert.
In der Wählergunst sackte die SPD in einer Emnid-Erhebung jedoch weiter ab und zwar auf den tiefsten Stand, den das Institut je für die Sozialdemokraten ermittelte. 16 Prozent. Ob das die Talsenke ist, weiß niemand.
Mangelhafte Öffentlichkeitsarbeit
"Wir haben in den letzten Wochen nicht unbedingt immer ein gutes Bild abgegeben", räumte Nahles mit Blick auf den Machtkampf zwischen Außenminister Sigmar Gabriel und dem zurückgetretenen Parteichef Martin Schulz ein. Schulz hatte nach dem Verzicht auf den Parteivorsitz das Außenamt für sich beansprucht, Gabriel warf der SPD-Spitze daraufhin den Bruch von Versprechen vor. Nach massiver Kritik verzichtete Schulz auch auf den Außenministerposten, um dessen Erhalt Gabriel weiter kämpft.
Kritik aus der Partei, dass sie nicht mit GroKo-Gegnern wie Juso-Chef Kevin Kühnert auftrete, wies Nahles zurück: "Die Groko-Gegner kommen nicht zu kurz". Auch Kritiker könnten sich bei den Treffen einbringen. Die Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange, die gegen Nahles beim Sonderparteitag am 22. April in Wiesbaden antreten will, kritisierte, dass Kühnert nicht dabei sei. Zudem bemängelte sie, dass die Treffen nicht öffentlich seien. "Der Koalitionsvertrag hat doch Auswirkungen auf die ganze Gesellschaft."
Per Briefwahl können die Genossen nun vom 20. Februar bis 2. März abstimmen. Danach werden die Stimmen im Berliner Willy-Brandt-Haus ausgezählt, am 4. März wird das Ergebnis verkündet.
cgn/haz (dpa, rtr)