Ampel-Parteien wollen "mehr Fortschritt wagen"
24. November 2021Die geplante so genannte Ampel-Regierung aus SPD, Grüne und FDP will nach den Worten des wohl künftigen Bundeskanzlers Olaf Scholz (SPD) eine "Koalition auf Augenhöhe" bilden. "Uns eint der Wille, das Land besser zu machen", sagte Scholz. "Wir wollen mehr Fortschritt wagen", betonte er und versicherte, das Ziel der Ampel-Parteien sei nicht der kleinste gemeinsame Nenner, sondern eine "Politik der großen Wirkung".
Grüne: Dokument des Mutes
Der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck nannte den Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP ein Dokument des Mutes und der Zuversicht. Während der Verhandlungen zur Bildung einer Ampel-Koalition hätten sich einige Krisen dramatisch zugespitzt, sagte Habeck mit Blick auf die Flüchtlingssituation in Osteuropa und die Corona-Krise. Künftiges Leitbild sei eine handelnde Gesellschaft, ein investierender Staat und ein Deutschland, das einfach funktioniere.
Nach den Worten der Grünen-Vorsitzenden Annalena Baerbock ebnet der Koalitionsvertrag den Weg Deutschlands in die Klimaneutralität. Die Ampel-Parteien wollten nicht den kleinsten gemeinsamen Nenner suchen, sondern in den entscheidenden Bereichen einen Paradigmenwechsel einleiten, sagte Baerbock. Sie stellte die Umstellung der Wirtschaft auf Klimaneutralität auch als Beitrag für mehr Sicherheit in der Welt dar. Klimaschutz ziehe sich durch alle Bereiche, betreffe auch die internationale Zusammenarbeit und die Außen- und Sicherheitspolitik. Gemeinsame Klimapolitik bedürfe einer europäischen Antwort und einer aktiven Außenpolitik, so Baerbock.
FDP betont den Kurswechsel
Die angestrebte Ampel-Koalition steht aus Sicht von FDP-Chef Christian Lindner für einen Kurswechsel. Die drei Parteien hätten ihre Unterschiedlichkeiten in Wahlkämpfen nicht verborgen, sagte er. "Aber wir haben uns in einem Punkt eine Gemeinsamkeit erhalten, nämlich den Status quo zu überwinden." Dafür habe die junge Generation sie auch gewählt. Im Land sei zu spüren, dass es den Wunsch nach Veränderung gebe. Zu den großen Aufgaben, vor denen die neue Regierung stehe, zählten die Alterung der Gesellschaft und das Reduzieren von Kohlenstoff.
Im Koalitionsvertrag heißt es dazu: "Zur Einhaltung der Klimaschutzziele ist auch ein beschleunigter Ausstieg aus der Kohleverstromung nötig. Idealerweise gelingt das schon bis 2030". Demnach soll ein vorgezogener Kohleausstieg über einen massiven Ausbau Erneuerbarer Energien und über den Bau moderner Gaskraftwerke gelingen.
Bislang ist gesetzlich vereinbart, dass Deutschland bis spätestens 2038 aus der Kohleverstromung aussteigt. Die höheren Klimaschutzziele und steigende CO2-Preise würden aber die Spielräume für einen so späten Kohleausstieg zunehmend einschränken, heißt es in dem Vertrag.
"Das verlangt den von uns angestrebten massiven Ausbau der Erneuerbaren Energien und die Errichtung moderner Gaskraftwerke, um den im Laufe der nächsten Jahre steigenden Strom- und Energiebedarf zu wettbewerbsfähigen Preisen zu decken", heißt es im Koalitionsvertrag weiter. Der Anteil Erneuerbarer Energien am Stromverbrauch soll bis 2030 auf 80 Prozent steigen, derzeit liegt er bei etwa 45 Prozent.
Neues Staatsangehörigkeitsrecht
Darüber hinaus ist für Deutschland ein neues Staatsangehörigkeitsrecht vorgesehen. Es sollten die Mehrfachstaatsangehörigkeit ermöglicht und der Weg zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit vereinfacht werden, heißt es in dem von SPD, Grünen und FDP vorgelegten Papier. Eine Einbürgerung solle in der Regel nach fünf Jahren möglich sein, bei besonderen Integrationsleistungen bereits nach drei Jahren.
Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse soll ab 2023 wieder eingehalten werden. Im kommenden Jahr müssten wegen der andauernden Pandemie-Folgen noch einmal neue Kredite aufgenommen werden, heißt es im Koalitionsvertrag. Das Geld solle "insbesondere für die Überwindung der Coronakrise und Maßnahmen für eine schnelle wirtschaftliche Erholung" genutzt werden. Ab 2023 werde die Verschuldung auf den in der Schuldenbremse vorgegebenen Spielraum beschränkt.
Verteilung der Ressorts
In der neuen Regierung soll es ein Superministerium für Wirtschaft und Klimaschutz geben, das von den Grünen geführt werden soll. Sie stellen auch den Vizekanzler oder die Vizekanzlerin und führen die Ressorts für Auswärtiges, Familie, Umwelt und Verbraucherschutz sowie Ernährung und Landwirtschaft.
Die FDP wird die Ministerien für Finanzen, Justiz, Verkehr und Digitales sowie Bildung und Forschung führen. FDP-Chef Christian Lindner soll wie erwartet Finanzminister werden.
Die SPD übernimmt - neben dem Kanzleramt - die Bereiche Inneres, Arbeit und Soziales, Verteidigung, Gesundheit, Bauen sowie Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Die Besetzung soll erst nach Billigung des Koalitionsvertrages durch die Partei mitgeteilt werden.
Besorgnis wegen Corona
Große Sorge äußerten die künftigen Regierungspartner über die Corona-Pandemie. Scholz kündigte einen ständigen Bund-Länder-Krisenstab im Bundeskanzleramt an sowie die Gründung eines wissenschaftlichen Beirats aus Experten. Auch soll es eine Impfpflicht in Pflegeheimen geben, um die Schwächsten zu schützen. Eine Ausweitung der Impfpflicht darüber hinaus werde geprüft. Zudem verständigte sich die Ampel auf eine Bonuszahlung an die stark belasteten Pflegekräfte, für die "erst einmal eine Milliarde bereit" gestellt werde.
Zudem verständigten sich die Koalitionäre auf den Bau von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr in Deutschland. Außerdem soll die Mietpreisbremse bis zum Jahr 2029 verlängert werden. Mit einem neuen Bürgergeld soll die bisherige Grundsicherung umgebaut werden. Der Mindestlohn soll auf zwölf Euro pro Stunde steigen.
Kanzlerwahl im Dezember
Nach dem Zeitplan der drei Parteien soll der bisherige Finanzminister Olaf Scholz in der Woche ab dem 6. Dezember im Bundestag zum Kanzler gewählt werden. Damit endet nach 16 Jahren die Ära von Angela Merkel (CDU), die bei der Bundestagswahl am 26. September nicht wieder kandidiert hatte.
Die Koalitionsverhandlungen hatten am 21. Oktober begonnen, nachdem die drei Ampel-Parteien zuvor in Sondierungen den Grundstein dafür gelegt hatten. Ein Koalitionsvertrag muss bei SPD und FDP jeweils durch Parteitage und bei den Grünen in einer Mitgliederbefragung gebilligt werden.
uh/hf (dpa, rtr)