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Spaniens Glutsommer

Nicole Ris
16. Juli 2022

In Spanien wüten Hitzewellen und unzählige Brände. Das Land erlebt eine nie da gewesene Trockenheit und Rekordtemperaturen bis zu 46 Grad. Und Einsatzkräfte am Limit. Aus Extremadura berichtet Nicole Ris.

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Spanien | Hitzewelle | Temperaturanzeige in Seville
Rekordtemperaturen auf der Iberischen Halbinsel. Am 11. Juni wurden in Sevilla 47 Grad gemessenBild: Marcelo del Pozo/REUTERS

Viel Zeit für ein Gespräch hat Victor Domínguez nicht. Er ist mit seinem Team vom Roten Kreuz gerade zu einem neu entfachten Brand entsandt worden. In der Gemeinde Casas de Miravete in der Provinz Extremadura, wenige Autostunden südwestlich von Madrid.

Um zwei Uhr morgens mussten 66 Menschen evakuiert werden. Sie brauchten einen Rückzugsort, Wasser, Essen, und psychologische Betreuung. "Die Menschen sind insgesamt sehr nervös. Sie mussten in den frühen Morgenstunden alles zurücklassen und einen großen Brand direkt über ihrem Dorf mit ansehen", sagt Dominguez

Seit Tagen arbeiten er und andere Helfer unermüdlich an verschiedenen Orten, wo es brennt. Auch in Ladrillar. Dort haben die Flammen bereits mindestens 4000 Hektar Land gefressen. Hunderte Bewohner mussten ihre Häuser verlassen.

Spanien Hitzewelle und Brände
Schwieriger Einsatz für die Helfer vom Roten Kreuz. Manchmal sind auch sie machtlos vor den unzähligen Waldbränden Bild: Cruz Roja

"Wir fühlen uns machtlos"

Auch Victor Domínguez war in Ladrillar. "Es ist eine sehr komplizierte Woche. Die Temperaturen sind extrem hoch. Der Wind ändert ständig seine Richtung. Die Feuerwehr arbeitet am Limit, sie gibt alles", sagt er. "Aber manchmal fühlen wir uns hier alle machtlos. Wir können das Wetter nicht beeinflussen. Und das ist grundlegend, um das Feuer unter Kontrolle zu kriegen."

Spanien erlebt diesen Juli die zweite lange Hitzewelle. Mit Temperaturen bis zu 46 Grad, die mehrere Tage oder sogar über eine Woche lang anhalten. Die erste Hitzewelle kam im Juni. Ungewöhnlich früh. Sie verursachte ebenfalls etliche Waldbrände.

Einer von ihnen zerstörte 30.000 Hektar in dem Naturgebiet der Sierra de la Culebra. Das Gebiet ist nicht nur die letzte Bastion des Wolfs in Westeuropa, sondern auch wichtig für Landwirtschaft und Tourismus.

In diesem Sommer zeigt sich die Klimakrise deutlicher denn je. Mit Hitze, Bränden, Dürren und hohen Ernteausfällen. Erst vor kurzem hat der staatliche meteorologische Dienst Aemet in Spanien Studien und Aufzeichnungen der letzten Jahrzehnte veröffentlicht.

Meteorologin Beatriz Hervella ist sehr besorgt. "Wie groß der Einfluss des Klimawandels ist, müssen wir genau analysieren. Aber die Durchschnittstemperatur in Spanien ist gestiegen", sagt sie.

Im Sommer spüre man das am deutlichsten. Der Sommer sei mittlerweile fünf bis sechs Wochen länger als in den 1980er Jahren. Und in den vergangenen zehn Jahren habe sich auch die Anzahl und Dauer von Hitzewellen verdoppelt.

Spanien Hitzewelle und Brände
Warten, bis es kühler wird. Während der heißen Sommer sind in Spanien in vielen Städten die Straßen tagsüber leerBild: Nicole Ris/DW

"Die erste Hitzewelle ist am gefährlichsten"

Die Veränderungen führen nicht nur zu extremer Dürre. Sie erhöhen auch die Gefahr für Waldbrände und wirken sich auch auf die menschliche Gesundheit aus. In Spanien sterben jedes Jahr mindestens 1300 Menschen wegen extremer Hitzewellen.

Erfahrungsgemäß ist die erste Hitzewelle des Jahres auch die gefährlichste, erklärt Meteorologin Beatriz Hervella. "Der Körper ist zu diesem Zeitpunkt meistens noch gar nicht auf Hitze eingestellt. Vulnerable Menschen oder solche mit chronischen Krankheiten können dem Hitzestress nicht Stand halten. Sie sterben früher, obwohl sie eigentlich noch hätten lange leben können. Deshalb ist es sehr wichtig zu verstehen, dass die erste Hitzewelle die ist, bei der man besonders vorsichtig sein muss."

Das Dorf Olivenza zum Beispiel. Es liegt in Extremadura, im Südwesten, unweit von Portugal. Kürzlich wurde die Gemeinde als "Bratpfanne" Spaniens bezeichnet. Mit Rekordtemperaturen von mindestens 45,4 Grad.

Leere Straßen

Nicht nur in Olivenza findet man vor allem eines vor: leere Straßen. Wer nicht muss, geht auch nicht raus. Nur früh morgens, und später, am Abend.

Spanien Hitzewelle und Brände
Ab 15 Uhr ist Feierabend: Bauarbeiter Juan Pablo Marredo fängt wegen der Hitze frühmorgens an und hört früher aufBild: Nicole Ris/DW

Juan Pablo Marredo ist gerade dabei, die letzte Fuhre aus seinem Zementmischer zu holen. Über die Hitze beschwert sich der Bauarbeiter kaum. "Der Sommer ist so wie immer", meint er. "Aber die Leute vergessen sehr schnell die Hitzewelle vom letzten Jahr. Vielleicht sind die Sommer jetzt aber wirklich etwas länger."

So wie auch andere Bauarbeiterkollegen und Landwirte, legt Marredo die Arbeit noch vor 15 Uhr nieder. Unter der Sonne am Nachmittag ist es zu heiß, um weiterzuarbeiten. Ein Stückchen weiter, im Feinkostladen von Mar Cayado laufen der Ventilator und die Klimaanlage auf Hochtouren.

Die Besitzerin selbst wedelt sich Luft mit einem Fächer zu. Das sei allerdings unnütz. Denn sie kriege nur warme Luft ab. "Wir sind schon ausgelaugt. Es ist jetzt schon seit vier Tagen so heiß", sagt sie.

Mar Cayado macht sich Sorgen wegen ihrer Stromrechnung. "Ich habe Angst, dass uns die Politik in Stich lässt. Ich muss schließlich den Laden länger mit Klimaanlage und Ventilatoren kühl halten, und natürlich auch meine Wohnung."

Trotz der Nachrichten über längere und extremere Hitzewellen käme ein Ortswechsel für sie nicht in Frage. "Auch bei 46 Grad würde ich hier nie wegziehen. Extremadura ist Extremadura. Wir kennen solche Sommer. Also müssen wir einfach auf die beste Art und Weise damit zurechtkommen. Und nach vorne schauen."

Spanien Hitzewelle und Brände
Ladenbesitzerin Mar Cayado aus Olivenza fürchtet die hohe Stromrechnung in diesem Jahr mehr als die HitzeBild: Nicole Ris/DW

Olivenza zeigt sich widerstandsfähig. Auch, wenn die Feuer im Norden von Extremadura und in vielen anderen Regionen Spaniens ein angsteinflößendes Szenario bieten. Feuerwehrmann Víctor Domínguez erzählt, dass das Team vor Ort erschöpft ist.

"Es sind lange Tage. Und es geht einem ans Herz, wenn man in die Gesichter der Betroffenen sieht. In zweierlei Hinsicht. Wenn sie ihr Haus verlassen, und man ihnen ansieht, dass sie Angst haben", erzählt er.

Nicht nur die Bewohner, auch die Hilfskräfte sind angespannt. Sie würden wirklich alles versuchen, um die Dorfbewohner in Sicherheit zu bringen und zu versorgen, versichert Dominguez.

Immer wieder überkommen ihn trotz aller Anspannung Momente der Dankbarkeit. "Wenn Du einem müden Feuerwehrmann eine kalte Flasche Wasser gibst, dann weißt Du, dass Deine Arbeit etwas bringt. Und, dass man weitermacht. Koste es, was es wolle."