Spanien geht wählen - mal wieder
8. November 2019Miguel Angel Goni kämpft für eine bessere Zukunft. Der 30-Jährige hat in den vergangenen Wochen unermüdlich für die sozialdemokratische Arbeiterpartei PSOE geworben, die bei der Parlamentswahl in Spanien am kommenden Sonntag vermutlich den ersten Platz belegen wird. "Ich denke, die PSOE ist für uns junge Menschen wirklich die einzig mögliche Option - sie steht für einen Kampf gegen den Klimawandel und für Arbeitnehmerrechte und Gleichberechtigung", sagt er, als er zusammen mit einer Gruppe anderer junger Sozialdemokraten im Madrider Stadtteil Arguelles Flyer austeilt.
Es ist das vierte Mal seit 2015, das Spanien wählen geht. Der geschäftsführende Ministerpräsident Pedro Sánchez von der PSOE hatte zwar die Abstimmung im Frühjahr gewonnen, er verpasste aber die absolute Mehrheit deutlich. Anschließend konnte er sich mit keiner Partei über die Bildung einer neuen Regierung einigen.
Mitte-links zu sein ist Tradition in Gonis Familie. Vor acht Jahren trat er in die PSOE-Jugendabteilung ein. Er glaubt, dass diese Wahl wichtiger denn je sein wird. "Wenn die christlich-konservative Volkspartei PP an die erste Stelle kommen würde, wird sie sich sicherlich mit der rechtsextremen Vox zusammenschließen. Das würde zu einem Rückschritt in unseren Rechten führen", warnt er. "Wir müssen einen so hohen Anteil wie möglich erreichen, damit wir einen stabilen Spielraum haben."
Zerrieben im Katalonien-Konflikt
Aber das wird nicht einfach sein - zumal die Arbeiterpartei PSOE beim Unabhängigkeitskonflikt in Katalonien zwischen den Stühlen steht. Seit Wochen kommt es in der seit Jahren nach Unabhängigkeit strebenden Region im Nordosten Spaniens zu Ausschreitungen und Protesten. Aktueller Auslöser der Unruhen Mitte Oktober war die Verurteilung von neun Separatistenführer wegen des illegalen Unabhängigkeitsreferendums 2017.
Die PSOE zeigte sich in dem Konflikt relativ versöhnlich, um die Wähler in Katalonien nicht zu verschrecken. So hatte Ministerpäsident Sanchez versucht, mit Separatisten ins Gespräch zu kommen, um Kompromisse auszuloten - was jedoch für Konservative entschieden zu weit ging. Laut Umfragen wird die PSOE zwar deshalb wieder stärkste Kraft werden, doch vermutlich weniger Sitze erhalten als im April.
Lektion gelernt?
Die in Madrid lebende Politologin Paola Cannata Molero glaubt, dass die Neuwahl die verfahrene Situation in Spanien verschlimmern könnte. "Keine der Parteien wird eine absolute Mehrheit erreichen. Sie werden wieder versuchen, eine Koalition zu bilden - dass das gelingt, wäre aber noch unwahrscheinlicher als vorher. Denn unsere Politiker sprechen miteinander, als wären sie Feinde", sagt sie. Darüber hinaus dürfte das spanische Parlament noch stärker zersplittern, da zusätzliche kleine Parteien, wie zum Beispiel die im September 2019 neu gegründete linke Partei Más País, erstmals Sitze gewinnen dürften.
Es gibt jedoch auch optimistischere Stimmen. "Ich denke, unsere Politiker haben ihre Lektion gelernt", sagt der in Valencia ansässige Politologe Carles Torrijos. "Die liberale Partei Ciudadanos zum Beispiel hat ihre Haltung abgeschwächt, und ich denke, sie würde sich enthalten, wenn das Parlament über die nächste sozialistische Regierung abstimmt, anstatt dagegen zu stimmen", erklärte er. "Aber Ciudadanos wird nicht in der Lage sein, allein Königsmacher zu sein, und auch das linke Wahlbündnis Unidas Podemos wird nachgeben müssen - sonst bekommt Sánchez einfach nicht die notwendigen Stimmen", fügte er hinzu.
Experten gehen davon aus, dass die liberale Ciudadanos zwei Drittel seiner Sitze verlieren wird. Einige werden wahrscheinlich an die rechte Vox-Partei gehen werden, das mit seiner harten Haltung gegenüber Katalonien die Wähler überzeugt hat. Laut Umfragen wird die radikale Partei Ciudadanos' Platz als drittgrößte Kraft im Parlament einnehmen. Zur Zeit ist sie noch fünftstärkste Kraft.
"Eine Partei, die ihre Meinung sagt"
Vox-Politiker Luis Felipe Ulecia glaubt, dass ein Zuwachs seiner Partei mehr als verdient ist. Im vergangenen Jahr gründete er die Jugendabteilung der Ultrarechten. "Die Menschen haben Recht, wenn sie uns vertrauen. Vor vierzig Jahren haben wir Katalonien den Feinden der Nation übergeben, und jetzt müssen wir alle unsere verfügbaren Polizisten schicken, um diesen Aufstand zu ersticken, die Oberhand zu gewinnen und den Autonomiestatus der Region auszusetzen", sagt er, während er Flugblätter in der Nähe einer Privat-Universität verteilt, nur Hunderte von Metern von seinen sozialistischen Kollegen entfernt.
Für den 24-Jährigen ist Vox das, was das Land braucht - nicht nur in Katalonien. "Es gibt endlich eine Partei, die ohne Angst ihre Meinung sagt und uns das Recht gibt, stolz auf unsere Nationalität zu sein", sagt er. "Vox verteidigt einen starken Zentralstaat, der unserem Land Wohlstand bringen wird und sich nicht diesem falschen Feminismus unterwirft. Vox ist Pro-Leben und setzt sich für eine starke Familie ein." Ulecia ist überzeugt, dass Vox-Parteichef Santiago Abascal mit diesen Wahlversprechen eines Tages Premierminister werden könnte.
Der "Vorhölle" ein Ende setzen
Genau das will der sozialdemokratische PSOE-Politiker Goni verhindern. Er setzt auf die noch unentschiedenen Wähler, die etwa ein Drittel ausmachen - und auf den "gesunden Menschenverstand" spanischer Politiker, wie er es nennt. "Ich denke, dass inzwischen jeder verstanden hat, dass wir diesem Status der Vorhölle ein Ende setzen müssen", sagt er. "Wenn also tatsächlich keine Koalition gebildet werden kann, sollten andere Parteien Verantwortung übernehmen und die Partei mit dem höchsten Stimmenanteil stillschweigend unterstützen, damit sie eine Minderheitsregierung bildet."
Viele Spanier könnten diese Option als letztes Mittel nutzen. Denn darüber scheinen sich alle einig: Das Land braucht in naher Zukunft keine weiteren Parlamentswahlen mehr.