Spanien ist Vorreiter bei der Blockchain
6. April 2018Fast niemand hat es bemerkt - die Spanier selber am wenigsten. Dabei erlebt das Land gerade eine Revolution. Jahrzehntelang galt der Spruch "Lass doch andere erfinden", basierend auf einer Aussage des spanischen Autors Miguel de Unamuno. Stattdessen wurde das Land aus Faulheit, selber Patente zu entwickeln, schon während der Franco-Diktatur zum Tourismus-Weltmeister ohne wirkliche industrielle Grundlage und Mittelstand. Ingenieure und Facharbeiter emigrierten massenweise nach Nordeuropa.
Anders in der digitalen Wirtschaft: "Hier hat Spanien den Zug nicht verpasst. Im Gegenteil: Der Erfolg unseres Hochgeschwindigkeitsnetzes AVE hängt eng mit unserem digitalen Erfolg zusammen", sagt Javier Rivas, Blockchain-Experte und Dozent an der Madrider EAE Business School. Denn als vor rund zehn Jahren das Schienennetz für den Hochgeschwindigkeitszug AVE ausgebaut wurde, nutzte die spanische Regierung die Gunst der Stunde, um ein Glasfasernetz zu verlegen - Grundstein für den jetzigen Erfolg in der digitalen Wirtschaft: "Eine lockere Regulierung dieses Netzes im Vergleich zum Kupfernetz hat dann die Telekomanbieter animiert, von dort aus die spanischen Haushalte in Rekordzeit zu vernetzen", sagt Christoph Steck, Blockchain-Spezialist beim spanischen Telekomriesen Telefónica.
Spanische Banken sind Vorreiter in der europäischen Fintech-Branche
Er weist daraufhin, dass Spanien natürlich noch lange nicht Estland ist, wo Parlamentswahlen, groβe Teile der Bürokratie und Verwaltung bereits digital abgewickelt werden. Auch im Gesamtvolumen der Digitalisierung der Wirtschaft steht Deutschland im Ranking vor den Spaniern. Aber innerhalb der Eurozone setzt das Land eindeutig Maßstäbe beim Ausbau des Breitbandnetzes, der Blockchain-Technologie und Digitalisierung der Verwaltung. Auf 100 Einwohner kommen in Spanien fast 11 Breitband-Anschlüsse, in Deutschland ist es knapp einer.
Spanische Banken investierten schon früh in Fintechs und virtuelle Währungen. So wurde Spanien - von vielen europäischen Wettbewerbern unbemerkt - zum High-Tech-Vorreiter in der Finanzbranche. Das Telekommunikationsunternehmen Telefónica ist ein weltweiter Riese in Sachen Innovation und auch bei der Kundenzahl: Schon vor zehn Jahren kam der Konzern auf 200 Millionen Kunden, aktuell sind es 322 Millionen Kunden. Bis 2020 wollen die Spanier auf 370 Millionen kommen. Was die reine Kundenzahl betrifft, liegt man damit deutlich vor Europas Marktführer, der Deutschen Telekom.
Spanien setzt auf Bitcoin, um bei Fintech die Führung zu übernehmen
Auch dank Telefónica hat Spanien beim mobilen Bezahlen bis zu intelligenten Geldautomaten, bei Bitcoin und der Anwendung digitaler Technologien im Finanzsektor seit vielen Jahren die Nase vorne - vor allem rund um digitale Zahlungssysteme. Während es in Deutschland noch keinen einizgen Bitcoin-Geldautomaten gibt, verfügt Spanien, auch wegen seiner offeneren Gesetzgebung, bereits über 46. Aufgrund der Tatsache, dass e-wallets - mobile Geldbörsen - bereits seit rund zwei Jahren bei den großen Banken Santander, BBVA, La Caixa und Bankia Standard sind, machen die virtuellen Cash-Dispenser in Spanien auch Sinn. Im Moment gibt es dort nur Bitcoins, mit denen man bei Real Madrid Tickets kaufen oder in Cafes und Bars bezahlen kann. Außerdem lassen sich so Konzerttickets ordern. Bald soll es an den Geldautomaten aber auch den neu entwickelten Touriscoin geben,
Während viele andere Länder noch darüber nachdenken, ob virtuelle Währungen wirklich gut sind, hat Spaniens Politik entschieden: Das Land will ganz vorne mitmischen. "Das ist natürlich nicht ganz ungefährlich, weil Internet-Währungen, von denen es inzwischen weltweit rund 1700 verschiedene gibt, die Branche überschwemmen. Es erinnert an die Internetblase Anfang des 21. Jahrhunderts", warnt Rivas. Dennoch glaubt er, dass die Blockchain-Technologie, auf der sie basieren, die Zukunft ist: "Einfach wegen der enormen Sicherheit dieser endlosen miteinander verbunden Datenketten, die aufgrund ihrer Verschlüsselung nicht nur auf lange Sicht Vermittler zwischen Kunden und Banken wie Clearingstellen überfüssig machen, sondern auch das gesamte Geldgeschäft vereinfachen und damit billiger machen."
Die spanische Wirtschaft hat bereits zwei wichtige industrielle Blockchain-Konsortien auf die Beine gestellt, die das Land bei dieser Technologie zu einem Vorreiter machen sollen. Beide Konsortien sind aus der Bankbrache hervorgegangen, im Zusammenspiel mit Telekomunternehmen und Rechtsanwaltskanzleien. Telefónica Deutschland hat sogar vor kurzem Unternehmensanleihen über die Plattform Alastria unter Nutzung der Blockchain-Technologie erfolgreich platziert. Auch die spanische Staatskasse macht beim Alastria-Konsortium mit - und will in Zukunft darüber staatliche Schuldverschreibungen emittieren. "Spanien hat da bisher eindeutig mehr Mut als Deutschland bewiesen", sagt der Unternehmensberater und Buchautor Ignacio Sánchez-León.
Blockchain zur Bekämpfung der Geldwäsche
Allerdings ist für ihn nicht klar, ob die Banken den Prozess letzendlich überleben werden: "Blockchain ermöglicht wegen der geringen Regulierung und hohen Sicherheitsstandards, dass auch Konzerne wie Amazon und Google beginnen, wie Banken aufzutreten. Überleben werden dann nur die international aufgestellten Finanzinstitute". Santander und BBVA haben anders als die deutschen Geldhäuser dabei gute Chancen, diesen Kampf um Fintech-Kunden zu überleben: "Sie sind schon seit langem Umsatz-Spitzenreiter in der Eurozone und in Lateinamerika sind sie in vielen Ländern Marktführer", sagt Javier Morillas, Wirtschaftsdozent an der Madrider Uni San Pablo CEU.
Aber abgesehen von den enormen Vorteilen für das Geldgeschäft, ermöglich die neue Technologie der "Datenkette" auch eine bessere Verfolgung von Finanztransaktionen rund um den Globus und damit eine bessere Prävention von Geldwäsche. Jeder Datenblock enthält die Daten des vorherigen, am Ende steht eine Gesamtsumme. Aufgrund dieser Logik werden Veränderungen in der Kette sofort sichbtar, weil jede Manipulation das Endergebnis verändert. "Das Bankgeschäft könnte sauberer werden", hofft Rivas. Die von verschiedenen Korruptionsskandalen belastete spanische Regierung unter der Führung der Volkspartei PP hat das zur Chefsache gemacht: "Wir wollen, dass Spanien führend in der Blockchain-Technologie wird”, gab Teodoro García Egea bekannt, Sprecherin der PP-Kommission "Energie, Tourismus und digitale Agenda”.
Europa braucht eine "digitale Verfassung"
Aber für Sánchez-León ist es bis zu einem "sauberen Image" der spanischen Finanzwelt noch weit: "Bevor wir an die Weiterentwicklung von Technologien denken, sollten wir zuerst unsere Gesetze an diese neue Internetwelt anpassen, die immer mehr unseren Alltag bestimmt. Unsere Verfassung muss dieses neue digitale Leben regeln." In seinem Buch "El idioma digital", die digitale Sprache, warnt er davor, dass wir uns nur auf den wirtschaflichen Nutzen konzentrieren: "Die enormen Auswirkungen der massiven Nutzung von Künstlicher Intelligenz, vor allem in Form von Algorithmen ist uns nicht bewusst. Wir werden bereits in vielen Bereichen unseres Lebens davon bestimmt, ohne es zu ahnen. Das ist gefährlich."