Sozialstaat in Gefahr? - eine deutsche Debatte
15. März 2010Die Wirtschaftskrise hat ihre Spuren hinterlassen, bei Unternehmen, auf dem Arbeitsmarkt und damit auch in den Sozialsystemen. Deutschland ist ein Sozialstaat, der Menschen in Notlagen, bei Arbeitslosigkeit, Krankheit oder im Alter zur Seite steht. Gleichzeitig soll aber auch ein sozialer Ausgleich geschaffen werden, indem zum Beispiel Familien gefördert werden.
177 Milliarden Euro werden 2010 für Sozialausgaben aufgewendet, das sind 54 Prozent des gesamten Bundeshaushalts. Der Sozialetat im engeren Sinne ist der Etat für Arbeit und Soziales, den Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen verantwortet. Ein Etat, der 2010 krisenbedingt erheblich aufgestockt werden musste.
Loch in der Kasse
„Mit 143,2 Milliarden Euro müssen wir rund 15 Milliarden Euro mehr einsetzen als im Jahr davor. Der Löwenanteil dieser Steigerung geht in die Arbeitsmarktförderung", so die Ministerin.
Damit meint sie vor allem das Kurzarbeitergeld. Es ermöglicht Arbeitgebern, Angestellte in auftragsschwachen Zeiten weniger arbeiten zu lassen, anstatt sie zu entlassen. "Natürlich ist es allemal besser, in den Erhalt von Arbeitsplätzen, in Fachwissen, in Familieneinkommen zu investieren, als Kündigung, Arbeitslosigkeit und Kompetenzschwund teuer zu bezahlen", so von der Leyen.
Trotzdem wird die Krise die Arbeitslosenzahlen wahrscheinlich wieder auf rund vier Millionen steigern. Ein Jahr lang zahlt die Arbeitslosenversicherung, danach rutscht der Arbeitslose in die sogenannte Grundsicherung, das Arbeitslosengeld II. Umgangssprachlich auch Hartz IV genannt, wurde es im Jahr 2008 an rund sieben Millionen Menschen in Deutschland gezahlt.
Zu viel Geld für Arbeitslose?
„Unsere Aufgabe ist es, gerade denen, die schon lange arbeitslos sind, bestmöglich zu helfen und sie nicht über einen Kamm zu scheren", sagt Arbeitsministerin von der Leyen. Einige Politiker halten die Grundsicherung für zu hoch. Auch Außenminister und FDP-Chef Guido Westerwelle sprach von "anstrengungslosem Wohlstand". Dadurch gebe es wenig Anreize, sich eine Arbeit zu suchen.
"Der Normalfall sieht doch ganz anders aus", sagt dagegen Arbeitsministerin von der Leyen. "Die große Mehrheit der Langzeitarbeitslosen will raus aus Hartz IV. Sie können es aber nicht, weil ihnen die Kinderbetreuung fehlt, weil ihnen der Schulabschluss fehlt, weil ihnen die Berufsausbildung fehlt.“
Lehnt ein Hartz-IV-Empfänger einen zumutbaren Job ab, dann kann das Jobcenter, das die Stellen vermittelt, ihm die Bezüge kürzen. Das passiert auf ganz Deutschland bezogen im Durchschnitt 120.000-mal im Monat.
FDP will mehr Härte
Der FDP reicht das nicht aus. Die Liberalen würden die Regelungen gerne noch weiter verschärfen und haben eine Debatte über den Sozialstaat angestoßen. Angesichts der hohen Staatsverschuldung, so erklärt die FDP-Abgeordnete Claudia Winterstein, müssten alle staatlichen Maßnahmen auf den Prüfstand, auch die sozialpolitischen.
„Ab 2011 müssen wir die Vorgaben der Schuldenbremse einhalten", so Winterstein. "Das heißt, wir müssen erhebliche Sparbemühungen unternehmen." Deshalb müsse auch bei den Sozialausgaben gespart werden, schließlich sind sie der größte Einzeletat im Bundeshaushalt.
Linke will Bürgerversicherung
Eine Ankündigung, gegen die die Opposition jetzt schon Sturm läuft. Wenn die Ausgaben gekürzt würden, dann käme das einem sozialen Kahlschlag gleich. Die linke Politikerin Gesine Lötzsch schlägt stattdessen vor, die Einnahmen der Sozialkassen zu steigern. Der Staat finanziert die Sozialausgaben, indem er einen bestimmten Prozentsatz von den Löhnen einbehält – allerdings nur bis zu einer bestimmten Gehaltsgrenze. Verdient jemand mehr als diese Grenze, zahlt er zwar den Höchstbeitrag, aber eben auch nicht mehr. Diese Begrenzung will Lötzsch abschaffen.
„Menschen mit hohen Einkommen zahlen überdurchschnittlich wenig in die Systeme ein. Wir als Linke halten es für unerträglich, dass die Sekretärin von Deutsche-Bank-Chef Ackermann genauso viel in die Versicherungssysteme einzahlt wie der Chef, der mehr als das Tausendfache des Gehalts der Sekretärin erhält." Die Linke fordert daher eine solidarische Bürgerversicherung, in die jeder nach seiner Leistungsfähigkeit einzahlt.
Wie sicher sind die Renten?
Immer Geld kostet auch die Versorgung der Rentner. 80 Milliarden Euro muss der Staat in diesem Jahr als Zuschuss an die Rentenversicherung zahlen. Die gesetzliche Altersversorgung finanziert sich zwar aus den Beiträgen der Erwerbstätigen in die Rentenkasse, doch angesichts des demographischen Wandels gibt es immer mehr Rentner und immer weniger Bürger, die in die Kassen einzahlen.
Das bereitet nicht nur dem CDU-Politiker Karl Schiewerling Sorgen. "Die Rentenversicherung ist auf einem Solidarsystem aufgebaut, auf der Solidarität der jüngeren Generation mit der älteren. Wir können – das wissen wir – nicht mehr Rente zahlen, als letztendlich erwirtschaftet wird.“
Jahrzehntelang galt: Die Rente ist sicher. Doch das war ein Trugschluss. Neben der staatlichen Altersvorsorge sind die private und die betriebliche Rente zu einem festen Bestandteil geworden. Wer beides nicht hat, der muss Sozialhilfe beantragen. Denn auch in diesem Fall gilt: In Notlagen springt der Staat ein und sichert das Existenzminimum.
Autorin: Sabine Kinkartz
Redaktion: Andreas Becker