Geschichte erarbeiten
26. August 2013"Hier ist etwas. Hier!" Auf dem hinteren Grabungsfeld wird es hektisch. André Schmalkuche von der Stadt- und Kreisarchäologie Osnabrück eilt herbei und nimmt das Fundstück entgegen: eine verdrehte Metallstange mit einem Griff in der Mitte, der Schließmechanismus eines Fensters.
Seit einer Woche graben vierzehn Teilnehmer des Sommerlagers auf dem Gelände der Gedenkstätte Augustaschacht in Osnabrück. Das ist bisher ihr größter Fund, wenn man von den Fundamenten des ehemaligen Kesselhauses mal absieht.
Die Gedenkstätte Augustaschacht erinnert an das Arbeitserziehungslager Ohrbeck, das die Nazis im Januar 1944 im Pumpenhaus des Erzbergwerks Augustaschacht errichtet hatten. Die meisten der über zweitausend Häftlinge waren Zwangsarbeiter, die wegen Sabotage oder Fluchtversuchen an die Gestapo überstellt worden waren.
Unter KZ-Bedingungen mussten sie für das Klöckner-Werk Stahl produzieren und in Osnabrück Bombentrümmer räumen. Seit 2009 kommen junge Menschen nach Osnabrück, um die Ausgrabung zu unterstützen. In diesem Jahr sind es vierzehn Teilnehmer aus Deutschland und Russland.
Hobby-Archäologen aus Deutschland und Rußland
"Ich habe gezielt nach einem Ausgrabungsprojekt gesucht," sagt der 17-jährige Aaron. Mit Kelle und Handfeger schaufelt er Erde in einen weißen Plastikeimer. Er möchte nach der Schule ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) machen und schon einmal ein paar Eindrücke sammeln. Die 20-jährige Tine fügt hinzu: "Je interessanter der Ort wird, desto mehr Leute kommen her und lernen etwas über Geschichte."
Wo Tine gräbt, verlief eine Mauer des ehemaligen Kesselhauses, das im Zweiten Weltkrieg als Wohnhaus genutzt wurde. "Dass es neben dem Pumpenhaus noch ein weiteres Gebäude gegeben hat, wissen wir erst seit 2011", erklärt der Grabungsleiter Andre Schmalkuche und zeigt die Kopie eines körnigen Luftbildes. Im ehemaligen Kesselhaus lebten Familien, direkt vor dem Zaun des Arbeitserziehungslagers.
Im hinteren Teil des Feldes entdecken die Hobby-Archäologen einen Raum. "Ist das ein Keller?" Irina aus Volgoda ist gespannt, was zum Vorschein kommen wird. Sie nimmt von Daniel einen vollen Eimer entgegen und bringt ihn zu Anna, die die Erde nach weiteren Fundstücken durchsiebt. "Bisher haben wir Scherben, Schrauben und Eierkohlen gefunden", sagt Anna und kippt einen weiteren Eimer auf das Sieb. André Schmalkuche lobt: "Die Gruppe ist mit großem Eifer dabei. Ich bin begeistert, was wir hier schaffen."
Land und Leute kennenlernen
Verständigung braucht Begegnung, heißt es bei Aktion Sühnezeichen Friedensdienste (ASF). Der Verein veranstaltet 24 Sommerlagers in 13 Ländern: Gartenpflege im französischen Bayonne, Freizeitgestaltung für die Patienten eines Warschauer Kinderkrankenhauses oder das Abholzen eines Waldstücks über einem Massengrab bei Moskau.
Aus allen Teilen der Welt kommen Menschen zusammen, lernen sich kennen und arbeiten an einer gemeinsamen Sache. Wer mehr tun möchte, kann wie Anna auch ein ganzes Jahr lang Friedensdienst leisten. 180 Freiwillige schickt ASF jährlich in die Welt. Sie arbeiten mit Alten, Behinderten, sozial Benachteiligten, für Gedenkstätten oder NGOs.
"Am Wochenende waren wir in Hamburg und Bonn", erzählt Daniel aus Sankt Petersburg. Die praktische Arbeit ist nur ein Aspekt des Sommerlagers. Die Teilnehmer sollen auch etwas über ihr Gastland erfahren. Dass sie einander dabei kennenlernen, ist selbstverständlich. "Abends spielen wir immer. Da kann es auch mal ganz schön spät werden", lacht Alexandra. "Und morgen machen wir ein Picknick."
Doch erst einmal konzentrieren sich Daniel, Alexander, Swetlana und Aaron ganz darauf, einen vermeintlichen Kellerraum freizulegen. "Braucht ein Kesselhaus einen Keller?", die Frage taucht auf, verhallt aber. Irgendetwas ist da, soviel steht fest. Die Teilnehmer graben unermüdlich weiter, füllen die kleinen weißen Eimer, reißen Ziegelsteine aus der Erde und werfen sie auf den Rand des Grube. "Wer würde hier graben, wenn nicht wir es tun?" fragt Swetlana.
Weder Hitze noch Müdigkeit könnte sie abhalten - nur das Eis, das Schmalkuche spendiert. Damit legen sich alle in die Sonne und genießen die Erfrischung. Bis zum Feierabend haben sie sich gut einen Meter tief in den Waldboden gegraben und einen Durchgang gefunden. Und dann stellt sich auch heraus, dass der gar nicht in einen Keller führt - sondern vermutlich in eine unterirdisch gelegene Brennkammer.