Der gigantische Schuldenberg der US-Studenten
9. Januar 2019Die Amerikanerin Toni Vincent hat vor drei Jahren ihren Master-Abschluss in Public Health gemacht. Für das Studium musste sie einen sechsstelligen Betrag an Schulden aufnehmen, noch bevor sie ihr erstes Gehalt ausgezahlt bekam. Bei ihrem Abschluss belief sich ihr Schuldenstand auf etwa 100.000 Dollar an Studentenkrediten. 15.000 kostete der Bachelor an einer öffentlichen Uni, der Master an der renommierten George Washington Uni war mit etwa 85.000 Dollar noch einmal deutlich teurer.
Vincent, 32, arbeitet inzwischen als Programm-Manager bei einer gemeinnützigen Organisation und koordiniert Projekte im Rahmen der öffentlichen Gesundheit. Ihr Gehalt, sagt sie, reicht nicht aus, um die Kredite zügig zu tilgen. Nach drei Jahren in ihrem ersten Job sitzt sie am Anfang ihrer Karriere noch immer auf einem Schuldenberg von 80.000 Dollar.
Studentendarlehen größer als Kreditkartenschulden
Toni Vincent geht es nicht anders als 44 Millionen anderen Amerikanern mit Studentendarlehen. Gemeinsam schulden sie dem Staat 1,5 Billionen Dollar. Das ist so viel wie noch nie. Höher fallen nur Hypothekenschulden aus. Somit sind knapp sieben Prozent der US-Gesamtschulden staatliche Studentenkredite. Hinzu kommen private Studentenkredite in Höhe von 64,2 Milliarden Dollar, ausgegeben zum Beispiel von Banken. Laut einer Studie der amerikanischen Notenbank (Fed) von Juni 2018 mussten 42 Prozent aller Studenten Schulden für ihre Bildung aufnehmen. Durchschnittlich steht jeder von ihnen mit 20.000 bis 25.000 Dollar in der Kreide.
Inzwischen ist es sogar noch mehr: Wer in 2016 angefangen hat zu studieren, schuldet dem Staat durchschnittlich 37.172 Dollar. Jon Fansmith ist Direktor des Universitäts-Verbandes American Council on Education. ACE vertritt 1800 Universitäten im ganzen Land. Fansmith sagt, es studierten eben mehr Amerikaner als früher. Mehr Menschen würden also Studentendarlehen aufnehmen. Damit sei die Gesamtverschuldung höher. "Das ist keine schlechte Entwicklung."
Tatsächlich waren im Herbst 2018 knapp 20 Millionen Studenten an amerikanischen Universitäten eingeschrieben, knapp fünf Millionen mehr als im Herbst 2000. Denn ein höherer Abschluss ist derzeit so wichtig wie noch nie. Einer Studie der Georgetown Universität von 2013 zufolge werden bis 2020 rund 65 Prozent aller Stellenangebote mindestens einen Bachelor-Abschluss erfordern. Für Toni Vincent kam es deshalb nie in Frage, nicht zu studieren. "Das ist mein Investment in meine Zukunft."
Noch nie war College so teuer
Dieses Investment wird aber immer größer. Denn Studieren ist im Laufe der Jahre teurer geworden. Die Kosten haben sich seit 1988 je nach College-Form und Länge des Studiums vervierfacht. Ein öffentliches College für vier Jahre zu besuchen, kostet inzwischen etwa 20.000 Dollar, ein privates sogar bis zu 50.000 Dollar. Im Schnitt muss jeder Absolvent 351 Dollar monatlich zurückzahlen, oft jahrzehntelang. Ein bedeutender Teil von ihnen kann schon nach zwei Jahren nicht mehr zahlen und es kommt zum Zahlungsausfall. Constantine Yannelis unterrichtet Finanzen an der New Yorker Universität und hat sich in seiner Forschung auf Studienkredite spezialisiert. Viele Studenten hätten Probleme, die Schulden zu begleichen. Von den 44 Millionen verschuldeten Studenten zahlen mehr als zehn Prozent ihre Schulden nie zurück.
Parallelen zur Krise im Immobilienmarkt
Der Gläubiger ist in 90 Prozent aller Fälle der Staat. Für die Studenten, die ihre Schulden nicht begleichen können, springt also der Steuerzahler ein. Der Trend zeigt in eine beunruhigende Richtung: In Zukunft werden immer mehr Studenten nicht in der Lage sein, ihre Darlehen zurückzuzahlen. Die Ausfallquote könnte bis 2023 auf 40 Prozent ansteigen. Das geht aus Zahlen des Brookings Instituts hervor. Seit Jahren ziehen Medien immer wieder Vergleiche zur Pleite der Investment Bank Lehman Brothers und der anschließenden Finanzkrise in 2008. Der Fernsehsender CNBC spricht von einer Blase, Fox News und MarketWatch schreiben von einer Krise. Die Sorge: Was damals die Hypotheken von Amerikanern mit schlechter Bonität waren, könnten nun die Studentendarlehen sein.
Vor der letzten Finanzkrise waren die Hypotheken von Haushalten mit schlechter Bonität zusammengeschnürt und als risikoreiche Finanzprodukte weiterverkauft worden. Die Banken mussten mit dem Geld der Steuerzahler gerettet werden. Auch dieses Mal wird der Steuerzahler die Rechnung begleichen müssen. Es gibt also durchaus Parallelen.
Schuldenberg hat negative Auswirkungen auf die Wirtschaft
Der Schuldenberg der amerikanischen Studenten kann auch langfristig Auswirkungen auf die Wirtschaft haben, denn so hoch verschuldet kaufen junge Menschen weniger Autos, Häuser und konsumieren insgesamt weniger. Darauf verwies der Chef der US-Notenbank, Jerome Powell, bei einer Rede vor dem Kongress im vergangenen März. Er sehe im Wachsen des Schuldenberges durchaus ein makro-ökonomisches Risiko. "Es könnte sogar das Wirtschaftswachstum verlangsamen."
Studien zeigten, dass es bereits negative Effekte auf die wirtschaftliche Lage derer gebe, die ihre Schulden nicht abbezahlen können, denn das schade auch ihrer Kreditwürdigkeit.
Die Regierung unter Barack Obama wollte deshalb einigen Studenten helfen - mit dem sogenannten Student Loan Forgiveness Programm. Denjenigen, die nach dem Studium im öffentlichen Dienst arbeiten, sollte ein Teil der Schulden erlassen werden. Doch nun gab das Bildungsministerium bekannt, dass unter Trump 99,5 Prozent dieser Anträge abgelehnt wurden. Die Trump-Regierung will das Programm ganz auslaufen lassen.