Sorge unter LGBT-Flüchtlingen in Berlin
23. Dezember 2018Bis zu ihrem 30. Lebensjahr lebte Veronika, in deren Pass noch ein männlicher Name steht, in der südukrainischen Stadt Cherson. Danach begann sie in Mykolajiw an der Schwarzmeerküste eine hormonelle Geschlechtsanpassung. 2017 machte sich Veronika auf den Weg nach Deutschland. Zu diesem Zeitpunkt bestand bereits keine Visumpflicht mehr. Spontan stieg sie schon in Berlin aus dem Bus. Sie kam in ein Berliner Wohnheim für LGBT-Flüchtlinge, wo sie auch derzeit noch lebt. Ende Oktober wurde Veronika dort von Mitbewohnern verprügelt. Daraufhin organisierten ihre Freunde in der Flüchtlingsunterkunft eine Initiativgruppe zur Bekämpfung von Diskriminierung.
Was ist los in dem Wohnheim?
In dem Berliner LGBT-Flüchtlingsheim leben 125 Menschen, das bis auf wenige private Initiativen die einzige Institution dieser Art in Deutschland ist. Sie wurde 2016 eröffnet, um LGBT-Flüchtlinge vor Gewalt zu schützen, auch seitens anderer Migrantengruppen. Etwa ein Drittel der Bewohner ist nach Angaben der Verwaltung russischsprachig. Es sind Flüchtlinge aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion - aus Moskau, Kiew, Chisinau und anderen Städten. Innerhalb dieser Gruppe kommt es zu den meisten Konflikten im Wohnheim.
Alik ist eher klein, schwarz gekleidet und trägt kurze Haare. Er selbst betrachtet sich nicht als Mann. Binäre Geschlechtsidentitäten lehnt er generell ab. Ihm zufolge bestehen unter den Bewohnern der Unterkunft Vorurteile. Alik beklagt Transphobie, also Feindseligkeit gegen Menschen mit nicht eindeutigen Geschlechtsidentitäten, Rassismus, sowie Frauen- und Behindertenfeindlichkeit. Die Erfahrung der LGBT-Flüchtlinge, in ihrer Heimat Verfolgung ausgesetzt gewesen zu sein, sorge nicht immer für Solidarität und Mitgefühl untereinander, sondern schlage manchmal ins Gegenteil um. Alik sagt, einige Mitbewohner hätten sich in Berlin von Opfern zu Tätern entwickelt.
Schnell verflogene Euphorie
Lew, der ebenfalls in dem Wohnheim lebt, erinnert sich, welche Euphorie ihn erfasst habe, als er zum ersten Mal sein Land verließ. "Man bekommt Essen. Wow! Man hat ein eigenes Bett. Wow! Doch dann beginnen die Probleme mit dem Status. Und wenn man zum ersten Mal Migrantenfeindlichkeit zu spüren bekommt, fühlt man sich hilflos", sagt er.
Die Bearbeitung von LGBT-Flüchtlingsfällen dauert oft Jahre. In der Regel fällt die erste Entscheidung über einen Asylantrag negativ aus, wonach die Antragsteller meist Berufung einlegen. Es vergehen Monate, bis die Betroffenen einen rechtlichen Status erhalten. Bei Ablehnungen werden sie von der Polizei direkt aus ihren Unterkünften abgeschoben. All dies, so die Bewohner der LGBT-Unterkunft, wirke sich negativ auf die Psyche der Menschen aus. "Natürlich sind wir empfindlich. Dies ist ein spezielles Wohnheim für Menschen, die besonderen Schutz benötigen. Ich habe ein dickes Fell, aber Veronika wurde fast in den Selbstmord getrieben", sagt Alik.
Suche nach Auswegen
Die Leiterin des Wohnheims, Antje Sanogo, bestätigt, dass es in der LGBT-Unterkunft Fälle von Gewalt gibt. Sie sagt, ihr Heim unterscheide sich, was seinen Status und die Finanzierung angeht, nicht von anderen Flüchtlingsunterkünften. Auch die Probleme seien die gleichen wie überall sonst. Der Mangel an Platz und Privatsphäre führe zu Stress und Konflikten. "Verschiedene Interessen prallen aufeinander. Man muss mit völlig fremden Menschen in einem Raum leben", so die Heimleiterin. Einen Ausweg sieht sie darin, dass Flüchtlinge die Unterkünfte so schnell wie möglich verlassen und in Wohnungen untergebracht werden. "Aber auch das ist kompliziert, weil es sehr schwierig ist, in Berlin eine Wohnung zu finden", so Sanogo. Außerdem würden Flüchtlingsfälle sehr lange geprüft.
Der Reaktion der Heimleitung nach zu urteilen, betrachtet sie die Verprügelung von Veronika als internen Alltagskonflikt, der durch objektive Faktoren wie Platzmangel und schwierige Lebensbedingungen verursacht wurde. Die von Veronikas Freunden organisierte Initiativgruppe gegen Diskriminierung ist hingegen der Ansicht, dass Veronika Opfer von Transphobie und Intoleranz geworden ist. Die Unterdrückung von Schwächeren sei in Flüchtlingsheimen zu einem Problem geworden, das endlich angegangen werden müsse. "Man sollte wenigstens einmal pro Woche einen Kurs über gewaltfreie Kommunikation organisieren", meint Alik.