Sorge um Gas-Defizit in Russland
11. Januar 2007In einer Umfrage des Russischen Zentrums für Meinungsforschung über die wichtigsten Ereignisse des Jahres 2006 kommt das Wort "Gas" nicht vor. Wie es scheint, haben die Russen nicht bemerkt, was auf dem Energiemarkt geschieht. Experten hingegen ist es aufgefallen.
Der Politikwissenschaftler Dmitrij Oreschkin meint, die 2006 begonnenen Gaskriege seien die wichtigsten Ereignisse des vergangenen Jahres. Er erläuterte, warum dies den russischen Bürgern trotzdem nicht aufgefallen sei: "Das ist qualitativ eine andere Herangehensweise: wir stellen die Politik über die Wirtschaft. Das ist die eine Seite der Sache. Die andere Seite besteht darin, dass dieses Vorgehen de facto die ‚Auslöschung‘ der GUS bedeutet. Gleichzeitig hat sich das Verhältnis Russlands zur Europäischen Union und zu den Vereinigten Staaten verändert. Für die Menschen ist dies aber von zweitrangiger Bedeutung. Sie machen sich über gewöhnliche Ereignisse des Lebens größere Sorgen, und das ist natürlich."
Regierung prognostiziert Gasdefizit
Kaum wahrgenommen wurde auch die Erklärung von Premierminister Michail Fradkow im Herbst vergangenen Jahres im Zusammenhang mit den Vorbereitungen des Landes auf den Winter. Fradkow sagte damals: "Es sind größte intellektuelle Anstrengungen nötig, um das wachsende Defizit bei der Gasversorgung abzubauen, und zwar so, dass dabei die Inflation nicht angeheizt wird und die Verbraucher ausreichend versorgt werden."
Nach Schätzungen des russischen Energieministeriums wird das Gasdefizit im Jahr 2007 mehr als vier Milliarden Kubikmeter betragen und künftig noch weiter zunehmen. Diese Zahlen müsse man ernst nehmen, meinen Experten, da das Defizit höchstwahrscheinlich die Erhöhung der Gaspreise im Inland zur Folge haben werde.
Dass die Menschen in Zentralrussland bislang kein Gasdefizit zu spüren bekamen, kommt den Monopolisten nur gelegen. In Kaliningrad hingegen herrscht inzwischen Angst vor dem bevorstehenden Gasdefizit. Befürchtet wird dort nicht nur ein Anstieg der Preise, sondern gerade ein Defizit. Der Gouverneur des Gebiets Kaliningrad, Georgij Boss, zeigte sich am Silvesterabend bemüht, die Stimmung zu beruhigen: "Wir im Gebiet Kaliningrad erhalten nicht einen Teil des belarussischen Gases, sondern russisches Gas, das über belarussisches Territorium zu uns gelangt."
Bewusste Politik des Kreml?
Wenn Gasprom in die Situation kommen sollte, die Menge des zu exportierenden Gases zu erhöhen, um Vertragsverpflichtungen nachzukommen, dann werden die Menschen im Inland das Gasdefizit zu spüren bekommen. Der ehemalige Wirtschaftsberater des Präsidenten, Andrej Illarionow, schließt nicht aus, dass dies Teil der Politik ist, die Gasprom verfolgt. Mit Sicherheit sei dies Teil aber der Politik der heutigen russischen Staatsmacht, meinte Illarionow.
"Das ist der Übergang zu einer Aggression nach innen, die zu Beginn des ersten Gaskriegs gegen die Ukraine offensichtlich wurde, mit Eröffnung der ukrainischen Front. Wonach die Eröffnung der moldauischen Front folgte, dann die der georgischen, der aserbaidschanischen, der litauischen und der polnischen", betonte Illarionow. Lediglich der bisher ungewöhnlich warme Winter habe die Menschen in Russland bislang verschont. Aber das Wetter könne sich bekanntlich ändern.
Jegor Winogradow
DW-RADIO/Russisch, 2.1.2007, Fokus Ost-Südost