Sollte die Polizei die Herkunft von Verdächtigen offenlegen?
11. August 2024Es gibt mehr Gewaltdelikte, Vergewaltigungen, Diebstähle und Wohnungseinbrüche in Deutschland. Die Zahl der registrierten Straftaten hat im vergangenen Jahr eine Rekordhöhe erreicht. Die Kriminalitätsquote stieg insbesondere bei Menschen ohne deutschen Pass deutlich an – um 13,5 Prozent.
Das hat viele Politiker aufgeschreckt und politische Debatten ausgelöst. Unter anderen darüber, ob die Polizei immer die Nationalität von Tatverdächtigen nennen soll. Unbedingt, meint nun der Generalsekretär der liberalen FDP, die Teil der Regierungskoalition ist. Bijan Djir-Sarai sagte der Zeitung Bild am Sonntag: "Die Behörden sollten deshalb künftig bei Auskünften über Straftaten stets die Nationalität der Tatverdächtigen nennen, um die notwendige Transparenz zu schaffen. (…) Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass Probleme unter den Teppich gekehrt werden."
Geteiltes Echo aus der Politik
Für seinen Vorstoß erhielt Djir-Sarai Unterstützung seiner FDP und auch der konservativen Opposition von CDU/CSU. Dass Strafverfolgungsbehörden bundesweit die Staatsangehörigkeit von mutmaßlichen Tätern nennen sollen, sorge für "Transparenz und Glaubwürdigkeit", hieß es bei den Konservativen. Der rechtspopulistischen AfD geht der Vorschlag nicht weit genug. Auch, ob die Tatverdächtigen Migranten seien - also Menschen mit deutschem Pass aber ausländischen Wurzeln - sollte in den Polizeimeldungen klar erkennbar sein. SPD und Grüne sind entschieden gegen den Vorstoß von Djir-Sarai. Sie wollen an den bisherigen Regelungen festhalten.
Dass die Debatte in Deutschland hitzig geführt wird, erstaunt den Juristen und Kriminologen der Universität Münster, Christian Walburg, nicht. Der DW sagt er im Interview: "Die rechten Akteure haben schon lange erkannt, dass sie mit diesem Thema besonders gut Stimmung machen können. Kriminalität ist wie kein anderes Thema dazu geeignet, Abneigungen, Ängste, Sorgen, Befürchtungen und Ressentiments zu schüren."
Zuständig sind die Polizei- und Justizbehörden in den 16 Bundesländern. Sie entscheiden, in welchen Fällen sie die Nationalität von Tatverdächtigen nennen und an die Presse weitergeben. Kriminologe Walburg: "Auch jetzt wird schon vielfach bei gravierenderen Vorfällen und Delikten die Staatsangehörigkeit genannt. Und wenn ein Flüchtlingsbezug da ist, diskutiert ganz Deutschland darüber."
So war es zum Beispiel Ende 2015, als insbesondere Frauen in der Nähe des Kölner Hauptbahnhofs Opfer sexueller Belästigungen wurden. Nach anfänglicher Zurückhaltung berichtete die Presse auch über die Nationalität der Verdächtigen. Viele kamen aus Nordafrika und waren keine deutschen Staatsbürger.
Pressekodex als Richtlinie
Die meisten Pressestellen der Justiz- und Polizeibehörden orientieren sich bei ihrer Öffentlichkeitsarbeit am Kodex des Deutschen Presserats. Darin heißt es, dass die Nationalität grundsätzlich in der Berichterstattung keine Rolle spielen sollte. Anders sei es nur, wenn "ein begründetes öffentliches Interesse" an der Herkunft von Verdächtigen besteht. Die Nennung der Nationalität dürfe nicht zu "einer Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führen".
Flüchtlingsinitiativen, Amnesty International und Journalistenverbände befürchten, dass eine Nennung der Nationalität in grundsätzlich allen Fällen Vorurteile bestärkt, Ängste schürt und Rassismus fördert.
Die Polizei "sollte schon die Behörde sein, die entscheidet, was genannt werden darf oder nicht", sagt Henrik Zörner vom Deutschen Journalisten Verband der DW. "Wir halten von diesem Vorstoß überhaupt nichts. Es besteht nämlich die Gefahr, dass die Nennung der Nation, beziehungsweise ethnischen Herkunft von Straftätern überhandnimmt, und dass der im Deutschen Pressekodex verankerte Schutz von Minderheiten damit ausgehöhlt wird."
Auch Nordrhein-Westfalen will Nennung zur Norm machen
Einige Bundesländer veröffentlichen schon seit einiger Zeit immer die Nationalität von Strafverdächtigen; zum Beispiel Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen. Auch das bevölkerungsreichste Bundesland, Nordrhein-Westfalen (NRW), will das zukünftig so praktizieren. Man wolle Transparenz schaffen, erklärte das Innenministerium.
Kriminologe Christian Walburg befürchtet "diskriminierende Nebenwirkungen", benennt aber auch einen Vorteil: "Es bedeutet für die Polizeibehörden eine gewisse Entlastung, wenn sie die Nationalität einfach generell in jeder Pressemeldung nennen."
In mehreren weiteren Bundesländern wird die bisher eher zurückhaltende Praxis in Bezug auf Nennung der Nationalität derzeit überprüft. Ob die Neuregelung aus NRW und der Vorschlag des FDP-Politikers Djir-Sarai Schule machen werden, ist offen. Jedes Bundesland entscheidet das eigenständig.