Soll Deutschland wieder Schulden machen?
10. September 2019Auf den ersten Blick ist alles wie immer: Nach zehn Wochen Sommerpause hat der Bundestag mit einer Debatte über den Haushaltsentwurf seine Arbeit wieder aufgenommen. Der Finanzminister, also Olaf Scholz, hat in einer 45-minütigen Rede seine Pläne für den Etat 2020 vorgestellt. Damit ist der politische Streit eröffnet, der in dieser Woche das Plenum und in den nächsten Monaten die Parlamentsausschüsse maßgeblich beherrschen wird. Erst Ende November wird feststehen, was der Staat auf Bundesebene im kommenden Jahr ausgeben darf und wofür.
Die Eckdaten des Haushaltsentwurfs sind schnell genannt: Ausgaben in Höhe von rund 360 Milliarden Euro stehen Einnahmen in der gleichen Höhe gegenüber. Jeder zweite Euro wird für Soziales ausgeben, also vor allem für Rentenzahlungen, Krankenversicherung und Familienförderung. 40 Milliarden Euro sind für Investitionen vorgesehen, also beispielsweise für den Bau von Straßen, Brücken und Schienen, aber auch für den Ausbau des digitalen Netzes.
Mehr Geld für die Bundeswehr
Für die Verteidigung sind über sechs Milliarden Euro mehr eingeplant, damit die NATO-Quote, die den Anteil der Verteidigungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) misst, auf 1,37 Prozent steigen kann. Parallel steigen auch die Mittel für die Entwicklungshilfe auf etwas mehr als zehn Milliarden Euro. Die ODA-Quote, die die Mittel für die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit bemisst, liegt damit bei 0,51 Prozent des BIP. Das sei Rekordniveau, heißt es im Finanzministerium. Alle eingegangenen internationalen Verpflichtungen könnten eingehalten werden.
Tatsächlich aber herrscht in der aktuellen Haushaltsdebatte alles andere als Klarheit. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik hat ein Finanzminister einen Haushaltsentwurf vorgelegt, der nicht vollendet ist. Ein zentraler Posten fehlt. Es sind die Kosten für das große Klimaschutzgesetz, das die Bundesregierung am 20. September vorlegen will. Zählt man alle Ideen zusammen, die Eingang in das Gesetz finden könnten, kommen leicht 30 Milliarden Euro zusammen.
Wer soll das bezahlen?
Die Oppositionsparteien im Parlament sind empört. Der AfD-Haushaltsexperte Peter Boehringer spricht von einer "parlamentarischen Zumutung". Auch der grüne Haushaltsexperte Sven-Christian Kindler kritisiert, ohne Berücksichtigung der Klima-Entscheidungen bleibe der Haushalt bloß "Stückwerk" und das sei "brandgefährlich".
Die Regierungsparteien lassen sich davon nicht erschüttern. Es bleibe genug Zeit, die zusätzlichen Kosten einzuarbeiten und zu diskutieren, heißt es beschwichtigend aus der SPD. Bundesfinanzminister Olaf Scholz nennt zwar keine konkreten Zahlen, lässt aber keinen Zweifel daran, dass es teuer werden wird. "Wir werden nicht mit kleinen Maßnahmen durchkommen", sagt er und beschwört einen "nationalen Konsens über die Parteigrenzen hinweg". Es sei fünf vor zwölf.
Die "schwarze Null" und das Klima
"Wir müssen jetzt handeln", sagt Scholz. Das würden die Bürger von der Regierung und vom Parlament "zu Recht" erwarten. "Die Aufgabe, den menschengemachten Klimawandel aufzuhalten und gleichzeitig ein wirtschaftlich erfolgreiches Land zu bleiben, das hochmoderne, hochtechnologische Arbeitsplätze bietet und auf dem Weltmarkt weiter wettbewerbsfähig ist, das ist eine ganz zentrale Herausforderung, die wir gemeinsam schultern müssen."
Aber wie soll das möglich sein, wenn im Haushaltsentwurf für 2020 eigentlich kein Geld mehr übrig ist, das noch nicht verplant ist?
Kaum etwas anderes wird im politischen Berlin derzeit so heftig diskutiert wie die Zukunft der "schwarzen Null". Damit ist gemeint, dass die Ausgaben die Einnahmen nicht übersteigen dürfen, der Haushalt also ausgeglichen ist. 2014 gelang das einem Bundesfinanzminister zum ersten Mal wieder seit 1969. In den Jahren dazwischen wurden stets neue Schulden gemacht, um den Bundeshaushalt zu finanzieren. Mit dem Ergebnis, dass der Bund heute immer noch 1,2 Billionen Euro Schulden hat.
(Kleine) Kredite sind weiter möglich
2011 wurde die sogenannte Schuldenbremse ins Grundgesetz aufgenommen. Sie verbietet dem Staat, über Gebühr neue Schulden zu machen. Die Grenze liegt bei 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das wären laut Bundesfinanzministerium im kommenden Jahr rund zehn Milliarden Euro. Die CDU will das nicht. Wie keine andere Partei hängt sie an der schwarzen Null, also dem Gebot, gar keine Schulden zu machen.
Für die CDU kommt daher nicht in Frage, zur Finanzierung des Klimaschutzes Kredite aufzunehmen. Stattdessen müsse es eine Überprüfung aller im Haushalt vorgesehenen Ausgaben geben, "ein Check von Kopf bis Fuß", wie der stellvertretende CDU-Vorsitzende Andreas Jung im Bundestag forderte. Dann müssten Prioritäten gesetzt und es müsse an anderer Stelle gekürzt werden.
Sparen nützt - oder auch nicht
Das wird in der Opposition, aber auch in weiten Teilen der SPD ganz anders gesehen. Grünen-Chef Robert Habeck fordert, der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse eine Investitionsklausel zur Seite zu stellen. Damit soll die Bundesregierung dazu verpflichtet werden, zumindest so viel Geld in Straßenbau, Schulen und digitale Infrastruktur zu strecken, dass die Substanz erhalten wird. Zur Not auch mit Hilfe neuer Schulden.
Dafür gibt es Rückendeckung vom Institut der deutschen Wirtschaft. Dessen Direktor Michael Hüther hat Habecks Idee eines Investitionsfonds begrüßt. Das Beharren auf der schwarzen Null in der CDU sei eine "ideologische Blockade". Die Fixierung auf einen ausgeglichenen Haushalt gefährde die Zukunft des Landes.