Soldatinnen der ukrainischen Armee beklagen Diskriminierung
8. Oktober 2023"Leider ist der Kompaniechef kategorisch gegen Frauen", sagt Lesja Handscha, die zur Luftaufklärung einer anderen Brigade der ukrainischen Armee wechseln wollte. In die Armee trat sie gleich zu Beginn des umfassenden Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine ein und kam zur Infanterie. Sie diente in den Regionen Kiew und Charkiw.
"Ich bin zur Armee gegangen, um die Ukraine zu verteidigen, um direkt an den Kampfhandlungen teilzunehmen", betont Handscha. Ihr seien wiederholt Aufgaben im Hinterland vorgeschlagen worden, doch schließlich sei es ihr gelungen, zur Luftaufklärung einer Brigade in der Region Donezk zu kommen.
Die 28-jährige Julia Mykytenko hatte zum Zeitpunkt des russischen Angriffs am 24. Februar 2022 bereits den Rang eines Offiziers inne. Sie trat 2016 in die Armee ein und wollte bei der Aufklärung tätig werden. Doch aufgrund ihres Geschlechts wurde sie abgelehnt. Nach ihrem Dienst in einem militärischen Stab absolvierte Mykytenko eine Fortbildung und erlangte so den Rang eines Unterleutnants.
"Als ich das Kommando über eine Aufklärungstruppe erhielt, wechselten 80 Prozent der Leute, die dort dienten, in andere Truppen, nur weil eine Frau Kommandantin ist", erinnert sich Mykytenko.
"Formell stehen Frauen alle Posten offen"
Seit 2014 leisten Frauen Dienst an der Front, sagt Hanna Hryzenko vom Bürgerrechtsprojekt "Invisible Battalion", das sich für die Gleichstellung der Geschlechter in den ukrainischen Streitkräften einsetzt. Die Forschungsgruppe der NGO recherchiert über Frauen in der Armee, zeigt Probleme auf und sucht nach Lösungen.
"Die meisten Posten, die mit Kampfeinsätzen zu tun hatten, waren Frauen verschlossen. Trotzdem hatten sie entsprechende Aufgaben ausgeübt, ohne jegliche Registrierung und dementsprechend ohne Sold und weitere soziale Garantien. Oder sie wurden formal für Posten wie Köchinnen oder Näherinnen angemeldet", erzählt Hryzenko. Im Falle einer Verwundung sei es schwierig gewesen zu erklären, warum sie überhaut im Kampfeinsatz waren. Auf Druck der Öffentlichkeit wurde Frauen im Jahr 2018 schließlich gesetzlich erlaubt, Posten auch für Kampfeinsätze zu übernehmen.
Nachdem Julia Mykytenko 2017 das Kommando über eine Aufklärungstruppe übernommen hatte, versuchte sie zunächst, das Vertrauen ihrer Kollegen zu gewinnen. "Ich war bei allen Einsätzen immer dabei. So habe ich mir nach und nach einen Namen gemacht. Einige, die kategorisch gegen mich waren, kamen später zur Truppe zurück. Es stellte sich heraus, dass es gar nicht so schlimm ist, in einer Einheit zu dienen, die von einer Frau kommandiert wird", sagt sie.
"Solange es keinen Personalmangel gibt, wird der Wunsch von Frauen zu dienen nur als eine Laune wahrgenommen", fügt Lesja Handscha hinzu. Ihren Beobachtungen zufolge ist die Haltung gegenüber Frauen in der Armee nicht die gleiche wie gegenüber Männern. Als ihr Kommandeur beispielsweise Soldaten für einen Einsatz in der Region Kiew rekrutiert habe, seien sie und zwei weitere Soldatinnen einfach übergangen worden. Das Argument, Frauen zu schonen, bezeichnet sie als "weiche Diskriminierung". "Formell stehen Frauen alle Posten für Kampfeinsätze offen, aber in Wirklichkeit muss man sie sich erkämpfen", sagt Hanna Hryzenko.
Sexuelle Belästigung im Dienst
Julia Mykytenko erinnert sich an unangemessene Witze und Andeutungen von Kollegen zu Beginn ihrer Karriere. "Ich musste in solchen Fällen grob und hart reagieren, es ging einfach nicht anders. Mein Mann, der auch beim Militär war, hat mir mit Ratschlägen geholfen, mich emotional unterstützt und auch physisch beschützt. Doch als er gefallen war, kamen von mehreren Offizieren völlig unangemessene Bemerkungen", sagt sie. Dies sei einer der Gründe, warum sie ihren Dienstort gewechselt habe.
Lesja Handscha glaubt, dass ihr Alter sie vor Belästigungen bewahrt. "Junge Frauen verteidigen sich auf eigene Art, meistens finden sie für sich einen Beschützer. Eine junge Frau hat mir von Belästigungen berichtet. Gleich am ersten Tag habe der Kommandeur ihr gegenüber Andeutungen gemacht, die sie abgelehnt habe. Damit sei die Sache erledigt gewesen. Aber ich weiß, dass es in einer anderen Kompanie härter zuging und eine junge Frau zu einer anderen wechseln musste", sagt sie.
Mehrere Menschenrechtsorganisationen helfen Soldatinnen, die sexuelle Belästigung erlebt haben. "Wir hatten mehrere Gesprächspartner, die uns anonym von solchen Fällen erzählt haben. Aber wir wissen immer noch nicht, wie die Zahlen tatsächlich aussehen", sagt Hanna Hryzenko von der NGO "Invisible Battalion".
Frauen an Militärschulen und im Offiziersrang
Die Aktivistin macht auf ein weiteres Problem aufmerksam, das den Zugang von Frauen zur militärischen Ausbildung betrifft. "Für Frauen gibt es Hürden bei der Aufnahme. Dabei handelt es sich natürlich eher um informelle als um formelle Hürden", stellt Hryzenko fest.
Seit 2019 dürfen junge Frauen in der Ukraine Militärschulen besuchen und Julia Mykytenko übernahm in Kiew die Leitung der ersten weiblichen Teileinheit einer Ausbildungskompanie. "Mehr als die Hälfte des Schulpersonals lehnte kategorisch eine Teileinheit aus Frauen ab", erinnert sie sich und fügt hinzu: "Ich stehe dem positiv gegenüber, denn viele junge Frauen, die als erste aufgenommen wurden, waren sehr motiviert. Sie haben bessere Leistungen als die jungen Männer gezeigt, vor allem im Unterricht, aber auch beim körperlichen Training zeigten sie sehr gute Ergebnisse."
In ihrem aktuellen Bericht stellen die Forscher des "Invisible Battalion" eine weitere positive Entwicklung fest. Demnach sind immer mehr Frauen im Offiziersrang. Während es im Jahr 2014 etwas mehr als 1600 weibliche Offiziere in der ukrainischen Armee gab, sind es heute mehr als 5000. Darüber hinaus wurde im Jahr 2021 erstmals eine Frau, die Kommandeurin der Sanitätskräfte, Tetjana Ostaschtschenko, in den Generalsrang erhoben.
Adaption aus dem Ukrainischen: Markian Ostaptschuk