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So nah und doch so unwirklich

Joscha Weber (z.Zt. in Rio de Janeiro)14. Juli 2014

Deutschland ist Fußball-Weltmeister 2014. DW-Reporter Joscha Weber ist ganz nah dabei als es passiert - und kann es genau deshalb noch gar nicht richtig begreifen.

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FIFA 2014 WM Siegesfeier Maracana Stadion 13.07.2014 Joscha Weber
Bild: DW/J. Weber

Die WM ist vorbei, doch im Flutlicht der Copacabana geht sie weiter. Barfuß wetzen hier die eigentlichen Stars dieses Fußballfests durch den Sand: die Fans. Es ist ein ziemlich buntes Match, das hier am berühmtesten Strand Brasiliens gespielt wird. Argentinier spielen gemeinsam mit Kolumbianern gegen einen interessanten Mix aus Mexikanern, Deutschen und Brasilianern - jedenfalls ihren Trikots nach zu urteilen. Die Partie ist ein ziemliches hin und her, mit Chancen auf beiden Seiten und auch ein paar haarsträubenden Abwehrfehlern - also eigentlich fast eine Kopie des WM-Finales was eben ein paar Kilometer weiter nördlich im Maracana zu Ende gegangen ist.

Es ist inzwischen 2 Uhr morgens und mich führt mein Weg zum Hotel vorbei an diesem packenden Spiel am Strand. Ich bleibe eine Weile stehen und schaue gedankenverloren zu. Der unterhaltsame Kick im Sand ist genau das richtige, um runterzukommen, die Eindrücke dieses denkwürdigen Abends sacken zu lassen. Eben war ich noch auf der Haupttribüne des Maracana und habe ein paar Reihen unter mir Philipp Lahm den WM-Pokal in die Höhe strecken sehen. Ein unbeschreibliches Bild und doch von so nah irgendwie unwirklich. Die deutsche Mannschaft feierte ausgelassen auf dem Rasen während ich oben auf der Tribüne die Tastatur meines Laptops zum Glühen brachte. Der Blick schwenkte ständig hin und her zwischen dem leuchtenden Display meines Rechners und dem Geschehen dort unter mir. Alles aufsaugen, die Eindrücke notieren und analysieren.

Ein privilegierter, aber steriler Blick

Der Blick von der Pressetribüne auf die vor Freude hüpfenden Nationalspieler ist ein privilegierter, zugleich aber auch ein steriler. All die Gefühle, die nebenan im deutschen Fanblock zu beobachten waren - Tränen, Jubelschreie und glückselige Gesänge - sind hier fehl am Platze. Um mich herum herrschte hektische Betriebsamkeit. Die Print-Kollegen kämpften mit dem Redaktionsschluss, die Radiokollegen kommentierten live und einige TV-Kollegen mussten mal wieder vor dem Abpfiff verschwinden, um ihre Kamerapositionen früh genug einzunehmen. Keine Zeit für Emotionen.

Doch wer nicht wirklich erlebt und erfühlt, was passiert, dem fehlt etwas. Das merke ich erst jetzt hier am Rande des Strandfußball-Spiels auf der Copacabana. Mein Heimatland Deutschland ist gerade Weltmeister geworden, sage ich still vor mich hin, während ich im Sand sitze. Puh! Fünf Wochen lang habe ich die deutsche Mannschaft auf ihrem Weg begleitet, mal kritisch, mal lobend, immer so nah wir möglich. Nun hat sie das erreicht, was sie sich vorgenommen hat: den WM-Titel nach 24 Jahren wieder nach Deutschland zu holen.

Langsam beginne ich zu begreifen

Viel Respekt hat sich die Elf aus Alemanha bei dieser Weltmeisterschaft erspielt und erarbeitet: Egal ob Brasilianer, Kolumbianer, Franzosen oder sogar Argentinier - alle loben sie hier in dieser Nacht von Rio das Team von Bundestrainer Löw: "tolle Spieler", "gute Taktik", "ein brillantes Tor". Fast alle sind sich hier auf der Copacabana einig: Deutschland ist ein verdienter Weltmeister. Und so langsam fange auch ich an, das zu realisieren.