Auf der Suche nach neuen Zielen
27. Januar 2014Das Video beginnt mit durchdringenden Paukenschlägen, dazu tauchen die verschneiten Dächer Moskaus auf - dann sagt eine Stimme aus dem Off: "Auftakt zu einem weltexklusiven Interview mit Edward Snowden. Unter konspirativen Umständen trifft sich der Journalist Hubert Seipel mit Snowden." In dramatischer Aufmachung hat der deutsche Fernsehsender ARD am Sonntagabend (26.01.2014) ein Gespräch mit Edward Snowden ausgestrahlt. Es ist das erste Fernsehinterview des Whistleblowers seit seiner Flucht aus den USA im vergangenen Sommer.
Der Journalist Hubert Seipel ist unter anderem als Autor einer Reportage über den russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin bekannt geworden. "Seine Hartnäckigkeit und seine Verbindung zu den Leuten von Putin haben ihm geholfen, dieses Interview zu bekommen", glaubt sein Kollege Hans Leyendecker, der das Investigativ-Team der Süddeutschen Zeitung leitet. Die SZ gehört zu den Medien in Deutschland, die mit den Enthüllungsdaten von Edward Snowdens arbeiten konnten.
Überraschende Enthüllungen kaum mehr möglich
Im Interview schildert Snowden detailliert das Ausmaß der Abhörpraktiken seines ehemaligen Arbeitgebers, des US-Geheimdienstes NSA. Zur Sprache kommen auch die Überwachung von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Spionage in Wirtschaftsunternehmen, die Zusammenarbeit zwischen der NSA und dem deutschen Bundesnachrichtendienst - Details, die in den vergangenen Monaten bereits schrittweise ans Licht gekommen sind, lanciert von den Journalisten, denen Snowden sein gesammeltes Material anvertraute. In den deutschsprachigen Medien wurden nach dem Interview vor allem Snowdens konkrete Hinweise zur Wirtschaftsspionage hervorgehoben, außerdem seine Andeutungen, dass die Kanzlerin bei weitem nicht die einzige Politikerin in Deutschland sei, auf die sich die Abhöraktionen der NSA richteten.
Bei der Frage, welche neuen Erkenntnisse das Snowden-Interview geliefert hat, verweist Investigativ-Journalist Hans Leyendecker auf die bisherige Dimension der Snowden-Enthüllungen: "Wir haben in der Diskussion das Problem, dass man sehr früh gesagt hat, es ist alles total überwacht worden." Auf dieser Basis sei es schwierig, in Sachen Überwachung weitere überraschende Informationen hervorzubringen. Zu dieser Einschätzung passt, dass der Inhalt des Interviews mit Edward Snowden in den sozialen Netzwerken in Deutschland keine hohen Wellen schlug - die Netzwelt debattierte vielmehr darüber, weshalb das Interview im deutschen Fernsehen einen wenig prominenten Sendeplatz am späten Abend bekam.
"Kein Überblick über Berg geheimer Daten"
Snowden spricht im Interview zwar mit eindringlicher Stimme - doch an manchen Stellen scheint es, als wolle er sich mit Informationen nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Auf die Frage, ob in Deutschland schon Regierungen vor Angela Merkel abgehört worden seien, antwortet er mit einer Gegenfrage: "Wie logisch ist es anzunehmen, dass sie das einzige Regierungsmitglied ist, das überwacht wurde?" Und als der Interviewer wissen will, ob der Bundesnachrichtendienst aktiv Daten deutscher Bürger an die NSA weitergebe, weicht Snowden aus: "Es ist mir lieber, wenn Journalisten entscheiden, was im öffentlichen Interesse liegt und was veröffentlicht werden sollte."
Der Journalist Hans Leyendecker erklärt diese Zurückhaltung unter anderem damit, dass Snowden keinen kompletten Überblick über die Berge an Datenmaterial habe, die er sich von der NSA beschafft hat: "Diese Dokumente gehen wie ein Spielball um die Welt, aber Snowden selbst hat sie physisch nicht zur Verfügung", sagt Leyendecker im DW-Interview. Die Abgabe der Dokumente galt als Bedingung für sein Asyl in Moskau.
Bundesregierung lehnt Asyl für Snowden ab
Darüber hinaus geht Leyendecker davon aus, "dass Snowden Moskau verlassen will - und dass er ein bisschen verzweifelt nach einem Ort sucht, wo er aufgenommen wird." Im August läuft Snowdens Bleiberecht in Russland aus. Im ARD-Interview äußerte er die Hoffnung auf eine Einigung mit den Behörden seines Heimatlandes. US-Justizminister Eric Holder hat in US-amerikanischen Medien klargestellt, für Lösungen im Falle Snowdens offen zu sein - ein Gnadenerlass komme allerdings nicht in Frage.
In Deutschland darf der Whistleblower offenbar nach wie vor nicht auf Asyl und Schutz hoffen. Der Grünen-Abgeordnete Christian Ströbele plädierte im Interview mit der Deutschen Welle zwar dafür, Snowden für eine Befragung vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Abhöraffäre nach Deutschland einzuladen und ihm Schutz zu bieten. Doch die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Wirtz erteilte dem Ansinnen eine Absage: "Die Voraussetzungen, dass Herr Snowden hier Asyl bekommen könnte, liegen nicht vor, und dabei bleibt es."