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"Unzureichende Überwachung"

Esther Felden21. August 2013

300 Tonnen hochradioaktives Wasser sind aus einem Auffangtank im AKW Fukushima ausgetreten. Weitere Lecks werden befürchtet. Laut Greenpeace-Atomexperten Heinz Smital mangelt es an Kontrollen.

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Kernphysiker und Greenpeace-Atomexperte Heinz Smital © Axel Kirchhof / Greenpeace)
Kernphysiker und Greenpeace-Atomexperte Heinz SmitalBild: Axel Kirchhof/Greenpeace

Deutsche Welle: Herr Smital, in Fukushima ist das bislang größte radioaktive Leck seit der Havarie des Reaktors im Frühjahr 2011 entdeckt worden. Die japanische Atomaufsicht hat die Warnstufe auf der siebenstufigen internationalen Krisenskala erstmals auf drei von sieben hochgestuft. Was heißt das übersetzt, wie ernst ist der Zwischenfall?

Heinz Smital: Das ist ein ernster Zwischenfall, der vermeidbar gewesen wäre. Es geht im Prinzip darum, Wasser in Stahltanks aufzubewahren. Man hat das Leck erst entdeckt, nachdem der Wasserspiegel in den Tanks um mehrere Meter gesunken war. Das zeigt, dass die Überwachung und die Konzentration auf diese schwierige Situation völlig unzureichend ist.

Sie sprechen von vermeidbar: Was hätte man denn konkret machen müssen?

Man hätte die Überwachung verstärken müssen. Es handelt sich hier um eine hochradioaktive Flüssigkeit, und ein Sinken des Wasserspiegels hätte früher erkannt werden müssen und nicht erst, nachdem eine so große Menge Wasser ausgelaufen ist. Man geht von etwa 300 Tonnen aus, und die Strahlung dieser Flüssigkeit ist mit 80 Millionen Becquerel pro Liter sehr hoch.

Was bedeutet dieser Wert für einen Menschen, wie lange kann ein Mensch einer solchen Strahlenbelastung ausgesetzt sein?

Das eine ist die direkte Dosisleistung, die in der Nähe der Pfütze mit etwa 100 Millisievert pro Stunde gemessen wurde. Da kann man sich nur sehr kurz aufhalten. Der Grenzwert für die normale Bevölkerung liegt bei einem Millisievert pro Jahr, bei Kraftwerksmitarbeitern sind es 20 Millisievert. Das bedeutet in diesem Fall, dass man schon innerhalb von einer Stunde eine zu hohe Dosis abbekommen würde und dass man sich dort höchstens für einige Minuten aufhalten kann.

Nach Angaben der japanischen Atomaufsichtsbehörde sind die Strahlenwerte außerhalb der Anlage in Fukushima unverändert. Wie glaubwürdig ist diese Aussage in Anbetracht dieser dramatischen Zahlen?

Das Wasser ist wahrscheinlich erst einmal ins Erdreich gesickert, aber vermutlich gibt es auch Grundwasserströme. Das heißt, es ist anzunehmen, dass die Strahlung außerhalb der Anlage mit der Zeit immer mehr zunehmen wird. Man darf nicht vergessen: Obwohl sehr viel Strahlung ausgetreten ist, ist dennoch der Großteil der Radioaktivität noch immer in den Reaktoren. Es sind nur ganz wenige Prozent freigesetzt worden, das meiste ist noch in der Anlage. Und wenn das durch Wasser beständig in den Boden gelangt, dann wird es irgendwann eine große Grundwasserfahne geben, die vielleicht auch weitere Strecken zurücklegen können wird. (Anm.d.Red.: Mit Grundwasserfahne bezeichnen Experten die unterirdische Ausbreitung von Flüssigkeiten.)

Wie groß ist jetzt die Gefahr, dass verseuchtes Wasser durch Abflussrohre in den Pazifik gelangt?

Es hat immer schon Anzeichen gegeben, dass nach wie vor Radioaktivität ins Meer geleitet wird. Bis vor kurzem hat Tepco das noch abgestritten, obwohl Erkenntnisse dazu vorlagen. Vor ein paar Wochen hat Tepco dann zugegeben, dass eigentlich seit zwei Jahren jeden Tag etwa 300 Tonnen hochradioaktive Flüssigkeit ins Meer gelangen. Im Meer kann es sich sicher erst einmal etwas verteilen, aber dieser Verteilungseffekt ist nicht so groß, wie man das ursprünglich erwartet hatte. Man hatte zwischen den 50er und 70er Jahren Atommüll in dem Glauben versenkt, es würde sich so weit verdünnen, dass es ungefährlich würde. Dem ist aber nicht so. Durch Meeresströmungen und auch durch die Aufnahme von Pflanzen und Plankton kann Radioaktivität angereichert werden. In Organismen so kann ein Hundertfaches der Radioaktivität erreicht werden wie in der umgebenden Flüssigkeit.

Noch ist es offenbar nicht gelungen, das Leck genau zu lokalisieren. Laut Tepco wird der Inhalt des beschädigten Tanks jetzt in unversehrte Tanks gepumpt. Außerdem soll radioaktiver Boden und ausgetretenes Wasser entfernt werden. Ist das ausreichend – oder nur Flickschusterei?

Es ist sicher die Maßnahme, die ergriffen werden muss, wenn man nicht weiß, wo das Leck ist. Aber insgesamt braucht es eine größere Überwachung dieser Hunderten von Tanks mit jeweils 1000 Tonnen hochradioaktiver Flüssigkeit. Das ist viel zu wenig unter Kontrolle.

Von Anfang an standen Tepco und die japanische Regierung aufgrund ihres Krisenmanagements und ihrer Informationspolitik massiv in der Kritik. Werden die Betreiber aus dem jüngsten Zwischenfall lernen?

Solange im Vordergrund steht, neue Reaktoren anzuschalten, wird die nukleare Expertise, die ja im Prinzip in Japan vorhanden ist, nicht korrekt eingesetzt. Weil die Regierung das Ziel hat, neue Reaktoren anzuschalten, wird versucht, die ganze Situation in Fukushima herunterzuspielen. Die Fakten werden aber immer wieder ans Licht kommen. Es ist eine sehr schwierige Situation, der man anders begegnen müsste.

Heinz Smital ist Kernphysiker und Atomexperte bei der Umweltschutzorganisation Greenpeace Deutschland.