Smartphone als "Kaufhaus to go"
19. Juni 2014Ein Smartphone ist ein Mobiltelefon, das einfach mehr bietet: Man kann damit im Internet surfen, Filme drehen, ein "Selfie" schießen und es der Welt gleich zugänglich machen, Radio hören oder fernsehen - und einkaufen. Da ist es eigentlich nicht verwunderlich, dass auch ein Online-Händler ein eigenes Smartphone anbietet. Am Mittwoch (18.06.2014) hat in Seattle an der US-Pazifikküste der Online-Versandhändler Amazon sein eigenes Modell vorgestellt: das "Fire".
Viele Beobachter waren gespannt, was Amazon-Chef Jeff Bezos der Welt endlich präsentieren würde. Vor allem die Aussicht, Amazon werde ein Smartphone mit einem 3D-Display vorstellen, hatte viele geradezu elektrisiert. Christian Wölbert, Redakteur beim Computer-Magazin c't, rückt dieses Bild gerade: Nein, ein 3D-Display habe das "Fire" definitiv nicht. Es handele sich höchstens um eine Darstellung, die dem drei-dimensionalen Sehen näher käme als bei den herkömmlichen Bildschirmen.
Von vier Kameras beobachtet
Das Amazon-Smartphone ermögliche eine bessere Präsentation von Gegenständen. Drehe man das Smartphone, könne man quasi "hinter die Objekte schauen", so Wölbert: "Wenn man sich beim Online-Shopping Kleider anschaut, kann man die Vorder- und die Rückseite betrachten, ohne das man mit dem Finger rumwischen muss. Man schaut sozusagen einfach um die Ecke herum."
Das erreichen die Amazon-Entwickler mit einer ausgefeilten Kamera-Technik: Vier kleine Kameras, die um das Display herum angeordnet sind, filmen den Betrachter des Bildschirms und vermessen seine Position zur Darstellung. Schaut er von der Seite auf das Smartphone, verändert sich das Bild des dargestellten Gegenstands, als würde man ihn von der Seite betrachten.
Diese Kameras, die beständig auf den Nutzer gerichtet sind und alles registrieren, was er macht und wohin er schaut, könnten manch sensiblen Zeitgenossen abschrecken, meint Computer-Experte Wölbert: "Für Nutzer, die sich vor Dauerüberwachung fürchten, ist das sicherlich ein unangenehmer Gedanke. Aber Amazon beteuert, dass diese Kameras nur dazu da sind, den 3D-Effekt zu ermöglichen und nicht anderes machen."
Der Traum eines Verkäufers
Jeff Bezos verriet in Seattle auch, was das "Fire" hat, was alle anderen nicht bieten: Eine optimale Vernetzung zum Amazon-Verkaufsangebot. Der Nutzer fotografiert beispielsweise einen Gegenstand, das "Fire" erkennt ihn und bietet dem Nutzer dann diesen Gegenstand zum Kauf an – bei Amazon, versteht sich.
Über die Amazon-Cloud können alle Geräte mit dem gesamten Amazon-Angebot verbunden werden: Musiktitel oder Bücher, all das kann man speichern und abrufen – vom PC, vom E-Book-Reader und vom "Fire" aus. Man kann so sein Angebot verwalten und vor allem unkompliziert Neues dazukaufen. Das "Fire" mit seinem Kamera-System, sagt Christian Wölbert, diene "da als Waren-Scanner. Da kann man schnell etwas nachbestellen. Von daher kann man das schon als Kaufhaus in der Tasche bezeichnen."
Ein teures Telefon
Darüberhinaus biete das Smartphone aber nichts Neues: "Da ist nach heutigem Stand der Dinge nichts dabei, was das Leben der Nutzer vereinfacht." Mit anderen Worten: Das "Fire" habe "kein richtiges Killer-Feature, das den relativ hohen Preis rechtfertigt."
Das "Fire" wird nach Wölberts Ansicht keine ernsthafte Konkurrenz für die Platzhirsche auf dem Smartphone-Markt sein, für Samsung und Apple. Für deren Kunden sei ein neues Smartphone von einem anderen Anbieter generell nicht so interessant, denn "die Nutzer, die sich in den Clouds von Google oder Apple mit all ihren Apps eingerichtet haben, werden nicht so gern noch mal umsteigen."
Dazu käme der hohe Preis, so der Experte. Mit einem Vertrag bei AT&T kann man das "Fire" für rund 200 US-Dollar haben, aber ohne Vertrag werde es mehr als drei Mal so teuer: "Das ist auf Apple-Niveau und schon ein recht hoher Preis."
Aber für diesen Preis bekäme man ein Smartphone, mit dem man auch telefonieren kann, tröstet Christian Wölbert: "Smartphone-Nutzer telefonieren zwar weniger und chatten lieber, aber natürlich geht das auch."