Slowakei: Regierung im Sputnik-Impfschock
5. März 2021Es war eine Nacht-und-Nebel-Aktion. Am Montag dieser Woche lud der slowakische Premier Igor Matovič die Presse kurzfristig auf den Flughafen der Großstadt Košice im Osten des Landes ein. In der frühen Abenddämmerung stellte er sich vor die geöffnete Luke eines militärischen Frachtflugzeuges, im Laderaum waren Paletten mit der Aufschrift "Sputnik V" zu sehen.
Matovič verkündete, dass gerade 200.000 Dosen des russischen Impfstoffes eingetroffen seien und bedankte sich: Russland habe durch seine schnelle und pünktliche Lieferung bewiesen, dass es ein "verlässlicher Partner" sei, "auf den wir in dieser schweren Zeit zählen können".
Der Auftritt des Regierungschefs und Chefs der Partei "Gewöhnliche Leute und unabhängige Persönlichkeiten" (OľaNO) führte zu einem politischen Erdbeben: Die Vier-Parteien-Koalition, die vor knapp einem Jahr mit großen Reformversprechen und mitten im ersten Corona-Lockdown ihr Regierungsamt angetreten hatte, steckt in ihrer bislang schwersten Krise - denn Matovič hatte den Impfstoff in Moskau eigenmächtig, nach Geheimverhandlungen und gegen den ausdrücklichen Willen seiner Koalitionspartner bestellt und einfliegen lassen.
Nur kurz nach der Pressekonferenz des Premiers nannte Veronika Remišová, Vize-Regierungschefin und Vorsitzende der Koalitionspartei "Für die Menschen", den Auftritt "absurd". Ihr Parteifreund Tomáš Valášek, Abgeordneter und Vorsitzender des europapolitischen Ausschusses im slowakischen Parlament, erklärte seinen Rückzug aus der Koalition: "Geheime Militärflüge. Unüberprüfte russische Impfstoffe. Ein mysteriöser Putin-naher Mittelsmann", schrieb er auf Facebook - damit spucke der Premier auf die europäischen Partner. Nach Ungarn, so Valášek, sei nun auch die Slowakei in die "Halle der Schande eingetreten".
Alle roten Linien überschritten
Der slowakische Außenminister Ivan Korčok nannte Sputnik V ein "Instrument in einem hybriden Krieg": "Es spaltet uns zuhause und es spaltet uns in der EU." Wirtschaftsminister Richard Sulík, der Chef der zweitgrößten Koalitionspartei "Freiheit und Solidarität" (SaS) ist, erklärte seinerseits, die Regierung könne so nicht weitermachen, sie müsse sich umbilden und eine neue Arbeitsweise finden. Zwischenzeitlich legte er in einem Interview mit der Tageszeitung "Denník N" noch einmal nach: Matovič habe alle roten Linien überschritten und sei seiner Aufgabe nicht gewachsen.
Nach knapp einem Jahr im Amt steht die slowakische Regierungskoalition vor einem Scherbenhaufen. Und derzeit ist völlig unklar, wie es weitergeht - ausgerechnet in einer Situation, in der die Slowakei zu den europäischen Ländern gehört, die am schlimmsten von Corona betroffen sind. Es hat schon seit mehreren Wochen in Folge die höchste Covid-Todesrate EU-weit und belegt bei den Neuinfektionen ebenfalls einen Spitzenplatz. Kürzlich traten deshalb neue drastische Lockdown-Beschränkungen in Kraft, unter anderem nächtliche Ausgangsverbote.
Unberechenbarer Politikstil
Eigentlich war die Vier-Parteien-Koalition vor knapp einem Jahr mit großen Reformversprechen angetreten: Nach Jahren unter dem formal sozialdemokratischen, in der Praxis aber rechtsnationalistischen Regierungschef Robert Fico wollte sie dessen korrupte Strukturen beseitigen und für mehr Rechtsstaatlichkeit sorgen. Das ist zwar in Ansätzen gelungen, etwa durch eine Justizreform und zahlreiche Polizei- und Ermittlungsaktionen gegen korrupte Beamte, Geschäftsleute und Politiker.
Doch der ehemalige Politaktivist und Premier Igor Matovič erweist sich immer mehr als nicht teamfähig. Mit seinem unberechenbaren Politikstil hat er alle Koalitionspartner gegen sich aufgebracht. Fast täglich beleidigt er auf Facebook oder in Interviews Kabinettskollegen. Vor wenigen Tagen etwa warf er Wirtschaftsminister Richard Sulík vor, für die Ermordung des Investigativjournalisten Ján Kuciak vor drei Jahren mitverantwortlich zu sein - eine abstruse Behauptung, gegen die selbst Kuciaks Vater heftig protestierte.
Matovič als gesamteuropäisches Problem
Inzwischen werten viele Beobachter in der Slowakei Matovič als Katastrophenfall für das Land - und auch für Europa. "Noch vor wenigen Tagen verkörperte Igor Matovič ein slowakisches Problem", schreibt der Publizist und Schriftsteller Michal Hvorecký. "Die Welt hatte wenig Grund, sich mit einem weiteren osteuropäischen narzisstischen und populistischen Rüpel auseinanderzusetzen. Mit dem Kauf von Sputnik V wandelt sich Matovič jedoch von einem slowakischen zu einem gesamteuropäischen Problem."
Inzwischen wandten sich zwei Koalitionspartner hilfesuchend an die liberal-progressive Staatspräsidentin Zuzana Čaputová, die im Land die angesehenste politische Persönlichkeit ist und als sehr besonnen gilt. Sie wird wohl versuchen, hinter den Kulissen zu vermitteln. Mehrere Szenarien stehen im Raum, darunter eine Kabinettsumbildung ohne einen Rücktritt des Premiers. Allerdings ist auch ein Bruch der Koalition nicht ausgeschlossen. Denn Matovič lässt nicht erkennen, dass er bereit ist, einzulenken und seinen Regierungsstil zu ändern. Im Gegenteil: Kritik am Sputnik-Kauf beantwortete er unter anderem mit der lapidaren Bemerkung: "Wenn Nordkorea Impfstoff produzieren würde, würde ich ihn auch kaufen."
Frust bei den eigenen Parteifreunden
Zudem provozierte er im Zusammenhang mit seiner eigenmächtigen Aktion am Mittwoch dieser Woche auch eine diplomatische Krise mit der Ukraine. In einem Interview sagte er auf die Frage, was er Russland für den Impfstoff gegeben habe: "Die Karpato-Ukraine." Gemeint war der westliche Teil der Ukraine an der Grenze zur Slowakei, Ungarn und Rumänien. Nach Protesten aus Kiew entschuldigte sich zunächst Außenminister Ivan Korčok in aller Form, später auch Matovič selbst.
Inzwischen reicht es sogar Parteifreunden des Premiers. Ján Krošlák, ein prominenter slowakischer Ex-Tennisspieler und Abgeordneter von Matovičs Partei, beschwerte sich am Donnerstag in einem langen und zutiefst frustrierten Posting auf seiner Facebook-Seite über den Premier, dessen "respektlose, provozierende und manchmal auch infantile Postings" und über Matovičs "Beleidigungen von Menschen, One-Man-Angriffe und aggressive Kampfweise": "Zeit in den Spiegel zu schauen, Herr Ministerpräsident. Ich habe es satt, ständig den Freestyle einer Person zu erklären und zu verteidigen."