Slowakei hebt umstrittene Amnestie-Gesetze auf
6. April 2017Das Parlament in Bratislava hob mit einer deutlichen Mehrheit von 129 von 150 möglichen Stimmen aus Koalition und Opposition die Amnestie-Gesetze des einstigen Premiers Vladimir Meciar von 1998 auf. Diese hatten weiteren Ermittlungen um die Verschleppung des Präsidentensohnes vor mehr als 20 Jahren bisher im Wege gestanden.
Michal Kovac, der Sohn des damaligen Präsidenten gleichen Namens, war Ende August 1995 nach Österreich entführt worden. Er wurde damals von der Staatsanwaltschaft München wegen mutmaßlichen Betrugs gesucht, wähnte sich auf slowakischem Boden aber sicher, weil das Land seine Bürger nicht ausliefert. Österreich ließ ihn nach kurzer Haft gehen, weil er gegen seinen Willen dorthin verbracht worden war.
Bis heute wird in der Slowakei diskutiert, warum der damalige Regierungschef Meciar 1998, nach Ende der Amtszeit von Kovac senior, alle Ermittlungen zu der Entführung mit einer Amnestie stoppte. Es wird gemutmaßt, dass die Geheimdienste in den Fall verwickelt waren.
Der dreimalige Premier Meciar hatte die Slowakei nach der Wende bis 1998 mit einem autoritären Führungsstil regiert, der das Land in internationale Isolation brachte. Ein erbitterter Machtkampf zwischen Meciar und dem damaligen Präsidenten Kovac, einem seiner heftigsten Kritiker, soll ein Grund für die Verschleppung des Präsidentensohnes gewesen sein. Das Ziel war demnach, Präsident Kovac zum Rücktritt zu bewegen.
Amnestie-Aufhebung zu spät?
Schwer belastet wurden Meciar und der Sicherheitsapparat damals unter anderem von dem slowakischen Politiker Frantisek Gaulieder. Ob zufällig oder nicht, wurde der mögliche Kronzeuge Gaulieder vergangenes Wochenende unter mysteriösen Umständen von einem Zug überrollt. Außerdem war ein Geheimdienstoffizier angeblich bereit, die Hintergründe der Tat offenzulegen. Er wurde jedoch vor seiner Aussage durch eine Autobombe getötet. Auch der frühere Präsident Michal Kovac und andere wichtige Zeugen sowie Tatverdächtige sind bereits tot.
Seit Meciars Entmachtung bei den Nationalratswahlen 1998 scheiterten alle Anläufe zur Aufhebung der Amnestien an der fehlenden Verfassungsmehrheit, das sind in der Slowakei drei Fünftel, also 90 von 150 Parlamentariern. Nach der Parlamentsentscheidung vom Mittwoch können die Täter vor Gericht gestellt werden. Der sozialdemokratische Ministerpräsident Robert Fico bezeichnete die Abstimmung als wichtigen Vorstoß für die politische Kultur seines Landes. Fico vollzieht damit eine Kehrtwende. Lange hatte er betont, die Meciar-Amnestie sei zwar "moralisch verwerflich, aber rechtlich unantastbar".
Laut slowakischen Umfragen aus den vergangenen Wochen wünschten sich zwei Drittel der slowakischen Wähler eine Aufhebung der Meciar-Amnestien.
qu/wa (dpa, afp, rtr, APE)