Wagner Festspiele 2012 eröffnet
26. Juli 2012Nicht nur Lautes und Bombastisches hat Wagner zu bieten, sondern auch leise, zarte Stellen. Das wurde deutlich in der aktuellen Produktion des "Fliegenden Holländers". Der Dirigent Christian Thielemann lässt die Instrumente gewissermaßen erzählen: Er variiert das Tempo, legt verborgene Schichten in der Musik frei und lässt sich auch von spontanen Einfällen treiben. Für den Wagnerkenner sind das erfrischende Aspekte, auch wenn es hier und dort zum Nachteil geriet, als Chor und Orchester auseinander gingen. So fiel auch Thielemann, der bei den Bayreuther Festspielen inzwischen über 100 Vorstellungen dirigierte, den Tücken von Richard Wagners Festspielhaus und dessen verdecktem Orchestergraben zum Opfer. Durch den großen räumlichen Abstand zwischen Orchester und Sängern kann es nämlich zu Klangverzögerungen kommen.
Oper im Wandel und starke Solisten
Sein Kollege Jan Philipp Gloger, der für die Inszenierung verantwortlich ist, hat weniger Erfahrung; der Regisseur ist gerade mal 30 Jahre alt und präsentiert erst seine dritte Oper. Bei den Bayreuther Festspielen fand er nicht ganz unproblematische Arbeitsbedingungen vor:
"Diese Festspiele werden von einem speziellen Betrieb zu einem opernhausähnlicheren Betrieb mit Tarifverträgen für die Angestellten und tariflicher Bindung an bestimmten Arbeitszeiten", erzählte er. "Wenn man so etwas macht, muss man an einer anderen Stelle nachziehen. Meine Kostümbildnerin stand mir nicht mehr zur Verfügung, weil sie 150 Kostüme anprobieren musste. Das sind leichte Schräglagen, die es in bestimmten Bereichen gibt und wo der Strukturwandel, der sich gerade hier vollzieht, sicher noch nicht ganz zu Ende ist."
Dafür kann die Produktion mit einer starken Solistenbesetzung aufwarten. Besonders zu erwähnen sind der Koreaner Samuel Youn in der Titelrolle, der buchstäblich im letzten Augenblick einsprang, die kanadische Sopranistin Adrianne Pieczonka als Senta und der deutsche Tenor Michael König als Erik.
Digitales Meer und Ventilatorenfabrik
"Der fliegende Holländer" basiert auf einem alten norwegischen Märchen: Ein Schiffskapitän ist verdammt, bis in alle Ewigkeit mit seinem Geisterschiff über die Weltmeere zu segeln, wenn ihn nicht eine liebende und treue Frau von seinem Fluch erlöst. In Glogers Deutung wird das zur Parabel unserer modernen Zeit. Das Meer mutiert zur Industrieanlage, wo es überall funkt und blitzt und Zahlen über digitale Displays laufen.
Es ist Senta, die es in der Hand hat, den Holländer von seinem Schicksal zu erlösen, rührt sie seine Geschichte doch von Herzen. In Wagners Original arbeitet sie in einer Spinnstube, die in Glogers moderner Version als Ventilatorenfabrik auftaucht, gefangen in einem bühnengroßen, viereckigen Kasten.
Längst ist der Holländer der Durchkommerzialisierung des Lebens und der Macht des Geldes überdrüssig. Senta ihrerseits zweckentfremdet die Materialien in der Fabrik, bastelt sich, schwärmend für den Unbekannten, eine Holländerfigur und ein Schiff. Auch sie will aus der Welt der Profitmaximierung ausbrechen.
Treu bis in den Tod?
Es ist eine Art "Liebe vor dem ersten Blick": Als sich der Geisterkapitän und Senta endlich gegenüberstehen, erkennen beide im Gegenüber den lang ersehnten Ausweg aus ihrem Lebensdilemma. Ihre Beziehung ist ein verzweifelter Versuch, das Glück zu finden, und ist doch zum Scheitern verurteilt. Findet der an Sentas Treue zweifelnde Holländer schließlich dennoch Erlösung, weil sie sich aus Liebe zu ihm vom Felsen in den Tod stürzt?
Das sich umarmende Pärchen wird in Glogers Inszenierung als Bildmotiv für ein neues Fabrikprodukt verwertet: Hochzeitstortenfigürchen oder Nachtkommodenlampen, man ist nicht so sicher. Ein tieferer Sinn der Bildsymbolik oder der eher plakativen Inszenierung erschließt sich dem Zuschauer zunächst nicht. Regieeinfälle werden wiederholt, es entsteht Leerlauf in der Dramaturgie. Wenig Abwechslung bietet auch das Bühnenbild von Christof Hetzer.
Braune Schatten
Spannender als die Premiere war da eher die Pressekonferenz am Vormittag. Das alles beherrschende Medienthema der letzten Tage war der Fall "Evgeny Nikitin": Der russische Sänger, der die Titelrolle beim "fliegenden Holländer" singen sollte, hatte die Festspiele plötzlich verlassen nachdem bekannt wurde, dass er noch vor wenigen Jahren eine Tätowierung auf der Brust hatte, die zumindest sehr wie ein Hakenkreuz aussah.
Nach dem Mediensturm war bei der Pressekonferenz die Erleichterung fast spürbar, als Festival-Leiterin Eva Wagner-Pasquier nach bohrenden Nachfragen den Schlussstrich zog: "Er hat zwischendurch immer wieder mit seiner Agentin gesprochen", sagte sie. "Wir haben ihm Zeit gegeben. Wir hatten keinen Dolmetscher dabei, sondern haben mit ihm allein gesprochen. Er hat darum gebeten, die Rolle abzugeben, und es wurde von uns akzeptiert."
Eva Wagner-Pasquier teilt die Festivalleitung mit ihrer Halbschwester Katharina Wagner. Im Zuge des Blitzskandals entflammte eine Diskussion über die braune Vergangenheit Bayreuths. Katharina Wagner äußerte sich zum Stand der Aufarbeitung alter Dokumente, einschließlich derer, die zur Geschichte der Bayreuther Festspiele während des Dritten Reichs aussagekräftig sind. Auf Spekulationen, dass Dokumente von Seite der Festspielleitung zurückgehalten werden, entgegnete sie: "Wir von unserer Seite haben alles, was in unserem Privatbesitz ist, darunter auch Akten unseres Vaters, schon Historikern weitergegeben, und sie sind dabei das aufzuarbeiten. Gewisse Dinge sind definitiv im Eigentum der vier Stämme. Das heißt, wir beide können überhaupt nicht darüber verfügen, ob das jemand einsehen darf."
Die "vier Stämme" beziehen sich übrigens auf die vier Kinder des Wagner-Sohns Siegfried und seiner Frau Winifred; relevante Unterlagen wurden zum Teil von ihren Nachkommen nicht freigegeben.
Im Jubiläumsfieber
Nicht nur von der Vergangenheit der Festspiele, auch von deren Zukunft war die Rede: Programme und zum Teil sogar schon Besetzungen liegen bis zum Jahr 2020 fest. Für Aufsehen sorgte die Ankündigung, dass der skandalumwitterte Performance-Künstler Jonathan Meese 2016 "Parsifal" inszenieren wird.
Zum Rahmenprogramm im kommenden Jubiläumsjahr, in dem Richard Wagners 200. Geburtstag gefeiert wird, gehören Meisterkurse in Gesang, ein Filmwettbewerb und die Aktion "Wagner goes rap", in der Schüler Wagnertexte "verrappen". Eine Neuinszenierung des Vieropernzyklus "Der Ring des Nibelungen" im Festspielhaus, drei Jugendopern Wagners in der Stadthalle und ein Geburtstagskonzert sind die Hauptpfeiler des Jubiläumsangebots.
Ein weiterer Schritt multimedialer Öffnung wird 2013 vollzogen: Erstmals wird die Eröffnung der Bayreuther Festspiele im Fernsehen und Kino live übertragen. Gezeigt und gespielt wird die aktuelle Produktion des "fliegenden Holländers".