Rumänen und Bulgaren auf gepackten Koffern?
28. Dezember 2013Nicu würde am liebsten in seinem Heimatland Rumänien bleiben. 25 Jahre lang hat er als Elektriker für einen großen Stromanbieter im Westen des Landes gearbeitet - ein ehemals staatliches Unternehmen, das von einem ausländischen Investor übernommen wurde. In den letzten Jahren haben viele seiner Kollegen ihre Jobs verloren. Der 45-Jährige durfte zwar vorerst bleiben. "Doch wegen des Personalmangels musste ich doppelte Schichten machen. Ich war so müde, dass mir schon zweimal beim Autofahren die Augen zugefallen sind", sagt Nicu, der seinen Nachnamen nicht nennen möchte. Schließlich verlor auch er seine Stelle.
Um einen neuen Job im privaten Sektor zu finden oder um sich selbstständig zu machen, muss er einen Qualifizierungskurs absolvieren - obwohl es sich um den Bereich handelt, in dem er mehr als zwei Jahrzehnte lang tätig war. Umgerechnet 1000 Euro kostet der Kurs - und der arbeitslose Nicu muss alles aus eigener Tasche bezahlen. Das sind mehr als zwei durchschnittliche Monatslöhne in Rumänien. "Und ich weiß nicht, wie ich weiterhin das Studium meiner Tochter finanzieren soll", sagt der Elektriker. Also denkt er darüber nach, 2014 einen Job in Westeuropa zu suchen - zum Beispiel im Bau- oder Landwirtschaftsbereich. Doch er ist nicht sicher, ob er diesen Schritt wagen wird: "Denn das Risiko ist groß, als Südosteuropäer im Ausland ausgebeutet zu werden".
Trotz der Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU, die ab dem 1. Januar 2014 auch für Rumänen und Bulgaren gilt, "sitzen die Menschen nicht auf gepackten Koffern", meint Sven-Joachim Irmer, Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Rumänien und der Republik Moldau. Dass EU-Bürger in anderen Staaten der Union Jobs oder Studienplätze suchen, sei völlig normal. Zu einer "Einwandererschwemme", vor der viele Medien in Westeuropa warnen, werde es nicht kommen.
Legale Jobs im Ausland - keine Neuheit für Rumänen und Bulgaren
Rumänien und Bulgarien sind seit 2007 EU-Mitglied. Schon vor 2014 durften die Bürger dieser Länder legal in Deutschland arbeiten - wenn sie eineArbeitsgenehmigung bei der Bundesagentur für Arbeitbeantragt haben. Hochqualifizierte, die in ihrem Fachgebiet tätig sind, deren Familienmitglieder und Auszubildende waren auch von dieser Regelung befreit und durften uneingeschränkt in Deutschland arbeiten. Die Änderungen vom 1. Januar 2014 betreffen also vor allem ungelernte Arbeiter aus Rumänien und Bulgarien, die vorher nur sechs Monate am Stück als Saisonkräfte in der Bundesrepublik arbeiten durften und sich jetzt auch auf die Suche nach längerfristigen Jobs machen dürfen.
Außerdem würden gesetzliche Restriktionen Einwanderungswellen in der Praxis kaum eindämmen, meint Victoria Stoiciu, Programm-Managerin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Rumänien, die unter anderem über Arbeitsmigration forscht. "Stattdessen begünstigen sie die illegale Migration."
Immer mehr Bulgaren kehren nach Auslandsstudium zurück
Genaue Zahlen dazu, wie viele Rumänen planen, nach dem 1. Januar 2014 in westeuropäische EU-Staaten auszuwandern, liegen nicht vor. Zurzeit leben laut einerOECD-Studiemehr als drei Millionen Rumänen im Ausland. In Bulgarien hat das Meinungsforschungsinstitut Afis vor kurzem Bürger nach ihren potenziellen Auswanderungsplänen gefragt. Das Ergebnis: Etwa 17 Prozent der Bulgaren in der Altersgruppe zwischen 15 und 55 Jahren (also etwa 400.000 Menschen) denken darüber nach, ab 2014 ihr Land zu verlassen und in einem anderen EU-Staat nach einem Job zu suchen. Doch das ist kein neues Phänomen: Schon 2008 wollte Umfragen zufolge etwa ein Fünftel der Bulgaren auswandern.
Dieter Emmert, der den bulgarischen Ableger des deutschen Unternehmens Grammer leitet, erwartet, dass vor allem Techniker und Ingenieure aus Bulgarien sehr gute Chancen auf dem deutschen Arbeitsmarkt haben: "Deutschland kommt aus der Rezession heraus und braucht dringend solche Arbeitskräfte". Die Erfahrungen der Bulgaren in Deutschland "werden später sehr wertvoll sein beim Ausbau der brachliegenden bulgarischen Industrie", so Emmert. "Es fragt sich nur: Wie kann Bulgarien diese Leute dann wieder nach Hause holen?"
Mit dieser Frage hat sich Mila Natudowa beschäftigt. Nach einem Management-Praktikum in den USA ist sie heute für den Verein der im Ausland ausgebildeten Bulgaren "Hier und da" tätig. Zwar seien ehemalige bulgarische Auslandsstudenten nach ihrer Rückkehr in die Heimat oft von der Bürokratie, eingeschränkten Aufstiegsmöglichkeiten und niedrigen Löhnen enttäuscht, so Natudowa. Das müsse sich ändern, damit Bulgarien attraktiver für Hochqualifizierte wird. "Trotzdem gibt es nach unseren Umfragen immer mehr Menschen, die nach einem Auslandsstudium bereit sind, nach Bulgarien zurückzukehren", so Natudowa.