Sind Zugvögel eine Gefahr?
15. Februar 2006Im Gebiet der Wittower Fähre auf der Insel Rügen sammeln sich in kälteren Wintern oft bis zu 40.000 Wasservögel der verschiedensten Arten. Geschwächte Tiere verenden in manchen Jahren zu Hunderten. Das sei auch in diesem Winter so, sagt der Vogelkundler Ullrich Dost. Er war lange Jahre Artenschutzbeauftragter auf Rügen. Vor allem in Gewässern ist die Verbreitung von Viren schnell möglich. Wo sich die Schwäne mit dem Virus infiziert haben könnten, ist unklar. Allerdings sind Schwäne keine klassischen Zugvögel. Sie bleiben häufig vor Ort oder legen allenfalls kürzere Strecken zurück.
Vogelzug: die große Unbekannte
Noch hat der Vogelzug nicht begonnen, erst ab Anfang März kehren die Tiere aus ihren Winterquartieren zurück. "Echte" Zugvögel sind nach Einschätzung von Experten eine "reale Gefahr" für die Einschleppung des Vogelgrippe-Virus H5N1. Ein Einschleppungsrisiko geht vor allem von Vögeln, die ab März auf der Ost-Route über den Nahen Osten und die Türkei zurückkehren, aus. Zugvögel können entweder direkt zwischen Infektionsgebieten wandern oder das Virus von Rastgebiet zu Rastgebiet und dort auf andere Vogelarten weitergeben.
Vieles ist dabei noch ungeklärt: So ist unbekannt, welche Arten überhaupt betroffen sein könnten und wie schnell sie sich mit H5N1-Viren infizieren. Auch müsste es zu einem äußerst engen Kontakt zwischen Zugvögeln und Hausgeflügel oder anderen Wildvögeln kommen, damit das Virus übertragen werden kann. Die Frage ist auch, wie weit ein infizierter Vogel überhaupt noch fliegen kann. "Der Vogelzug ist ein globales Phänomen, über das wir bisher nur sehr wenig wissen", räumt Ornithologe Tim Coppack vom Institut für Vogelforschung Wilhelmshaven ein.
Die Haupt-Routen
Die so genannte "Südwest- und Zentralroute" ist die Hauptflugroute von Zugvögeln aus Westeuropa. Viele Singvögel, Greifvögel und Wasservögel wie die Spießente und auch Weißstörche kommen auf dieser Strecke zurück, nachdem sie in Süd-, Zentral- und Westafrika oder auf der Iberischen Halbinsel überwintert haben. Sie überfliegen auf ihrem Weg nach Europa entweder Gibraltar und die Iberische Halbinsel oder Italien. Außerdem überfliegen einige Singvogelarten auf ihrer Heimreise die zentrale Sahara. Das Einschleppsrisiko über diese Route wird als "gering" eingestuft.
Die "Südost-Route" wird nach Angaben des Instituts für Vogelforschung von den heimischen Vogelarten weniger genutzt. Die Tiere überwintern vor allem in Südafrika, Ostafrika und im Vorderen Orient und kehren über das östliche Mittelmeer, Slowenien, Kroatien, Bulgarien und den Bosporus nach Norden zurück. Dazu gehören der Weißstorch, Greifvögel wie Schwarzmilan und Wespenbussard sowie einige Rohrsängerarten, die vorwiegend in Ostmitteleuropa leben. Vogelarten, die das Donaudelta oder die Krim überfliegen, ziehen in der Regel noch weiter nordostwärts. Das Einschlepprisiko wird als "mäßig" eingestuft.
Vogelzug ist - vielleicht? - nicht das Hauptproblem
Die rasante Ausbreitung der Geflügelpest in der Türkei im Oktober 2005 sei eher "ein Paradebeispiel" dafür gewesen, "dass keine Zugvögel für die Ausbreitung verantwortlich sind", erklärt Franz Bairlein, Direktor des Instituts für Vogelforschung in Wilhelmshaven. Zu der Zeit war da kein Vogelzug, und auch jetzt ist noch keiner. Einige Wasservogelarten wie beispielsweise Krick-, Reiher- und Pfeifenten werden zwar über kurz oder lang in Ost-West-Richtung aus Sibirien bis nach Deutschland, Frankreich und England ziehen. Das Problem seien aber mehr die Handelswege, auf denen infiziertes Geflügel reisen könne, und vor allem unsachgemäße Geflügelhaltung in privaten und kommerziellen Zuchten. Bei der Ost-West-Ausbreitung der Tierseuche in Sibirien etwa konnte man sich am Verlauf der Transsibirischen Eisenbahn und ihren Abzweigungen orientieren, sagt Bairlein. (arn)