Geflüchtete - der Mittelstand von morgen?
8. November 2019Marwa Elias ist Innenarchitektin und kommt aus Syrien. 2015 flüchtete die heute 34-Jährige mit ihren beiden Kindern nach Deutschland. Obwohl sie neun Jahre Berufserfahrung mitbrachte, fand sie keine Stelle. "Im Jobcenter hieß es, dass ich in meinem Beruf nicht arbeiten könne", erinnert sich Marwa Elias. Zunehmend frustriert durchsuchte sie das Internet und stieß schließlich in den sozialen Netzwerken auf "Jumpp", einen in Frankfurt ansässigen Verein, der Frauen dabei hilft, sich selbstständig zu machen.
Den Verein gibt es bereits seit 1984. Entstanden ist er aus der Emanzipationsbewegung. Frauen sollten dabei unterstützt werden, eigenes Geld zu verdienen, um auch ökonomisch unabhängig zu werden. Etwas, was zu Beginn der achtziger Jahre in Deutschland noch keineswegs selbstverständlich war.
Nur jede zehnte geflüchtete Frau arbeitet
Heute sind unter den Frauen, die sich bei "Jumpp" Rat und Hilfe suchen, zunehmend auch Geflüchtete. Für sie ist es besonders schwer, in Deutschland Arbeit zu finden. "Je nachdem, welche Statistik man zugrunde legt, haben nach 36 Monaten rund sechs bis elf Prozent der geflüchteten Frauen eine Arbeit gefunden", sagt Rene Leicht vom Institut für Mittelstandsforschung an der Universität Mannheim. "Das ist sehr wenig im Vergleich zu den Männern, von denen es mehr als ein Drittel geschafft haben."
Leicht und sein Team haben 2018 rund 1400 Geflüchtete zu ihrer Ausbildung und ihren Berufen befragt und dazu, was sie sich in Deutschland aufbauen wollen. Zwei Drittel der Frauen gaben an, dass sie ganz sicher arbeiten wollen. "Die Erwerbsneigung ist sehr hoch", urteilt Leicht. "Aber die Möglichkeiten sind schwach."
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Das liegt nicht nur an den gebrochenen Berufs- und Bildungsbiographien und an mangelnden Sprachkenntnissen. "Es gibt Rollenkonflikte, Frauen sind in der Regel viel stärker in der Verantwortung für die Familie und haben die Kinder zu versorgen. Viele Frauen sind aber auch alleinerziehend", so Leicht. Dazu kommt, dass kaum ein geflüchteter Mensch weiß, wie die Wirtschaft und der Arbeitsmarkt in Deutschland funktionieren. Spätestens beim Steuerrecht verstehen sie gar nichts mehr.
So erging es auch Marwa Elias. "In Syrien wusste ich alles, hier nichts." Sie wollte unbedingt wieder als Innenarchitektin arbeiten. Wenn das nicht in einem Unternehmen möglich sein sollte, dann eben selbstständig und von zu Hause.
Hilfe fand Elias bei Ramona Lange, die bei "Jumpp" das Modellprojekt "Frauen mit Fluchterfahrung gründen" betreut. Das unternehmerische Potenzial brachte die Syrerin mit. Lange half ihr dabei, rechtliche Fragen zu beantworten und mit der deutschen Bürokratie zurecht zu kommen. Über die Netzwerke des Vereins verschaffte sie ihr unternehmerische Kontakte und organisierte den Zugang zu Messen.
Von 100 schafften es nur neun
Die Unterstützung zahlte sich aus. Nach einem Jahr Unterstützung hat Marwa Elias einen Businessplan erarbeitet und will sich darauf spezialisieren, für ihre Kunden altes Mobiliar preisgünstig zu recyceln und zu verschönern. Einige Aufträge hat sie bereits ausgeführt. Selbstverständlich ist das nicht. 100 Frauen haben an dem dreijährigen Modellprojekt von "Jumpp" teilgenommen, das Ende des Jahres ausläuft und mit 600.000 Euro vom Bundesfamilienministerium finanziert wurde. Nur neun Teilnehmerinnen haben aber tatsächlich den Sprung in die Selbständigkeit geschafft.
Eine ernüchternde Zahl. Das sieht auch Annette Maltry vom Familienministerium so. Das Projekt sei trotzdem ein Erfolg, sagt sie. Schon allein, weil es wissenschaftlich begleitet worden sei und viele neue Erkenntnisse gebracht habe. Nicht nur für Deutschland. Die Vereinten Nationen und die OECD hätten sich gemeldet und das Projekt in ihre Studien aufgenommen.
Alle müssen umdenken
Um geflüchtete Frauen zu integrieren und in den Arbeitsmarkt zu bringen, müssten neue Wege gegangen werden. Das sei nach drei Jahren absolut klar, sagt Maltry. Auch die Jobcenter müssten sich umorientieren. Projektleiterin Ramona Lange kann das nur bestätigen. Frauen, die Flucht und Vertreibung erlebt hätten, seien oft traumatisiert und könnten nur langsam an neue Belastungen herangeführt werden. Viele Frauen hätten ungeklärte Aufenthaltsperspektiven und sehr viel Angst. "Es braucht eine höhere Sensibilität und viel Zeit, weil alles nur in kleinen Schritten geht", so Lange. Fünfstündige Workshops seien absolut unrealistisch.
Wichtig sei auch das Bewusstsein dafür, dass einige Frauen in ihre Herkunftsländer zurückgehen müssten. "Es geht also auch darum, ihnen für ihr weiteres Erwerbsleben etwas zu vermitteln, das sie in ihrer Heimat ebenfalls brauchen können."
Auf der anderen Seite hat Lange erlebt, dass geflüchtete Frauen in der Regel ein höheres Bildungsniveau haben als normale Arbeitsmigranten. Sie hätten häufiger Berufserfahrung in leitender oder Managementfunktion vorzuweisen und es würden sich viele ausgeprägte Gründerpersönlichkeiten unter ihnen finden. Rene Leicht verweist auf Statistiken, wonach von den Frauen, die seit 1979 nach Deutschland geflüchtet sind, am Ende 20 Prozent selbstständige Unternehmerinnen wurden.
Der Mittelstand von morgen
Das lässt die deutsche Wirtschaft aufhorchen. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag hat das Frankfurter Modellprojekt mit großem Interesse begleitet. "Existenzgründungen und Start-ups sind der Mittelstand von morgen", sagt DIHK-Referatsleiter Marc Evers. In Deutschland würden die Gründungszahlen seit etwa neun Jahren kontinuierlich sinken. Gesamtwirtschaftlich sei das ein Problem. "Wir haben die Digitalisierung, den Klimawandel, die schwächer werdende Konjunktur. Das sind große Herausforderungen und da brauchen wir unternehmerische Ideen."
Deutschland könne es sich nicht leisten, Gründungspotenzial ungenutzt zu lassen. Gerade unter den Geflüchteten seien viele Menschen nicht nur mit Ideen, sondern auch mit viel Motivation. "Sie wirken über ihre eigene Person hinaus, indem sie Beispiele sind." Gründungen aus schwierigen Situationen heraus hätten Vorbildcharakter nicht nur in der eigenen Community, sondern auch für andere Migranten, aber auch für Deutsche. "Die sagen dann vielleicht auch: Mensch, ich nehme das in die Hand und mache es."