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Sind diese Herkunftsstaaten sicher?

Kersten Knipp29. Januar 2016

Die drei Maghreb-Staaten Marokko, Algerien und Tunesien sollen zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden. Damit haben Personen aus diesen Ländern kein Anrecht auf Asyl mehr. Die Entscheidung ist umstritten.

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Symbolbild Einwanderung Deutschland (Foto: imago/Ralph Lueger)
Bild: imago/Ralph Lueger

Bald werden sie wohl zu den "sicheren Herkunftsstaaten" zählen, die drei Maghreb-Länder Marokko, Tunesien und Algerien. In der Praxis heißt das, dass Menschen aus diesen Ländern in Deutschland grundsätzlich kein Anrecht auf Asyl mehr haben - und damit keine Chance, auf dieser rechtlichen Grundlage dauerhaft hier zu leben.

Damit reagiert die Bundesregierung auf die erhöhte Zahl der Zuwanderer aus diesen Ländern. Nach Zahlen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) reisten im Dezember 2015 knapp 2300 Algerier und rund 3000 Marokkaner nach Deutschland. Insgesamt 5300 Menschen also – und damit erheblich mehr als im Vorjahr: 2014 reisten insgesamt gerade einmal 4000 Menschen aus den beiden Ländern nach Deutschland.

In den Fokus der Öffentlichkeit und der Behörden gerieten Algerier und Marokkaner in der Kölner Silvesternacht. Eine hohe Zahl der mutmaßlichen Täter stammt aus den beiden nordafrikanischen Ländern.

Ungenügende Menschenrechtssituation in Marokko

Pass eines abgelehnten Asylbewerbers, 24.1.2015 (Foto: dpa)
Papier eines abgelehnten AsylbewerbersBild: picture-alliance/dpa/S. Willnow

Nach der Unruhe, die die Vorfälle der Silvesternacht auslöste, besteht ein politisches Interesse daran, die Zahl algerischer, marokkanischer wie auch tunesischer Flüchtlinge insgesamt zu reduzieren – auch indem die bereits hier angekommenen Personen in ihre Herkunftsstaaten zurückgeschickt werden.

Um die Menschenrechte in Algerien und Marokko steht es allerdings nicht gut. Für den Zeitraum zwischen 2010 und 2014 verzeichnet die Menschenrechtsorganisation Amnesty International in Marokko 173 Fälle von Folter. Acht Personen wurden strafrechtlich verfolgt, nachdem sie die erlittene Folter öffentlich gemacht oder gemeldet hatten.

Ebenso spricht Amnesty von "zahlreichen" unfairen Gerichtsprozessen. Mehrere Flüchtlinge aus Subsahara-Afrika, die auf die spanischen Enklaven Melilla und Ceuta vorgedrungen und von den spanischen Behörden wieder den marokkanischen Behörden übergeben wurden, erlitten unverhältnismäßige Anwendung von Gewalt.

Algerier weisen in einer Demonstration auf das ungeklärte Schicksal ihrer Angehörigen hin, 05.10.2007 (Foto: Rahim Ichalalen)
Auch Jahre nach dem Bürgerkrieg werden in Algerien noch Menschen vermisstBild: DW/Rahim Ichalalen

Deutschland, fordert der in Kassel lehrende Politikwissenschaftler Werner Ruf in einem Interview mit dem Deutschlandfunk, solle mit Marokko über die Menschenrechte reden. "Wenn man gegenüber einem Land wie Marokko Druck machen will, dann kann man es nicht auf der einen Seite hofieren, kann man nicht auf der einen Seite groß die Grüne Woche feiern, den Tourismus feiern oder darüber hinwegsehen, dass Marokko nach wie vor die Westsahara völkerrechtswidrig besetzt hält. Dann muss man dort ansetzen, wo man Druck ansetzen kann. Das hat natürlich dann wieder Rückwirkungen auf unsere eigene Wirtschaft."

Zweifelhafte Rechtsstaatlichkeit in Algerien

Auch Algerien weist eine mangelhafte Menschenrechtsbilanz auf. Der Bürgerkrieg der 90er Jahre, als die Regierung über Jahre gegen die um ihren demokratisch errungenen Wahlsieg gebrachten Islamisten kämpfte, sei immer noch nicht abgeschlossen, so Ruf. Amnesty International bestätigt diese Diagnose: der algerische Geheimdienst habe mehrere Islamisten verhaftet und gefoltert. Vor allem die jüngste Vergangenheit mache es schwer, Algerien als Rechtsstaat zu betrachten, sagt Werner Ruf.

"Wenn Sie überlegen, dass im algerischen Bürgerkrieg - und der ist nicht zu Ende - zwischen 10.000 und 30.000 Menschen verschwunden sind - das heißt in der Regel, Menschen, die umgebracht worden sind und nie wieder irgendwo auftauchen -, dann kann man nicht als Europäische Union und als Bundesrepublik Deutschland von Menschenrechten sprechen und dann nach Belieben sichere Herkunftsländer definieren."

Die Entscheidung, Flüchtlinge aus Algerien, Marokko und Tunesien mit dem Argument, sie kämen aus sicheren Herkunftsstaaten, nicht mehr als Asylbewerber anzuerkennen, sei problematisch, sagt auch die algerische Aktivistin Randah Uthman. Dies umso mehr, als ihrer Einschätzung nach nicht Neuzuwanderer, sondern in Europa geborene Personen mit maghrebinischen Wurzeln durch Kriminalität aufgefallen seien.

Außerdem macht sie für die Flucht aus Algerien und Marokko humanitäre Gründe geltend. "Ich verurteile niemanden, der sein Land aus Armut und Hunger verlässt, um anderswo ein besseres Leben zu führen. Ein besseres Leben zu suchen, ist das kriminell?"

König Mohammed VI in Tunesien 31.5.2014 (Foto: dpa)
Oberster Repräsentant eines ausbaufähigen Rechtstaats: der marokkanische König Mohammed VI.Bild: picture-alliance/dpa

Kritik auch an den arabischen Staaten nötig

Der in Frankreich lebende tunesische Aktivist Munif Kiylani weist allerdings auf einen anderen Punkt hin. Für seine Begriffe geht die Kritik einseitige Wege. Allzu sehr nehme sie nur die eine Seite in den Blick. Wenn es um die Aufnahme von Migranten gehe, seien auch die arabischen Staaten in der Pflicht: "Warum verlangen wir nur von den europäischen Ländern, dass sie auf die Menschenrechte achten? Warum verlangen wir das nicht auch von den arabischen Ländern, besonders den Golfstaaten?"