Der komplexe Dopingfall Simona Halep
19. September 2023Sieben Jahre nach den erschütternden Doping-Enthüllungen um Maria Sharapova sieht sich der Tennissport mit einem weiteren brisanten Doping-Fall konfrontiert: Die zweifache Grand-Slam-Siegerin Simona Halep wurde von der Internationalen Tennis-Integritätsagentur (ITIA) wegen zweier absichtlicher Verstöße gegen die Anti-Doping-Regeln zu einer vierjährigen Sperre verurteilt. Die Rumänin bestreitet vehement jegliche Doping-Vergehen und hat vor dem Internationalen Sportgerichtshof (CAS) Einspruch gegen das Urteil eingelegt.
"Was ich Ihnen mit absoluter Gewissheit sagen kann, ist, dass die Art und Weise, wie sie jede Situation, jede Spielerin, jeden Athleten angehen, einfach beängstigend ist. Es wird eine Zeit kommen, in der wir nicht einmal mehr Elektrolyte zu uns nehmen werden", äußerte sich die Nummer Neun der Welt, Maria Sakkari, gegenüber Reportern einige Tage nach der Halep-Nachricht.
Der australische Tennisspieler Nick Kyrgios reagierte in den sozialen Medien mit einer deutlichen Gegenposition. Er erklärte, dass er sich während Fünf-Satz-Schlachten von Bananen und Coca Cola ernähre. Er fügte hinzu: "Und meine Bilanz spricht für sich. Spieler sollten vielleicht einfach aufhören, fragwürdige Substanzen zu konsumieren."
Berichten zufolge hat Halep ein Nahrungsergänzungsmittel auf Anraten eines Physiotherapeuten eingenommen. Dieses Produkt enthielt Roxadustat, eine Substanz, die in der Medizin zur Behandlung von Anämie verwendet wird und somit die Ausdauer und Regeneration verbessern kann. Das unabhängige Gremium, das den Fall untersuchte, stufte das Dopingvergehen der Rumänin als "wiederholt und raffiniert" ein.
"Wir wissen, dass Verunreinigungen oft vorkommen"
Die Internationale Tennis-Integritätsagentur (ITIA) geht davon aus, dass Halep absichtlich gehandelt hat. Da die Rumänin jedoch das Gegenteil behauptet, eröffnet der Fall einen Einblick in die komplexe Welt des Anti-Doping-Kampfes.
"Das Problem für mich liegt in der Anti-Doping-Struktur, dieser Null-Toleranz-Politik und der strengen Haftung. Wenn es also in Ihrer Probe gefunden wird, sind Sie verantwortlich, egal wie es dorthin gekommen ist", erklärt Dr. April Henning, Anti-Doping-Expertin, Autorin und Assistenzprofessorin für Sportmanagement an der Heriot-Watt University in Edinburgh gegenüber der DW.
"Ist es möglich, dass es in einem Nahrungsergänzungsmittel war, das verunreinigt war? Ja, natürlich ist das möglich. Wir wissen, dass Verunreinigungen häufig vorkommen." In der Sportwelt werde man dann schnell verurteilt. "Wenn es also unbeabsichtigt ist, spielt es keine Rolle. Man wird immer noch als schrecklich, moralisch verdorben, schlechter Mensch, furchtbarer Sportler und Betrüger dargestellt", sagt Henning. "Dabei ist die Sache viel differenzierter."
Die Anti-Doping-Agenturen geben den Sportlern zwar eine Liste an die Hand und hätten die Aufklärung der Athleten über verbotene Substanzen verbessert, aber es herrsche weiterhin Unklarheit. "Haben Sie sich die Liste in letzter Zeit einmal angesehen? Sie ist sehr umfangreich, und es gibt Dinge, die dort gar nicht aufgeführt sind, die aber zu diesen sehr weit gefassten Kategorien gehören", kritisiert Henning. "Und wenn man ein Sportler ist und kein Chemiestudium absolviert hat, kann das sehr, sehr schwer zu verstehen sein."
Von Anfang an schuldig?
Viele könnten Halep nun als Dopingsünderin, als Betrügerin betrachten. Vielleicht ist das der Fall, vielleicht aber auch nicht.
"Wenn Sie versuchen, sich zu verteidigen, wird Ihnen gesagt, dass Ihre Beweise keine Rolle spielen, wenn es sich nicht um ein von der WADA akkreditiertes Labor oder einen ungeöffneten Behälter aus derselben Charge handelt, aber was ist dann Ihre Verteidigung?" fragt Henning. Es existiere somit eine Hürde, die es anderen verwehrt, den Fall zu prüfen. "Man kann einen Fall nicht vor den internationalen Sportgerichtshof CAS bringen - welche Möglichkeit haben also Sportler, die beschuldigt werden? Ob sie es absichtlich benutzt hat oder nicht, ist mir eigentlich egal - das Verfahren sollte ein bisschen fairer sein. Jeder hat ein Recht auf Verteidigung."
Ein weiteres Problem sei das begrenzte Wissen über den Gehalt einer Substanz, wobei auch die Nulltoleranzpolitik als Teil des Problems betrachtet wird. "Ich glaube nicht, dass die Leute wirklich verstehen, wie viele Tests funktionieren und wonach sie suchen", sagt Henning. "Die winzig kleinen Konzentrationen, die sie nachweisen können, spielen im Körper möglicherweise keine Rolle und machen physiologisch gesehen keinen Unterschied, ob man es hat oder nicht."
Aber es stelle sich auch die Frage, ob sie überhaupt wissen, was eine funktionelle Konzentration ist, denn viele der Dinge, die verboten sind, seien nicht wirklich gründlich auf ihre Wirkung hin untersucht worden. "Wir wissen also nicht, ob es sich um eine Verunreinigung handelt, es herrscht einfach Nulltoleranz", erklärt Henning.
Die Forschung sei ein wesentlicher Teil des Problems. Henning, die selbst für die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) gearbeitet hat, äußert ihre Frustration über den Mangel an Prävalenzstudien - das sind Untersuchungen, die darauf abzielen, die Häufigkeit eines gesundheitlichen Ereignisses in der Bevölkerung zu einem bestimmten Zeitpunkt oder über einen kurzen Zeitraum zu ermitteln.
"Es ist heikel, eine Sportart als sauber und eine andere als nicht sauber darzustellen. Die WADA verfügt über ein Forschungsbudget, mit dem sie Forscher unter Vertrag nehmen kann", erklärt Henning. "Aber sie haben nicht in Prävalenzstudien investiert."
Veränderung des Anti-Doping-Kampfes?
Obwohl eine sofortige Änderung des Systems nicht möglich ist, könnten Maßnahmen wie verstärkte Datenerhebung, die Erstellung von spezifischen Verbotslisten für verschiedene Sportarten anstelle einer allgemeinen Liste für alle WADA-Unterzeichnerländer und die Festlegung von Schwellenwerten laut Henning positive Veränderungen bewirken. "Was ist der Schwellenwert für Roxadustat? Wo sind die Daten und Informationen, die uns sagen, ab welchem Wert es entweder leistungssteigernd oder unsicher wird?"
Dieser Text wurde aus dem Englischen adaptiert.