Sigmund Jähn: Ein Leben für die Raumfahrt
22. September 2019Als Sigmund Jähn für die Deutsche Demokratische Republik am 26. August 1978 an Bord des Raumschiffs Sojus 31 zur sowjetischen Raumstation Saljut 6 flog, war der Wettlauf ins All zwischen Ost und West gerade in vollem Gange.
Zwar hatte die Sowjetunion mit der Erdumrundung des ersten Menschen - Juri Gagarin - schon 1961 Weltraumgeschichte geschrieben und die US Weltraumagentur NASA hatte zwischen 1969 und 1972 mit fünf Mondlandungen dagegen gehalten, nun begann aber eine neue Phase im Wettkampf der Systeme. Die sozialistischen Bruderländer der Sowjetunion bekamen erstmals ihre eigenen Kosmonauten, lange bevor die USA ihre Programme für verbündete Partnerländer öffneten.
Raumfahrt als Demonstration sozialistischer Verbundenheit
Es ging Moskau darum, die Überlegenheit und Einigkeit der sozialistischen Welt zu beweisen: Zwischen 1978 und 1981 schickte die sowjetische Weltraumagentur neben Sigmund Jähn auch Kosmonauten aus der Tschechoslowakei (CSSR), Polen, Bulgarien, Ungarn, Vietnam, Kuba, der Mongolei und aus Rumänien in die Erdumlaufbahn.
Ein besonders geschickter Schachzug Moskaus: Selbst ein Franzose flog auf Einladung der UdSSR schon 1982 als erster westeuropäischer Raumfahrer mit einer Sojus-Kapsel ins All. Erst ein Jahr später 1983 zog die NASA nach: Mit Beginn des Space-Shuttle Programms ermöglichte sie erstmals Weltraumflüge für Astronauten aus anderen westlichen Staaten. Der erste von ihnen war Ulf Merbold - für die Bundesrepublik Deutschland.
Sigmund Jähn war damals der dritte nicht-sowjetische Kosmonaut überhaupt. Vor ihm waren bereits Vladimir Remek aus der CSSR und Miroslaw Hermanszewski aus Polen geflogen. Dass die DDR so weit oben auf der Liste der ersten Ostblock-Kosmonauten stand, sahen viele als Indiz des Stellenwertes, den Moskau Berlin zubilligte - nicht nur politisch. Auch technologisch-wissenschaftlich mauserte sich die DDR zu einem führenden Staat. Sigmund Jähn war nicht nur Kosmonaut, er war auch auch Symbolträger dieses Anspruchs.
Ikone der Arbeiterklasse
Für seine Rolle als Galionsfigur der sozialistischen Raumfahrt und Forschung brachte er gute Voraussetzungen mit: Jähn wurde am 13. Februar 1937 in eine Arbeiterfamilie geboren und wuchs in der vogtländischen Gemeinde Morgenröthe-Rautenkranz auf. Er hatte keinen höheren Schulabschluss und war gelernter Buchdrucker, als er mit 18 Jahren seinen Wehrdienst bei den Luftstreitkräften der DDR begann.
Die nannten sich damals noch "Kasernierte Volkspolizei-Luft". Formal hatten die beiden jungen deutschen Staaten im ersten Jahrzehnt nach dem zweiten Weltkrieg noch keine Armeen. Die wurden erst im November 1955 (Bundeswehr) und Januar 1956 (Nationale Volksarmee, kurz NVA) gegründet.
Für Jähn lief von da an alles auf eine Fliegerkarriere hinaus: Er wurde Jagdflieger, Kommandeur für Politarbeit in seiner Geschwaderstaffel und machte nebenher sein Abitur. Das qualifizierte ihn zu einem Studium an der Militärakademie in Moskau, wo er fließend Russisch lernte. Zurück in Deutschland war er als Oberstleutnant für die Jagdfliegerausbildung und Flugsicherheit zuständig.
Der Wissenschaft verpflichtet
Der Weg zum Kosmonauten war da nicht mehr weit: Seine langjährige fliegerische Erfahrung und die gute Kenntnis Russlands und seiner Luftstreitkräfte prädestinierte ihn geradezu dazu. Also wurde er mit zwei weiteren Kandidaten ins Sternenstädtchen bei Moskau geschickt, wo er seine Kosmonauten-Ausbildung erhielt.
Für Jähn waren die wissenschaftlichen Aspekte seiner Arbeit stets ein zentraler Lebensinhalt. Während des fast acht Tage dauernden Fluges führte er etwa Experimente mit einer Spektralkamera zur Erdfernerkundung durch. Die Forschungsinhalte dieser Experimente machte er später auch zum Thema seiner Dissertation am Zentralinstitut für Physik der Erde in Potsdam - dem Vorläufer des heutigen Geoforschungszentrums (GFZ).
Während des Fluges beschäftigte er sich außerdem mit Materialforschung, insbesondere mit Kristallisationsprozessen sowie mit Versuchen zum Zellwachstum von Mikroorganismen in Verbindung mit Polymeren.
Nach seiner Rückkehr wurde Jähn zum Chef des neu geschaffenen Zentrums für kosmische Ausbildung bei den Luftstreitkräften der NVA bei Straußberg ernannt. Noch zu DDR-Zeiten engagierte er sich für den Austausch zwischen Astronauten und Kosmonauten weltweit und hatte maßgeblichen Anteil bei der Gründung der Association of Space Explorers - einem weltweiten und exklusiven Club, dem alle Menschen angehören, die mindestens einen Orbit um die Erde im Weltraum zurückgelegt haben.
Vermittler zwischen Ost und West
Nach seiner Rückkehr feierte und würdigte die DDR Jähn ausgiebig. Schulen wurden nach ihm benannt, und er erhielt zahlreiche höchste Auszeichnungen. Jähn berichtete später, dass er sich in den letzten Jahren der DDR gerne stärker der Wissenschaft gewidmet hätte. Seine Repräsentationspflichten und seine Rolle als politische Symbolfigur hätten aber oft überwogen.
Die Gelegenheit, sich wieder stärker der tatsächlichen Kosmonauten-Ausbildung und wissenschaftlichen Arbeit zu widmen kam dann durch die politische Wende von 1989. Nach der Auflösung der DDR und damit der NVA wurde Jähn als Berater und Vermittler für die nächsten Generationen von Astronauten und Kosmonauten aktiv.
Er übernahm eine Rolle als Berater für die Europäische Weltraumagentur (ESA) und das Deutsche Zentrum für Luft und Raumfahrt (DLR) bei der Russischen Weltraumagentur Roskosmos. Und er kehrte zurück an seinen alten Wirkungsort, zum Sternenstädtchen bei Moskau.
2002 ging Jähn im Ruhestand. Auch im hohen Alter blieb er ein gern gefragter Experte und begeistert junge Menschen für die Raumfahrt in seinen Vorträgen und auf Diskussionsforen. Sigmund Jähn starb am 21. September 2019 in Strausberg bei Berlin.