Schwieriges Dreiecksverhältnis
27. Februar 2020Millionen jubelnde Zuschauer, wie Trump auf Twitter behauptete, waren es nun nicht. Doch zur ersten Indien-Reise des US-Präsidenten hatte sein indischer Amtskollege Narendra Modi einiges aufgefahren. Von Plakaten, die die "große Freundschaft zweier starker Nationen" priesen, bis hin zum Empfang im größten Kricket-Stadion der Welt - wo Trump dann immerhin vor 100.000 Menschen sprechen durfte. Er dankte für die Aufmerksamkeit, indem er Indien als "Wunder der Demokratie" bezeichnete und dessen wirtschaftlichen Aufstieg als "inspirierend" lobte.
Dass sich die beiden Staatsführer als "Freunde" hofieren und innerhalb der vergangenen acht Monate fünf Mal getroffen haben, liegt nicht allein daran, dass sie beide Showmänner, Populisten und auf ihre Weise Protektionisten sind. Eines der stärksten Bänder zwischen Washington und Delhi ist der Wunsch, die Macht Chinas einzudämmen. Beide Länder fühlen sich von Peking geopolitisch herausgefordert, Indien geradezu eingekesselt, da Peking innerhalb seiner "Neuen Seidenstraße" Allianzen mit Indiens Nachbarländern Pakistan, Bangladesch, Nepal und Sri Lanka geschmiedet hat. Besonders der Wirtschaftskorridor mit dem Erzfeind Pakistan ist den Indern ein Dorn im Auge.
Delhi will nicht alles auf eine Karte setzen
Dass das Treffen stattfand, während China gegen das Coronavirus kämpfen muss, ist ein Zufall. Die Reise war lange vorher geplant. Doch das Virus machte es nicht einfacher für Trump, Indien auf seine Seite zu ziehen. Die Inder helfen wo sie können: Mitte Februar hat Chinas Präsident Xi Jinping Indiens Premier Narendra Modi für die Solidarität der Inder und ihre Unterstützung gedankt. Anders als Indien und die USA sind Indien und China eben doch Nachbarn. Nachbarn, die allen Unkenrufen zum Trotz immer enger zusammenarbeiten und gerade in Verhandlungen stehen, gemeinsam mit den meisten asiatischen Ländern die "Regional Comprehensive Economic Partnership" (RCEP), das größte Freihandelsabkommen der Welt, zu schaffen.
Andererseits will Delhi sich auch absichern, nicht alles auf eine Karte setzen. Da kommt Donald Trump ins Spiel. Das bedeutet vor allem mehr Rüstungsdeals mit den "besten und am meisten gefürchteten Waffen", wie Trump es ausdrückte. Ein Kaufvertrag über Kampfhubschrauber im Wert von drei Milliarden US-Dollar und ein Luftabwehrsystem im Wert von fast zwei Milliarden sind bereits unter Dach und Fach. Wirtschaftlich soll es in naher Zukunft ebenfalls ein Freihandelsabkommen zwischen den beiden Ländern geben. Doch das gestaltet sich schon schwieriger als der Kauf von Flugabwehrraketen, Kampfflugzeugen und Drohnen. Trump mokiert sich ähnlich wie im Falle Chinas über eine ungleiche Handelsbilanz mit Indien. 2019 betrug sie rund 24 Milliarden Dollar. Nicht viel im Vergleich zu den 43 Milliarden mit China. Trotzdem hat Trump auch hier sein liebstes Druckmittel angesetzt. Delhi will sich jedoch nicht mit Strafzöllen erpressen lassen und hat seinerseits bereits vergangenes Jahr Vergeltungszölle auf 28 amerikanische Produkte verhängt. An dieser Stelle sitzen Peking und Delhi wieder in einem Boot. Und es wird klar, dass nur ein gemeinsames asiatisches Freihandelsabkommen der Willkür von Trump Paroli bietet. Allerdings will Delhi das asiatische Freihandelsabkommen auch nicht um jeden Preis.
Eins ist klar: Die indisch-amerikanischen Beziehungen stehen und fallen mit den Beziehungen zu China. Das ist schon seit den 1950er-Jahren so, als die neu gegründete Volksrepublik die Kräfteverhältnisse in der Region verschob. Beim Ausbruch des Indisch-Chinesischen Grenzkrieges von 1962 erklärte US-Präsident Kennedy "Wir sollten Indien verteidigen und wir werden Indien verteidigen". Die USA beorderten daraufhin den Flugzeugträger USS Enterprise in den Golf von Bengalen, als Signal an Peking, den Bogen nicht zu überspannen. Zum Glück mündete der Konflikt relativ schnell in einem Waffenstillstand.
Beiderseitiges Misstrauen
Der große Unterschied zu damals ist allerdings, dass Chinas Aufstieg heute nicht mehr nur die US-Dominanz in der Indopazifik-Region herausfordert, sondern die Vorherrschaft der Vereinigten Staaten auf der ganzen Welt. "Zusammen werden wir unsere Souveränität und unsere Sicherheit verteidigen und eine freie und offene Indopazifik-Region schützen - für unsere Kinder und für viele, viele Generationen danach", erklärte Trump bei seinem zweitägigen Indien-Besuch. Doch so leicht lässt sich Delhi nicht als "Bastion der Freiheit" einspannen. Schon während des Kalten Krieges hat sich das Land stets ideologischer Blockbildung widersetzt. Modi misstraut zu Recht den Motiven und außenpolitischen Asien-Konzepten des "America First"-Präsidenten Donald Trump. Und Washington ist weit davon entfernt, in den potenziellen Brandherden Pakistan und Kaschmir die harte Linie Delhis zu unterstützen. Im Gegenteil: Trump zieht sich eher aus Pakistan zurück und überlässt den Chinesen das Feld. Trotz ihrer angelsächsisch geprägten Rechts- und Bildungstradition kommt es den Indern deshalb nicht ungelegen, dass China die westlich dominierte Weltordnung herausfordert. Denn als Land mit der zweitgrößten Bevölkerung der Welt wird auch Indiens Spielraum in einer multipolaren Weltordnung umso größer.
Gleichzeitig hat Indien natürlich selbst Ambitionen, maßgebende Ordnungsmacht in Asien zu werden. Was allerdings mehr Wunsch als Wirklichkeit ist. Schon seit 1974 ist das Land Atommacht. Das jährliche Wirtschaftswachstum beträgt zwischen sechs und sieben Prozent. Der indische Wachstumsmarkt ist für viele Länder äußerst attraktiv. Mit seiner jungen Bevölkerung - das Durchschnittsalter liegt bei 25 Jahren - könnte Indien bis zur Mitte des Jahrhunderts zur drittgrößten Volkswirtschaft der Welt aufsteigen. Allerdings ist Indiens Wirtschaft weitaus kleiner als die chinesische.
Indische Sorgen vor China
Eine schwierige Situation für Indien. China und die USA sind die beiden wichtigsten Handelspartner Indiens. Allein schon deshalb wird Delhi sich nicht komplett auf eine Seite ziehen lassen. Konkurrenz, Konflikt und Kooperation liegen in den Beziehungen der drei Länder eng beieinander. Der amerikanisch-chinesische Handelskrieg hat die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Indien und China gestärkt und neue Möglichkeiten für indische Unternehmen auf dem chinesischen Markt geschaffen. Dennoch ist Delhi besorgt, dass chinesische Waren den heimischen Markt überschwemmen und lokale Anbieter verdrängen. Das ist auch der Grund, warum Indien noch einmal nachverhandeln will, wenn es um das RCEP-Abkommen geht, obwohl Ende vergangenen Jahres schon alles unter Dach und Fach schien. Sehr zum Ärger Pekings.
Obwohl bis heute etwa der chinesisch-indische Grenzverlauf im Himalaya umstritten ist und China Indien nie verziehen hat, dem Dalai Lama Exil gewährt zu haben, hat keine der beiden Seiten ein Interesse daran, die Meinungsverschiedenheiten in offenen Streit umschlagen zu lassen. Zumal beide Länder genug eigene Probleme zu lösen haben. Bei blutigen Straßenschlachten zwischen Hindus und Muslimen, die von Modis umstrittener Staatsbürgerschafts-Reform ausgelöst wurden, sind inzwischen 33 Menschen ums Leben gekommen. Und Xi Jinping steckt dank des Coronavirus in der größten Krise seiner Amtszeit. Delhi ist nicht schadenfroh in dieser Frage. Im dicht besiedelten Indien wurden bislang nur drei Krankheitsfälle gemeldet und diese auch schon wieder als genesen entlassen. Das ist verdächtig. Auf einen Ausbruch wäre die medizinische Infrastruktur Indiens nicht annähernd so gut vorbereitet wie China. Mit traditionellen und homöopathischen Heilmethoden, wie die 2014 von Modi gegründete Ayush-Gesundheitsbehörde vorschlug, kommt man dem Virus jedenfalls nicht bei. Sollte das Virus auch in Indien großflächig ausbrechen, wird Delhi von Peking schnell viel Hilfe brauchen und sie sicher auch umgehend bekommen.
Unser Kolumnist Frank Sieren lebt seit über zwanzig Jahren in Peking.