Pekings neuer Block im Osten
29. November 2017Man wolle "Brücken bauen", erklärte Chinas Ministerpräsident Li Keqiang anlässlich seines Besuchs beim China-Osteuropa-Gipfel in Budapest. Chinas wirtschaftliche Investitionen in der Region dienten vor allem einer "ausgewogenen Entwicklung Europas".
Tatsächlich wird die infrastrukturelle Entwicklung Europas dadurch ausgewogener. Doch die Brücken sind gleichzeitig auch Tunnel, die Brüssels Macht untergraben. Insgesamt rund drei Milliarden Dollar will China in den nächsten Jahren in die elf östlichen EU-Staaten Bulgarien, Kroatien, Tschechien, Estland, Lettland, Litauen, Ungarn, Polen, Rumänien, Slowenien und die Slowakei sowie in die fünf Balkanländer Albanien, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Montenegro und Serbien investieren. Das versprach Chinas zweitmächtigster Mann am Montag beim sechsten der seit 2012 jährlich stattfindenden China-Osteuropa-Konferenzen, die auch als "16 +1"-Gipfel bekannt sind.
Wichtiger Knotenpunkt der Neuen Seidenstraße
Dabei trifft es 1+16 wohl besser: Als Finanzier aller vereinbarten Projekte gibt die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt natürlich den Ton an. China betrachtet Osteuropa als wichtigen Knotenpunkt seiner Neuen Seidenstraße. Mit dem von Xi Jinping ins Leben gerufenen Infrastrukturprojekt will China Asien, Europa und Afrika wirtschaftlich enger miteinander verflechten. Dafür entstehen in historischem Ausmaß neue Handelswege zu Land und zur See.
Natürlich ist Peking dabei nicht selbstlos. Das hat Peking allerdings auch nie behauptet. Wenn die Bauprojekte von chinesischen Banken finanziert werden, sollen sie auch von Chinesen gebaut werden. Und man möchte politische Dankbarkeit. China ist bereits jetzt an ungarischen Autofabriken, serbischen Stahlwerken, rumänischen Ölraffinerien, albanischen Flughäfen und Kraftwerken in Kroatien beteiligt. Mit Ungarn vereinbarte Li Keqiang beim diesjährigen Gipfel zum Beispiel die Modernisierung einer Bahnstrecke, die dazu beitragen soll, dass Güter, die im von China kontrollierten griechischen Hafen von Piräus ankommen, über Belgrad und Ungarn noch schneller in den mitteleuropäischen Markt gelangen.
Die Länder Osteuropas, die sich von Brüssel vernachlässigt fühlen, nehmen die lukrativen Investitionsprogramme aus China dankend an. Die Westbalkanstaaten, die bislang noch auf EU-Aufnahme hoffen, fühlen sich durch Pekings Entgegenkommen endlich ernst genommen.
Gefahr einer Spaltung der EU
Das völlig legale Engagement Chinas entwickelt sich für Brüssel zu einem echten Problem. "Chinas Investitionen in Osteuropa bergen die Gefahr einer zunehmenden Spaltung der EU", warnt etwa der SPD-Europaabgeordnete Bernd Lange. Da ist er noch viel zu vorsichtig: Sie bergen nicht nur die Gefahr. Die Spaltung ist längst im Gange.
China erschafft mit seinen kreditbasierten Investitionshilfen nicht nur wirtschaftliche Dankbarkeit, sondern auch politische Freunde, die Peking helfen, seinen politischen Einfluss innerhalb der EU auszuweiten. So kippte etwa Griechenland, "Chinas verlässlicher Freund in Europa" wie Xi Jinping das Land einmal nannte, im Sommer dieses Jahres gleich mehrere EU-Stellungnahmen, in denen es um Menschenrechtsverletzungen, das Verhalten Chinas im Südchinesischen Meer und strengere Bedingungen für chinesische Investitionen in der EU ging.
Populistische Politiker wie Tschechiens Präsident Miloš Zeman oder der ungarische Premierminister Viktor Orbán sympathisieren unterdessen öffentlich mit Chinas autoritärem Regierungssystem und begrüßen, dass Peking ihnen - anders als Brüssel und Berlin - keine Belehrungen in Sachen Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Flüchtlingspolitik erteilt. "Die Welt ändert sich, und China hat die Mittel, um Entwicklungen zu ermöglichen, die mit EU-Geldern nicht möglich wären", erklärte Orbán am Montag in Budapest kurz und knapp.
Die EU müsste alternative Programme anbieten
Leider hat er damit Recht. Die EU müsste eigentlich eigene Infrastrukturinitiativen entschlossener vorantreiben, etwa die 2014 während des sogenannten "Berlin-Prozesses" angekündigten Straßen- und Energienetzwerke für den Westbalkan. EU-Kandidatenländern wie Serbien, die sich noch nicht auf Gelder aus dem EU-Strukturfonds verlassen können, ist es nämlich egal, woher die Förderung kommt. Hauptsache es geht voran. Das Problem: Die EU ist zu langsam, zu zerstritten und hat immer weniger Geld.
Das bedeutet, dass Peking seinen Spielraum bislang vor allem durch bilaterale Abkommen praktisch ungebremst ausschöpfen kann. Eine für China verbindliche "Ein-EU-Politik", wie sie etwa Reinhard Bütikofer, Chef der Grünen im Europaparlament fordert, ist zwar originell an die Ein-China-Politik angelehnt, derzeit jedoch eine Luftnummer. Warum sollte China das tun? Ein Argument gibt es allerdings doch: Peking sollte ein Interesse an einer stabilen, mächtigen EU haben, mit der sich China in wichtigen globalen Fragen Seite an Seite gegenüber den USA positionieren kann, etwa beim Thema Freihandel oder bei der Frage, wie man mit Iran oder Nordkorea umgeht.
Offensichtlich sind Peking jedoch die Infrastrukturprojekte und die Möglichkeit, Brüsseler Initiativen gegen China auszuhebeln, einstweilen wichtiger, als eine stabile multipolare Weltordnung.
Unser Kolumnist Frank Sieren lebt seit über 20 Jahren in Peking.