Big Data gegen den unsichtbaren Feind
2. April 2020In China sind sogenannte Health-Code-Apps wichtig geworden, um eine zweite Infektionswelle zu verhindern. Dabei handelt es sich um QR-Codes auf dem Smartphone, die basierend auf persönlichen Daten und dem eigenen Bewegungsprofil nachweisen, dass man nicht infiziert war oder mit infizierten Personen Kontakt hatte. Je nachdem was die Software errechnet, wird der User als gesund oder als potenzieller Risiko-Kandidat klassifiziert. In Zügen, Bussen, Flughäfen, Bürogebäuden und sogar dem eigenen Wohnhauskomplex kommt man nicht mehr darum herum, den Code vorzuzeigen. Andernfalls wird man nicht hineingelassen.
Die bekannteste Gesundheitscode-Software stammt vom Tech-Giganten Alibaba und entstand in enger Zusammenarbeit mit den chinesischen Behörden. Aber auch andere Firmen waren schnell mit ähnlichen Technologien am Start. Das war so schnell möglich, weil der chinesische Staat umfassenden Zugriff auf Bewegungsdaten der Bürger hat und die Programmierer so gut wie nicht von einem Datenschutzgesetz eingeschränkt werden.
Der soziale Druck steigt
Hinzu kommt: Die meisten Menschen in China wollen schnellstmöglich ihr normales Leben zurück und sicher sein, dass das Virus nicht wiederkommt. In China hat der Lockdown ja schon am 23. Januar begonnen. Und deshalb geht der soziale Druck eher in die Richtung, dass möglichst alle mitmachen, obwohl die Nutzung der App noch freiwillig ist, also nicht vom Staat verordnet wurde. Dies über den sozialen Druck sich gewissermaßen selbst regeln zu lassen, ist ja auch geschickter als es staatlich vorzuschreiben - vorausgesetzt die Menschen machen mit. Bei den digitalen Bezahlsystemen in China lief das auch so. Immer mehr Menschen waren davon überzeugt, dass sie sinnvoll sind und sie überzeugten immer mehr andere davon. Bis es dann selbst für die Skeptiker keinen Sinn mehr ergab, sich der Technologie weiter zu entziehen, weil sie den Alltag weitgehend durchdrungen hatte.
Beim Gesundheitscode kommt noch ein anderer Aspekt hinzu: Die, die mitmachen, haben sogar das Gefühl, Gutes zu tun und ihren Teil dazu beizutragen, dass die Gesellschaft vor einem neuen Ausbruch gefeit ist. Und: Gegen ein technologisch eigenständiges Frühwarnsystem käme dann auch die Zensur nicht an, hoffen die Menschen in China. Denn die Polizei und die Staatssicherheit in Wuhan hatten ja anfangs rigoros versucht, warnende Ärzte mundtot zu machen, wofür sie sich inzwischen entschuldigen mussten.
Lob von der WHO
Nicht nur in China ist diese Technologie erfolgreich: Die Insel Taiwan, aber auch Südkorea haben in der Viruskrise ebenfalls digitale Kontrollsysteme eingesetzt, um Kontaktpersonen von Erkrankten anhand von Mobilfunk-Standortdaten zu ermitteln und gegebenenfalls zu isolieren. In beiden Ländern verlief die Epidemie vergleichsweise milde. Die neuen Technologien waren eine große Unterstützung bei der Umsetzung der Quarantäne, attestiert auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Und auch der deutsche Virologe Christian Drosten ist überzeugt, dass die Verfolgung von Bewegungsdaten "wissenschaftlich vielversprechend" sei. Vor allem wenn es darum geht, das Virus in einem Frühstadium zu bekämpfen.
Mit dieser Meinung steht er nicht alleine da. Und deshalb soll sich auch in Deutschland eine solche App durchsetzen. Das zumindest erhoffen sich das Gesundheitsministerium und Forscher des Robert-Koch-Institutes, die mit Forschern und Programmierern an der Entwicklung einer ähnlichen Technologie arbeiten. So wie in China soll die App freiwillig sein. Niemand wird gezwungen, sie herunterzuladen. Aber anders als in China bleiben die überprüften Personen komplett anonym. Niemand, auch der Staat nicht, soll erfahren, wer sich wann und wo mit wem getroffen hat. Und derjenige, der mit einem Coronaviren-Träger Kontakt hatte, soll auch nicht wissen dürfen, wer der- oder diejenige ist.
Die App kann aber nur wirkungsvoll funktionieren, wenn 60 Prozent der Bevölkerung mitmachen. Es wird nicht so einfach wie in Asien sein, einen solchen Wert zu erreichen.
Nur die Hälfte der Deutschen ist dafür
Eine aktuelle Umfrage hat ergeben, dass nur die Hälfte der Bundesbürger nichts gegen die Mobilfunk-Ortung einzuwenden hätte, wenn sie hilft, Kontaktpersonen von Corona-Erkrankten zu warnen. Politisch ist das dünnes Eis. Deshalb musste ein Kompromiss her: Das System misst über Bluetooth, welche Menschen so nah zusammen waren, dass eine Übertragung des Coronavirus denkbar gewesen wäre. Die App registriert allerdings nicht, wo das passiert ist. Sie misst lediglich die Entfernung zu anderen Geräten. Das soll entscheidend sein, um die Menschen davon zu überzeugen, die App zu benutzen. Die Bundeskanzlerin hat bereits verkündet, sie würde es tun.
Dennoch ist das Gefühl vieler Menschen ja nicht ganz von der Hand zu weisen, überwacht zu werden und womöglich dabei zu helfen, die Bewegungsfreiheit anderer Menschen einzuschränken, wenn sie die App benutzten. Doch anderseits wird es einfach sein viele Menschen - vor allem diejenigen, die gerade ihren Job oder gerade ihre Existenz verlieren - zu überzeugen, mitzumachen. Und anders als in China ist die Gefahr viel geringer, dass der Staat sich Daten holt, die ihn nichts angehen.
Unser Kolumnist Frank Sieren lebt seit über zwanzig Jahren in Peking.