Sierens China: Leihfahrräder zurück auf Los
3. Mai 2017Lange ist es ja nicht gut gegangen: Leihräder machten eine immer größere Welle, bis dann erst den Leuten und dann den Behörden der Kragen geplatzt ist. Das Chaos kam langsam und wurde dann immer größer. Erst standen nur ein paar Räder herum, dann wurden es immer mehr, bis sie in großen Haufen am Rande von Kreuzungen lagen und nachts von Spezialkräften sortiert und wieder aufgestellt werden mussten, die orange-silbernen, gelben oder blauen Leihräder von chinesischen Start-up-Unternehmen.
Revolution auf Chinas Straßen
Eine Revolution auf den verstopften Straßen der Metropolen Chinas haben junge Unternehmer vor fast einem Jahr losgetreten, als sie anfingen günstige Mieträder auf die Straßen zu stellen - ganz ohne Mietstation, einfach per App übers Smartphone zu bedienen. Die Leihräder kosten gerademal 60 Cent pro halbe Stunde und sind aufgrund der kinderleichten Bedienung sofort mit großer Begeisterung bei den Großstädtern aufgenommen worden. Die hatten die Nase voll vom täglichen Stau. Nun mussten sie zwar strampeln, doch immerhin fuhren sie an den Autos vorbei und kamen vorwärts - und das auch zur Rush Hour in Peking, Schanghai oder Shenzhen. Für den letzten Kilometer von U-Bahn zum Büro oder nach Hause sind sie ideal. Doch auf den großen Nutzen folgen die großen Probleme. Weil jeder die Räder überall abstellt, verstopfen sie nun Bürgersteige, U-Bahn-Eingänge - ja sogar selbst die teils engen Fahrradwege.
Immerhin haben die Start-ups der Fahrradverleiher Mobike, Ofo und blue gogo nun Arbeiter eingestellt, die die Räder wieder einsammeln und ordentlich an den Straßenecken parken. Doch diese kommen einfach nicht hinterher. 700.000 dieser Räder sind allein in Peking auf den Straßen und elf Millionen Pekinger sind via Apps als Nutzer registriert. Mehr als sieben Millionen der Leihräder werden täglich genutzt. Und dennoch buhlen die Start-ups mit Rabatten um noch mehr Nutzer. Denn ihnen geht es darum, das Monopol auf dem Leihfahrradmarkt zu halten.
Fahrradverleiher auf Expansionskurs
Erst im Februar hat Mobike, der Betreiber der orange-silbernen Leihräder 300 Millionen US-Dollar bei Investoren einsammelt und ist damit über eine Milliarde US-Dollar wert. Auch die gelben Räder von Ofo bekamen 450 Millionen Dollar neues Kapital. Chinas Internetkonzerne sind die Geldgeber für diese gigantischen Zuwächse. Die Schlacht ums Überleben ist - wie bei den Car-Sharing-Firmen - nun auch beim Bike-Sharing angekommen. Mehr als 30 Prozent der Menschen in Peking nutzen inzwischen Mieträder. Das ist nicht nur gut für die Gesundheit, sondern auch für die Umwelt. Allerdings sind die Räder auch überall im Weg. Das Thema wird deswegen langsam politisch heikel.
Pekings 13. Fünf-Jahres-Plan für die Zeit von 2016 bis 2020 sieht zwar vor, dass innerhalb des 5. Ringes mehr Gehwege und Fahrradspuren ausgebaut werden. Doch viele Pekinger - und nicht nur die Autofahrer - sind jetzt schon wütend, wenn es um die Leihfahrräder geht. Die Fußgänger meckern über die rücksichtslos auf den Gehwegen abgestellten Räder, die Autofahrer lästern über die im Schneckentempo herum eiernden Fahrradfahrer. Und die Mietradnutzer selbst sind erbost über kaputte Fahrräder oder aber über dreiste andere Nutzer, die einfach ein Schloss an die Mieträder anbringen, damit gesichert ist, dass nur sie allein das Rad nutzen können. Damit ersparen sie sich nach Feierabend die Sucherei nach einem freien Rad.
Regeln für Räder
Hinzu kommt, dass die Garantie der Sicherheit der Räder bisher eine Grauzone war und auch Regelverstöße bei der Nutzung der Räder kaum geahndet wurden. Das führte zu Rowdytum und öffentlichem Vandalismus. Die Bilder von zu Bergen gestapelten Mieträdern gingen um die Welt. Die App, mit der man die Räder nutzen konnte, ist so kinderfreundlich, dass sogar Minderjährige die Räder einfach nutzen können, sofern sie ein Smartphone haben.
Peking hat lange zugeschaut, nun aber doch gehandelt: Noch im Mai soll es eine Obergrenze für die Zahl der genehmigten Mieträder geben. Diese unterliegen darüber hinaus künftig Sicherheitsstandards. Die neuen Auflagen sind aber bisher noch milde: So müssen die Fahrräder lediglich mit einem GPS ausgestattet sein, das anzeigt, wo nicht geparkt werden darf. Dazu kommt, dass die Leihräder-Betreiber nun eine Versicherung abschließen müssen. Und Kinder unter zwölf Jahren dürfen die Räder nicht mehr nutzen. Jetzt ist jedenfalls klar: Ganz ohne Spielregeln geht es doch nicht.
Unser Kolumnist Frank Sieren lebt seit über 20 Jahren in Peking.