Kein Retter in der Not
30. April 2020Das ist ungewöhnlich: Am vergangenen Freitag veröffentlichte die chinesische Zentralbank die Ergebnisse einer Umfrage, die bereits im Oktober durchgeführt wurde. Der Tenor: Die Chinesen waren auch vor der Krise schon ordentlich verschuldet. Ihr Spielraum ist womöglich kleiner als gedacht. Gut die Hälfte der 30.000 befragten Haushalte ist verschuldet und zwar mit einem durchschnittlichen Schuldenniveau von umgerechnet rund 72.000 US-Dollar. Zwei Drittel der Schulden sind Hypotheken. Umgekehrt sind dann auch 60 Prozent der privaten Haushaltsvermögen Immobilienwerte, nur etwa ein Fünftel Geldvermögen.
Politisch bedeutet die Umfrage vor allem Eines: Man möchte bei der Zentralbank offensichtlich darauf hinweisen, dass die Maßnahmen der Regierung nicht ausreichend sein könnten, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Nach Berechnungen der Schweizer Bank UBS hat Peking derzeit ein Konjunkturprogramm aufgelegt, dass etwa vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) entspricht, während es bei der Weltfinanzkrise noch insgesamt zehn Prozent waren. 2016 lag der staatliche Anschub bei zwei Prozent.
Streit über den richtigen Kurs?
Möglicherweise gibt es hinter den Kulissen sogar einen Streit darüber. Die eine Seite könnte argumentieren, dass die Chinesen deutlich mehr Rücklagen haben als etwa die Amerikaner. Während die Chinesen gut ein Drittel ihres verfügbaren Einkommens sparen, sind es in den USA nicht einmal sieben Prozent. Deshalb ist die Schuldenlast weniger dramatisch. Diese Argumentation würde vor allem in eine Richtung zielen: Es soll verhindert werden, dass die Staatsverschuldung noch einmal dramatisch ansteigt. Die andere Seite könnte hingegen argumentieren: Wenn man jetzt nicht klotzt und die Wirtschaft nicht richtig in Fahrt kommt, wird es später nur noch teurer.
Klar ist: Chinas Wirtschaft steht nach der Corona-Krise vor großen Herausforderungen. Das BIP ist in den ersten drei Monaten um 6,8 Prozent eingebrochen, so stark wie seit Jahrzehnten nicht. Deshalb ist es umso erstaunlicher, dass die chinesische Regierung glaubt, es mit einem nur vier Prozent des BIP umfassenden Konjunkturpaket hinzubekommen.
Wichtig ist für Peking jetzt vor allem, den heimischen Konsum anzukurbeln, der längst zum wichtigsten Motor für die chinesische Wirtschaft geworden ist. Im vergangenen Jahr trug er knapp 60 Prozent zum chinesischen Wachstum bei. Im Januar und Februar waren die Einzelhandelsumsätze jedoch um gut 20 Prozent eingebrochen. Im März hat sich der Wert auf ein Minus von gut 16 Prozent vermindert.
Nur eine abgestufte Konsumlust
Das bedeutet: Mit dem ersten Quartal hat China voraussichtlich das Schlimmste schon hinter sich. Das Land befindet sich im Erholungsprozess. Doch anders als nach SARS springt die Konsumlust nicht unmittelbar wieder an, sondern entwickelt sich nur abgestuft. Auch angesichts der Furcht vor einer zweiten Epidemiewelle warten die Menschen erst einmal ab.
Einer Studie von China's Southwestern University of Finance and Economics zufolge, für die mehr als 28.000 chinesische Haushalte befragt wurden, plant mehr als die Hälfte nach der Krise mehr Geld auf die hohe Kante zu legen und insgesamt weniger auszugeben. Immerhin 40 Prozent gaben an, an ihrem Konsum nichts ändern zu wollen. Nur neun Prozent wollen mehr Geld ausgeben als zuvor. Die Frage ist nun, ob das reicht, um den Einbruch im ersten Quartal wieder auszugleichen. Ein großer Unterschied zur SARS-Krise ist neben der höheren Privatverschuldung, dass der Konsum heute einen viel größeren Anteil an Chinas Wirtschaftskraft ausmacht.
Peking setzt auf punktuelle Maßnahmen
Statt Rettungspaketen wie sie die europäischen Staaten, die USA oder Japan derzeit schnüren, setzt Peking ja bislang vor allem auf punktuelle Maßnahmen, um die Wirtschaft wieder auf Normalbetrieb zu bringen. In einem ersten Schritt wurden Steuererleichterungen und Zinssenkungen auf den Weg gebracht sowie Sozialabgaben zurückerstattet. Hinzukommen gezielte Liquiditätshilfen für Betriebe sowie Konsum-Gutscheine für die Bürger. Allein in der ostchinesischen Stadt Hangzhou sollen mit solchen Konsumgutscheinen innerhalb von 56 Stunden rund 64 Millionen US-Dollar eingelöst worden sein.
In mehreren Provinzen wird nun sogar ein verlängertes Wochenende diskutiert, um insbesondere den Inlandstourismus wieder flottzumachen, dessen Einnahmen dieses Jahr um 69 Prozent sinken könnten. Große Infrastrukturmaßnahmen wird es dagegen weniger geben. "Zu viele aggressive Stimuli können zu Inflation und einem Anstieg der Verschuldungsquote führen", warnt ein Sprecher der chinesischen Zentralbank.
In Bereichen wie dem Wohnungsbau oder bei Flughäfen und Schnellzugstrecken ist Chinas Markt ohnehin gesättigter als vor zehn Jahren. Es sieht ganz so aus, dass China es sich dieses Mal verkneift, die gesamte Weltwirtschaft in Schwung zu bringen und dafür eine große Schuldenlast in Kauf nimmt. Vielmehr versucht Peking mit dem kleinstmöglichen Aufwand den größtmöglichen Effekt zu erzielen. Zumindest noch.
Unser Kolumnist Frank Sieren lebt seit über zwanzig Jahren in Peking.