Sierens China: Kein Fair Play
12. September 2015"China ist keine Quelle für Risiken, sondern für Chancen", sagte Chinas Premier in seiner Eröffnungsrede beim Treffen des Weltwirtschaftsforums in der ostchinesischen Stadt Dalian vor über 1.700 Topmanagern. "Wir beschleunigen strukturelle Reformen, um das volle Potenzial der Wirtschaft zu erreichen", versprach Li weiter. Die Europäische Handelskammer in China ist da ganz anderer Meinung. Sie kritisiert, dass die chinesische Regierung die vor zwei Jahren versprochenen Marktreformen nicht zügig genug durchführt und Handelsbeschränkungen nicht abbaut. Das sind die wichtigsten Punkte eines 441-seitigen Positionspapieres, das die EU-Kammer in dieser Woche vorstellte.
Statt größerer Marktöffnung werde ausländischen und privaten Unternehmen der Zugang zum Markt kompliziert gemacht. Die Forderungen sind im Einzelnen durchaus berechtigt. Und es ist wichtig, klar und deutlich darauf hinzuweisen. Die Schlussfolgerung der Kammer ist jedoch ein wenig überspitzt. "Wenn China sein Haus renoviert, stellt sich für die europäischen Unternehmen die Frage, ob sie künftig noch rein dürfen oder draußen bleiben müssen", sagte Kammerpräsident Jörg Wuttke in Peking. Selbstverständlich braucht das Haus China auch in Zukunft noch ausländische Mieter. Nur dass nach der Renovierung die Miete steigt, ist auch klar. Und der Vermieter merkt sich natürlich genau, wer sich wegen des vermeintlichen Krachs und des Drecks besonders laut beschwert hat.
Keine Alternative zum chinesischen Markt
Deswegen kommt es in der gegenwärtigen schwierigen wirtschaftlichen Lage noch mehr als bisher auf die richtige Tonlage an. Vor allem, weil die europäischen Mieter keine ernsthafte Alternative zu China haben, und Peking das natürlich weiß. Dass man für seine Interessen mehr erreichen kann, wenn der Ton weniger konfrontativ ist, haben der Internationale Währungsfonds aber auch das jüngste Finanzministertreffen der G-20 Länder deutlich gemacht. Sie haben China nicht in die Zange genommen, sondern versucht, Peking dabei zu unterstützen, an den richtigen Stellen voranzukommen.
Peking sollte allerdings andererseits klug genug sein, sich die Kritik aus Europa genau anzuhören, bevor der Unmut unkontrollierbar wird. Die Enttäuschung über die 2013 gegründete Freihandelszone in Shanghai ist nicht nur authentisch, sie ist auch berechtigt. Und es ist in dieser wirtschaftlichen Lage nicht sehr klug, die Landnutzungsrechte für Industrieprojekte von 50 auf 20 Jahre zu reduzieren, wie jüngst in Shanghai geschehen. Da überlegt sich mancher Unternehmer seine Investition zweimal. Vor allem eine generelle Einschätzung der europäischen Wirtschaft sollte Peking zu Denken geben. Mehr als jedes zweite europäische Unternehmen fühlt sich gegenüber chinesischen Wettbewerbern benachteiligt. Fair Play sieht anders aus.
DW-Kolumnist Frank Sieren lebt seit 20 Jahren in Peking.