Die "Neue Seidenstraße" austarieren
25. April 2019Die Gästeliste ist hochrangiger als noch vor zwei Jahren - es kommen deutlich mehr Spitzenpolitiker: 40 Staats- und Regierungschefs aus der ganzen Welt haben sich zu Chinas zweitem "Belt & Road"-Forum" (BRF) am Freitag und Samstag angekündigt - zwölf mehr als beim ersten "Seidenstraßen-Treffen" 2017. Aus Europa werden unter anderem Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, Italiens Premier Giuseppe Conte, Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz, der britische Finanzminister Philip Hammond und der Schweizer Bundespräsident Ueli Maurer am Yanqi-See außerhalb von Peking erwartet. Ranghohe Vertreter aus Indien und den USA bleiben dagegen fern.
Washington nennt Chinas "Neue Seidenstraße" eine "räuberische Schuldenfalle". Indien fühlt sich durch Pekings Infrastruktur-Initiative eingekesselt, da die Chinesen Allianzen mit fast allen indischen Nachbarländern geschmiedet haben, inklusive dem Erzfeind Pakistan im Westen und Sri Lanka im Osten. Europa hingegen bleibt gespalten. Im März hat sich Italien trotz großer Bedenken aus Brüssel und Washington als erstes G7-Land der Initiative angeschlossen.
Globaler Hoffnungsträger
Xi Jinpings Mega-Projekt hat Erfolg, so viel ist klar. Keinem anderen Politiker ist es in den vergangenen Jahrzehnten gelungen, global so viel Hoffnung zu verbreiten - aber eben auch viele Befürchtungen. Xi hat viele Widerstände unterschätzt. Die einen bezeichnen seine "Belt & Road"-Initiative als neuen Marshall-Plan, die anderen als neokolonialistisches Instrument, mit dem man ärmere Nationen über Kredite abhängig mache und dann ausbeute.
Dass Außenminister Wang Yi in dieser Woche abermals erklärte, die "Neue Seidenstraße" sei kein "Werkzeug, um den geopolitischen Einfluss Chinas zu vergrößern, sondern eine Plattform der Kooperation", macht es nicht einfacher. Denn natürlich vergrößert die Initiative den globalen Einfluss Chinas, aber natürlich ist es auch eine Kooperation, die allen beteiligten Ländern viel helfen kann. Chinas Regierung hat in den vergangenen 30 Jahren gelernt, welche Kraft eine gut funktionierende Infrastruktur bei der Wirtschaftsentwicklung entfalten kann. Eine Kraft, die nun auch Länder in Afrika, Zentralasien, Mittelamerika und Südosteuropa stärken soll. Eine Win-win-Situation im besten Fall, die natürlich nicht immer erreicht wird.
Klar ist: China ist dieses Projekt sehr wichtig. Das zeigt nicht nur die Veranstaltung am kommenden Wochenende, sondern auch, dass die "Neue Seidenstraße" seit 2017 Teil der chinesischen Verfassung ist. Seit 2013 sollen bereits Projekte mit einem Volumen von schätzungsweise 70 Milliarden US-Dollar verwirklicht worden sein. Das im Einzelnen nachzurechnen ist schwierig. Denn ob in Kuba oder Nigeria, in Malaysia oder auf den Malediven - heute zählt jede chinesische Kooperation irgendwie zur "Neuen Seidenstraße".
Tatsächlich war vieles davon bereits geplant, bevor Chinas Präsident Xi die "Belt & Road-Initiative" ausgerufen hat - etwa der Hafen von Gwadar, dessen Bau bereits 2001 begonnen wurde, mittlerweile aber als eines der zentralen Projekte der Seidenstraßen-Initiative gilt. Es ist ja nichts Verwerfliches daran, vorhandene Projekte unter ein neues Motto zu stellen, das diesen neuen Schub verleiht.
Die besten Kunden sind zufriedene Kunden
Die Initiative hat dazu geführt, dass viele Länder, insbesondere in Zentralasien und Afrika, eine Aufbruchstimmung verspüren, die so vor zehn Jahren noch undenkbar schien. Mit der Zeit werden die beteiligten Länder jedoch eher kritischer. Myanmar, Malaysia, Nepal oder Pakistan haben inzwischen Projekte aufgekündigt oder neu verhandelt, die ihnen unvorteilhaft oder zu riskant vorkamen.
Peking ist nicht nur an kurzfristigen Gewinnen interessiert, sondern an langfristigen politischen Partnerschaften, die am Ende viel wertvoller sein können. So zeigt man sich kompromissbereit, wenn nötig. Die besten Kunden sind eben die, die so zufrieden sind, dass ihnen die Abhängigkeit von ihrem Lieferanten gar nicht auffällt. Deswegen werden die Spitzenpolitiker aus aller Welt an diesem Wochenende hofiert.
Saubere Regierungsführung als Prinzip an der Seidenstraße?
Und deswegen gibt es auch durchaus Chancen, dass Peking sich bewegt, was die Intransparenz vieler Projekte betrifft, zum Beispiel bei Ausschreibungen, die manchmal so formuliert sind, dass sie besonders gut auf chinesische Anbieter passen. An diesem Wochenende sollen bessere Antikorruptions-Mechanismen und genauere Evaluierungsprozesse für geplante Projekte diskutiert werden. Das gilt insbesondere auch für Chinas Staatsunternehmen, die für große Teile der Seidenstraßen-Investitionen verantwortlich sind. Das ist jedenfalls besser, als immer von Neuem zu betonen, dass der Wirtschaftsgürtel eine "grüne, innovative und offene Straße des Friedens" sei.
Festzustellen, dass die Neue Seidenstraße "saubere Regierungsführung als moralisches Prinzip" haben solle, wie es in einem offiziellen, diese Woche in China veröffentlichten Report heißt, ist ein Fortschritt. Dies dann auch umzusetzen, brächte allerdings den größeren Schub. Und der ist auch nötig, wenn Peking nach dem Erfolg mit Italien noch mehr Industrienationen mit ins Boot holen will, die innerhalb der Initiative gemeinsam mit China in Drittländer investieren. Allerdings wird kein anderes Land finanziell auf Augenhöhe mit Peking agieren können. Damit sind die Machtverhältnisse schon vorbestimmt.
Unser Kolumnist Frank Sieren lebt seit über zwanzig Jahren in Peking.