Seidenstraße auf Messers Schneide
13. Mai 2020Die Corona-Pandemie hat auch Chinas "Belt & Road-Initiative" (BRI) stark ausgebremst. Im Westen besser bekannt als "Neue Seidenstraße" wurde die Initiative 2013 von Xi Jinping als weltumspannendes Infrastrukturnetzwerk vorgestellt, das mit Straßen, Eisenbahnen, Flug- und Seehäfen Asien, Europa und Afrika wirtschaftlich enger miteinander verzahnen soll.
Nun wurden in diesen Wochen nicht nur die Volkswirtschaften des Westens heruntergefahren. Auch an der Neuen Seidenstraße stehen die Baustellen weitgehend still. Rohstoffe fehlen, weil Lieferketten stocken. Tausende Arbeiter aus China können bis auf weiteres nicht mehr in den betreffenden Länder ein- oder ausreisen. Viele Verträge können erst einmal nicht mehr wie vereinbart bedient werden. Manches muss neu verhandelt, anderes wohl auch mangels finanzieller Mittel aufgekündigt werden.
Wieviel Hilfe für die Seidenstraßen-Partner?
Es trifft dabei vor allem Staaten, die nicht ausreichend Rücklagen haben, eine solche Krise durchzustehen. Das bringt Peking in ein Dilemma: Man kann die Länder nicht einfach im Stich lassen, aber auch nicht endlos deren Schulden schultern, denn man hat zu Hause genug zu tun, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln.
Vergangenen Monat bat zum Beispiel die Regierung in Islamabad darum, der gebeutelten pakistanischen Wirtschaft bei Rückzahlungen gemeinsamer Projekte entgegenzukommen. Der rund 62 Milliarden US-Dollar teure chinesisch-pakistanische Wirtschaftskorridor (CPEC) ist eines der Schlüsselprojekte der Seidenstraßen-Initiative. Auch mehrere afrikanische Staaten haben bereits in Peking angeklopft, um Rückzahlungen zu stunden oder zu reduzieren.
Dass die Pandemie von China aus die Welt befallen hat, wird dabei aus Rücksicht auf Pekinger Empfindlichkeiten nicht erwähnt. Das Argument, man sei ohne eigene Schuld in die Krise geraten, fällt hingegen schon. Und Peking wird daran erinnert, dass die "One Belt One Road"-Initiative 2017 als nationales Ziel in die chinesische Verfassung eingeschrieben wurde. Das galt und gilt für die beteiligten Länder als Gütesiegel der Verlässlichkeit. Peking muss jedoch darauf achten, dass nicht das passiert, worauf im Westen immer warnend hingewiesen wurde: Was als Hilfe daherkommt, wird zur Schuldenfalle, die die Länder in die weitgehende wirtschaftliche Abhängigkeit von Peking treibt.
Kompromisse, aber keine grundlegende Änderung
Als Musterbeispiel dafür gilt der Hambantota-Hafen in Sri Lanka: ein strategisch wichtiger Knotenpunkt im Indischen Ozean, den sich Peking, nachdem Sri Lanka seine Schulden 2017 nicht mehr bedienen konnte, durch eine Umschuldung für 99 Jahre gesichert hat. Ein ähnlich gravierender Fall hat sich seitdem zwar nicht wiederholt, der Imageschaden für die BRI war dennoch enorm. Als der malaysische Premierminister Mahathir Mohamad eine neue Eisenbahnstrecke im vergangenen Jahr stoppte um nachzuverhandeln, zeigte sich Peking auch deshalb kompromissbereit: Am Ende musste Malaysia elf Milliarden US-Dollar weniger zahlen und denkt bereits über neue Projekte nach.
Auch in der Corona-Krise muss Peking Zeichen setzen. Xi kündigte dann auch schon Mitte März an, dass es keine "grundlegenden Anpassungen" bei der BRI geben werde. Es wurden sogar seit Januar eine Reihe neuer Kooperationsvereinbarungen geschlossen, unter anderem mit Myanmar, Nigeria und der Türkei. Und Ende April verkündete die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua, man habe wichtige Teile eines 411 Kilometer langen Hochgeschwindigkeitsnetzes von der chinesischen Yunnan-Provinz nach Laos fertiggestellt.
Der Bau der Hochgeschwindigkeitsstrecke Jakarta-Bandung in Indonesien hingegen stand lange wegen der Quarantäneregeln still. Ähnlich sieht es in Pakistan, Sri Lanka und Bangladesch aus. Dennoch ist es unwahrscheinlich, dass die BRI scheitern oder auch nur einschlafen wird. Denn zu viel steht bei der Neuen Seidenstraße für Peking auf dem Spiel. Es geht ja nicht nur um die Auslastung der eigenen Bauwirtschaft und darum, neue Absatzmärkte zu schaffen, sondern um langfristige politische Partnerschaften jenseits des Westens. Mehr noch: Es geht darum, die Mehrheit der Welt hinter sich zu bringen.
Die Balance zwischen Expansion und Stabilität finden
Jetzt in der Krise zählt politische Hilfe doppelt. Das wird sich Xi etwas kosten lassen und er wird bei all den großen Schwierigkeiten aus einer vergleichsweise besseren Position als der Westen handeln können. Denn China hat die Viruskrise viel schneller hinter sich gelassen und befindet sich schon wieder in einer Phase der wirtschaftlichen Erholung.
Chinas Staatsbanken, welche die meisten Auslandskredite der vergangenen 15 Jahre bewilligt haben, haben genug Mittel, um von Fall zu Fall zu entscheiden, ob sie Stundungen, Zinsnachlässe oder Schuldenerlässe erlauben. Xi größtes Problem dabei: Auch seine Bürger brauchen Hilfe und werden wenig Verständnis zeigen, wenn jetzt Geld nach Pakistan oder Nigeria überwiesen wird. Denn trotz Zensur kann der Unmut über solche Entwicklungen in den Sozialen Medien schnell hochkochen. Die Nerven liegen nach der Corona-Krise auch in China blank. Die richtige Balance zwischen außenpolitischer Expansion und innenpolitischer Stabilität zu finden, ist jetzt die größte Herausforderung für Präsident Xi.
Unser Kolumnist Frank Sieren lebt seit über zwanzig Jahren in Peking.