Sie haben "Charlie Hebdo" enthauptet
7. Januar 2015Es ist der Abend nach dem Anschlag. Einige tausend Pariser versammelten sich auf dem Place de la République, unter der Statue der Marianne, dem Symbol Frankreichs zu einer stillen Mahnwache. Unter den Flaggen verschiedener Gewerkschaften, mit Kerzen und Plakaten gedenken sie der Toten dieses Tages.
"Es ist das französische Volk, das diese Irren angegriffen haben", sagt Bruno, der mit einer Gruppe Lehrern auf den Platz gekommen ist. Es sei nun Sache des französischen Volkes, darauf zu antworten. "Es ist einfach ein Angriff auf die Republik, auf alles, wofür wir stehen", bestätigt sein Kollege Alain. "Es ist unerträglich, und die Zeichner von 'Charlie Hebdo', die kennt doch jeder! Wir sind mit ihnen aufgewachsen, ich erinnere mich an sie seit meiner Jugend".
"Die Barbarei tötet"
Er glaubt, dass das Attentat jedenfalls den Front National mit seinen Ausländer- und Islam-feindlichen Parolen weiter stärken werde. Dass sich die Beziehungen zwischen Christen und Muslimen in Frankreich verschlechtern würden, glaubt der Mann nicht. "Jedenfalls nicht unter vernünftigen Leuten", ergänzt er.
Zwei junge Kurden schieben sich durch die Menge mit einem Plakat: "Die Barbarei tötet in Paris wie in Kobane", steht darauf. Sie glauben, dass die Terrororganisation "Islamischer Staat" hinter dem Mordanschlag steckt. Doch noch gibt es keine Bestätigung und kein Bekennerschreiben von irgendeiner Seite. Ein Zeuge, dem die Täter während ihrer wilden Flucht durch Paris das Auto weggenommen haben, berichtet im Sender France Info, sie hätten etwas von der Rache Al Kaidas gerufen. Ein Taxifahrer, der am Rand der Menge auf spätere Kunden wartet, ist einfach nur traurig: "Ich lese nicht viel Zeitung, aber 'Le Canard Enchaine' und 'Charlie Hebdo' habe ich jede Woche gekauft. Was wohl jetzt aus ihnen wird?"
"Sie haben das Magazin enthauptet", sagt schon am Nachmittag ein Anwohner an der Polizeisperre, ein paar hundert Meter entfernt vom Tatort. Jerley Duval glaubt, es würde sehr schwierig "Charlie Hebdo" nach der Ermordung des Chefredakteurs und seiner berühmtesten, profiliertesten Zeichner wieder in Gang zu bringen.
Auch er spricht von Barbarei und unglaublicher Rohheit seitens der Attentäter, wie fast alle Pariser die man an diesem Tag anspricht. Und er wundert sich über das Maß an detaillierter Planung, dass die Tat kennzeichnete: "Sie sind genau während der Redaktionskonferenz gekommen, und wussten, dass dafür alle Verantwortlichen versammelt sind, auch die Zeichner, die sonst zu Hause arbeiten", sagt Jerley. Abgesehen von der Trauer über die Ermordeten aber meint er, dass ein solches Attentat das Letzte ist, was Frankreich derzeit brauchen kann. "Die Wirtschaft hat Probleme, das soziale Klima ist schlecht und die Moral ist am Boden. Und jetzt wird es viele geben, die noch Öl ins Feuer gießen", sagt er in Anspielung auf die französische Rechte.
#JeSuisCharlie - "Wir sind Charlie"
Eine Gruppe von Journalistik-Studenten hat sich mit ihrem Plakaten am Rand der Absperrungen versammelt. Mit dem Hashtag #JeSuisCharlie, "Wir sind Charlie", werben sie für die Bewegung in den Sozialen Medien, die unmittelbar nach dem Attentat entstand und wo Tausende ihre Solidarität und ihre Trauer bekundeten. Stundenlang harren die Studenten in der Nähe des Tatorts aus und geben der dort versammelten internationalen Presse ein Interview nach dem anderen. Sie haben dieses Prinzip ihres künftigen Berufes schon verstanden - man muss am Ort des Geschehens sein. "Journalisten müssen den Mut haben, unangenehme und schwierige Sachen zu sagen. Ich hoffe, dass ich später mal den Mut haben werde, das so zu tun, wie sie bei 'Charlie Hebdo' es immer gezeigt haben", sagt Thibaut Combe.
Mit dem Tod der Zeichner des Magazins sei eine Sicht der Welt und eine bestimmte Art sie darzustellen zerstört worden, so der junge Mann weiter. "Sie sind ein Symbol für die Pressefreiheit in Frankreich." Aber es werde wohl gefährlicher, sich so zu äußern, wie sie und er sieht auch die Gefahr, dass manche Kollegen in der Presse sich einschüchtern lassen.
Den ganzen Nachmittag und Abend über rasen Polizeiautos durch das Viertel, Feuerwehren, Krankenwagen und zivile Einsatzkräfte - alle mit Blaulicht. Aber es ist keine Unruhe unter den Umstehenden, eher eine gewisse Art von Resignation. "Wir haben befürchtet, dass irgendwann so etwas mal passiert", sagt einer aus einer Gruppe von Boulespielern, die sich auch vom Großaufgebot der Sicherheitskräfte nicht von ihrem Sandplatz abhalten lassen.
"Ich heiße Abdel und bin Muslim und Franzose", sagt ein junger Mann beim Vorbeigehen. Er hat eine rote Rose dabei, um sie an den Sperren abzulegen, "Das hat doch nichts mit Islam zu tun, nur weil sie 'Allahu Akbar' rufen und dann Leute ermorden", sagt er. "Wir sind so traurig, es ist so schade, was diese Gruppe von Wahnsinnigen da getan hat."
Viele Passanten geben ihre Kommentare. Dabei findet sich niemand, der der französischen Politik im Kampf gegen den IS im Irak und in Syrien oder dem Militäreinsatz in Mali die Schuld am Geschehen gibt. Dieses Attentat, so scheint es, beziehen die Franzosen auf sich. Sie fühlen sich selbst im Innersten angegriffen. Präsident François Hollande hat am Abend einen Nationalen Trauertag ausgerufen, aber dieser offiziellen Geste hätte es kaum bedurft. Die Trauer in Paris ist nach diesen Mordtaten bereits überall spürbar.