Sichere Spiele in Tokio? Nur wenn alle geimpft sind
16. April 2021Säbelfechter Max Hartung hatte Glück: Anfang April wurde er gegen das Coronavirus geimpft. Dabei kam ihm der Zufall zur Hilfe. Er hatte regelmäßigen Kontakt zu einer guten Freundin, die ein Kind erwartet. Schwangere dürfen zwei Personen aus ihrem Umfeld für eine Impfung benennen. So wie Hartung ergeht es aber längst nicht allen deutschen Olympia-Kandidatinnen und -Kandidaten, von denen bislang erst 13 Prozent geimpft sind. Der Großteil der Athletinnen und Athleten, die bei den Sommerspielen und den Paralympics im Sommer an den Start gehen wollen, müssen sich weiter gedulden. Denn nach der in Deutschland gültigen Reihenfolge werden zuerst Ältere, chronisch Kranke und relevante Berufsgruppen geimpft.
Ein Dilemma für Athleten: Einerseits wollen viele Sportler sich nicht vordrängeln - darunter Speerwurf-Olympiasieger Thomas Röhler, der gegenüber der DW sagt: "Als Sportler extrem laut zu schreien 'Ich bin der Erste, der geimpft werden möchte', ist das falsche Signal an die Gesellschaft." Andererseits wissen die Sportler, wie wichtig eine rechtzeitige Immunisierung gegen das Corona-Virus ist, um an den Olympischen Spielen - sollten sie wie geplant stattfinden - teilnehmen zu können.
Denn die Vergangenheit zeigt: Immer wieder kommt es bei sportlichen Events zu Infektionen. Bei der Hallen-Leichtathletik-EM in Torun (Polen) steckten sich im März 51 Sportlerinnen und Sportler an, darunter sieben deutsche. Ihr Interesse an einer Impfung hatten viele potentielle Tokio-Fahrer schon im Februar bei einer Umfrage zum Ausdruck gebracht: 56 Prozent ("ganz sicher") und 23 Prozent ("ziemlich wahrscheinlich") bekundeten damals, sich gegen das Coronavirus impfen lassen zu wollen, sollte dies die Voraussetzung für einen Olympiastart sein.
Wachsende Zustimmung der Bevölkerung
Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) verfolgte in Sachen Impfungen lange Zeit eine defensive Strategie, weil zu Jahresbeginn in Deutschland noch nicht genügend Impfstoff zur Verfügung gestanden hatte. Doch nun fordert DOSB-Präsident Alfons Hörmann ein Umdenken: "Mit Beginn des zweiten Jahresquartals ist nun der Zeitpunkt gekommen, wo wir erwarten, sofern die versprochenen Impfdosen zur Verfügung stehen, dass die bereits für Tokio qualifizierten Athleten geimpft werden." Unabhängige Gremien wie der deutsche Ethikrat allerdings sehen eine Bevorzugung der Olympioniken eher kritisch.
Der Medizin-Ethiker Professor Georg Marckmann von der Ludwig-Maximillians-Universität München hält es für "ethisch nicht nachvollziehbar, wenn man aufgrund einer Sportveranstaltung bestimmte Personengruppen bevorzugt." In der deutschen Öffentlichkeit hat sich die Stimmung aber offenbar verändert. Anfang März hatten sich in einer vom WDR in Auftrag gegebenen Umfrage noch 73 Prozent der Befragten gegen eine Bevorzugung von Sportlern ausgesprochen bei nur 24 Prozent Zustimmung. Das Institut YouGov ermittelte jetzt aber eine 46-prozentige Zustimmung für die Priorisierung von Olympia-Startern.
Viele Länder haben Sportlern Impfungen zugesagt
Die Zeit wird indes langsam knapp, denn zwei Impfungen mit einigen Wochen Abstand, wie bei den meistern Impfstoffen erforderlich, müssen auch in die Trainingspläne passen. "Man muss auch bei Sportlern mit einigen Tagen Nebenwirkungen rechnen", sagt Professorin Barbara Gärtner, Mikrobiologin an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken. "Sportler mit ihren austrainierten Körpern reagieren oft sensibler auf Impfungen als Normalbürger."
Im internationalen Vergleich ist Deutschland längst ins Hintertreffen geraten. Nicht nur führende Sportnationen wie China oder Russland haben ihren potentiellen Olympiastarterinnen und -startern bereits eine rechtzeitige Impfung zugesagt. Darüber hinaus sind Mexiko, Indien, Ungarn, Dänemark, Israel, die Philippinen und andere Staaten mit den jeweils zuständigen Behörden in Verhandlungen, um Impfungen für die Sportler möglich zu machen. Auch Thomas Weikert, Präsident des Welt-Tischtennis-Verbandes, bestätigt eine ähnliche Tendenz im mit 224 Ländern mitgliederstärksten Sportverband der Welt.
Innenministerium stellt rechtzeitige Impfung in Aussicht
In Deutschland ist aus der Sicht vieler Vertreter des Sports jetzt die Politik gefordert. Dagmar Freitag (SPD), Vorsitzende des Sportausschusses des Deutschen Bundestages, möchte nicht die Impfpriorisierung zugunsten von Olympioniken aufheben, sondern eine Lösung finden, die "ich auch gegenüber der Supermarkt-Kassiererin vertreten kann".
Ihr Kollege Frank Steffel (CDU) erwartet dagegen, dass das für den Sport zuständige Innenministerium initiativ wird. "Für die Olympiateilnehmer sind Olympische Spiele alle vier Jahre das Kernthema ihres Berufes. Davon leben sie, da werden die Prämien festgemacht, die Werbeverträge. Ich finde, das sollten wir unseren Sportlerinnen und Sportlern auch gönnen."
Immerhin stellte das Bundesinnenministerium inzwischen in Aussicht, dass die Athletinnen und Athleten "rechtzeitig vor den Olympischen Spielen" geimpft würden. "Im Moment gehen wir davon aus, dass wir das im Rahmen des Impf-Fortschritts gewährleisten können", ließ das Ministerium wissen.