Shootingstar Kemi Badenoch übernimmt Tory-Vorsitz
Veröffentlicht 17. Oktober 2024Zuletzt aktualisiert 2. November 2024Allein und mit nur 100 Pfund in der Tasche kam Kemi Badenoch als 16-Jährige nach London. Nun wurde sie im Alter von 44 Jahren an die Parteispitze der britischen Konservativen gewählt - nach Nachfolgerin von Ex-Premier Rishi Sunak.
Ihre Eltern hatten sie damals geschickt, um ihr in Großbritannien ein besseres Leben zu ermöglichen, weit weg von der Militärherrschaft in Nigeria. Neben der Schule arbeitete Kemi bei McDonald´s.
Linke Politik habe damals in Nigeria die Wirtschaft zerstört, urteilt Badenoch heute. Ihre Reaktion darauf: Sie wurde Anhängerin Margaret Thatchers. Eigenverantwortlichkeit, sich nicht auf den Staat verlassen, freie Marktwirtschaft - das seien Werte, die sie mit der berühmten "eisernen Lady" teile, sagt Badenoch.
Unerschrocken und kämpferisch
Wie Thatcher gibt sie sich unerschrocken und kämpferisch. Die konservative Partei stecke in einer tiefen Krise und müsse herausarbeiten, wofür sie stehe - das sei die einzig richtige Antwort auf den historischen Absturz bei den letzten Unterhaus-Wahlen.
Von 365 Sitzen im Parlament und einer absoluten Mehrheit schrumpften die Tories auf nur 121 Mandate. Jetzt will sich die Partei neu ausrichten.
Badenoch war zuletzt deutlich stärker als ihr Gegenkandidat Robert Jenrick in den Schlagzeilen vertreten, denn sie scheut vor Kontroversen nicht zurück. Das Mutterschaftsgeld sei "übertrieben", sagte die dreifache Mutter in einem Interview - und brachte damit viele Frauen gegen sich auf.
Denn britische Mütter beziehen eher magere Leistungen und nach Angaben von UNICEF gehört das Vereinigte Königreich im Bereich Familienpolitik zu den Schlusslichtern in Europa. Später sah sich Badenoch, die seit zwölf Jahren mit einem britischen Banker verheiratet ist, gezwungen, die Bemerkung zu relativieren.
Hart gegen Einwanderung
Auch beim Thema Einwanderung nimmt ehemalige Ministerin kein Blatt vor den Mund: Diese müsse dringend reduziert werden, so erwarteten es die Wähler.
"Wenn ich gewählt werde, werde ich den umfassendsten und detailliertesten Plan zur Kontrolle der Einwanderung entwickeln, den eine politische Partei jemals vorgeschlagen hat", versprach sie.
Wer das Glück habe, nach Großbritannien einwandern zu dürfen, müsse sich integrieren und britische Werte teilen: "Wir dürfen niemals zulassen, dass unsere Toleranz ausgenutzt wird, dass die Werte, die uns zum Erfolg verholfen haben, untergraben werden."
Wer sie kritisiert, muss sich warm anziehen: "If you swing at me, I swing back" - wer sich mit mir anlegt, der muss sich in acht nehmen, lautet ihre Devise. "Egal, was die Leute sagen, man darf sich nicht beirren lassen", das habe sie von ihrem Vater, einem Allgemeinmediziner, gelernt.
"Das gewisse Etwas"
Badenochs Partei-Karriere verlief steil. Über das Londoner Regionalparlament kam sie 2017 ins Unterhaus. Boris Johnson ernannte die studierte Informatikerin nur zwei Jahre später zur Staatssekretärin im Bildungsministerium, später stieg sie zur Staatsministerin für Gleichberechtigung und schließlich zur Handelsministerin auf.
Der ehemalige konservative Abgeordnete Charles Walker vertrat lange einen benachbarten Wahlkreis und hat ihren politischen Aufstieg genau beobachtet: Sie habe das gewisse Etwas, das sei von Anfang an klar gewesen.
Sie sei "authentisch", kein phrasendreschender "politischer Roboter", das mache sie bei der Basis beliebt. Ihr westafrikanischer Hintergrund mache sie dabei besonders interessant, meint Walker.
Ihre bekundete Nähe zu Thatcher allerdings beeindruckt ihn nicht: "Viele unserer Kandidaten, männlich wie weiblich, eifern Thatcher nach. Starke Meinungen und scharfe Ellbogen allein aber machen noch niemanden zu einer neuen Thatcher."
Sie mische sich mehr als andere Kandidaten in die sogenannten Kulturkriege ein, urteilt Jill Rutter vom Thinktank "UK in a Changing Europe". Beim Klimaschutz beispielsweise präsentiert sie sich als Skeptikerin.
So kritisiert sie das Ziel der Klimaneutralität bis zum Jahr 2050 als "willkürlich", und die Entscheidung der neuen Labour-Regierung, keine neuen Öl- und Gasvorkommen in der Nordsee mehr zu unterstützen, als "fanatisch".
Als Ministerin für Gleichberechtigung verteidigte sie einen umstrittenen Bericht einer Regierungskommission, die zu dem Schluss kam, es gebe keinen institutionellen Rassismus im Land; dafür erntete sie Kritik von Menschenrechtlern. Eine Einladung von prominenten Schwulen- und Lesbengruppen zu einem Informationsaustausch lehnte sie ab, da sie sich und ihre Regierung zu Unrecht von ihnen kritisiert fühlte.
In ihrer Zeit als Handelsministerin zeigte sich Badenoch allerdings auch pragmatisch: Obwohl sie für den Brexit war, schaffte sie kein EU-Gesetz "um seiner selbst willen" ab, zum Ärger vieler Brexit-Befürworter.
Es gab nicht den versprochenen "Scheiterhaufen" der Brüsseler Gesetze - sie sei eine Konservative, und keine Brandstifterin, begründete Badenoch damals ihre Entscheidung.
Für den linksgerichteten Premierminister Keir Starmer könnte Kemi Badenoch als neue Oppositionsführerin ein unangenehmes Gegenüber sein. Jill Rutter vermutet, sie werde ihn offensiv angehen.
Noch habe Badenoch allerdings kein ausgefeiltes Programm: Wie genau will sie den Staat verkleinern, wie genau sieht ihr Programm zur Gesundheitsreform, zu Steuern aus - all das sei noch nicht bekannt. Nun wird sie inhaltlich noch mehr Flagge zeigen müssen. Sich mit Thatcher zu vergleichen, wird auf Dauer nicht reichen.
Dieser Artikel wurde erstmals am 17. Oktober 2024 veröffentlicht und am 2. November 2024 aktualisiert.