Urteil: Nigerianer verlieren gegen Shell
31. Januar 2013Eric Dooh aus der Gemeinde Goi im Niger-Delta kann seine Enttäuschung nicht verbergen: "Ich bin nicht froh, denn dass Gericht hat nicht berücksichtigt, dass das Geschäft meines Vaters pleite gegangen ist. Wie verseucht diese Gegend ist, ist bekannt - und ein großes Problem für uns. Wie lange sollen wir denn noch in dieser Gegend leben? Wann wird Shell das endlich lösen?" Um den Nigerianer flattert der Wind, er steht vor dem Gerichtssaal in Den Haag und ist fassungslos.
Dooh ist einer von fünf nigerianischen Bauern, die gemeinsam mit der Nichtregierungsorganisation "Milieudefensie" Klage gegen den britisch-niederländischen Konzern Royal Dutch Shell eingereicht hatten. Ein Bezirksgericht in Den Haag hat diese am Mittwoch (30.01.2013) in vier Fällen abgewiesen. Die geforderte Wiedergutmachung vom Mutterkonzern Shell wird es also nicht geben. "Gemäß nigerianischem Recht ist eine Mutterfirma nicht dazu verpflichtet, ihre Tochterfirmen im Ausland davon abzuhalten, Dritten zu schaden", so Richter Henk Wien in seiner Begründung.
Die Tochter-Firma Shell Nigeria verurteilte er allerdings zu Schadenersatz für einen der fünf Kläger, der aus der Gemeinde Ikot Ada Udo im betroffenen Niger-Delta stammt. Diese Entscheidung wurde von Umweltorganisationen, die den Fall gespannt verfolgten, positiv bewertet. Es war das erste Mal, dass ein niederländisches Gericht eine Klage gegen ein niederländisches Unternehmen verhandelt hat, bei der es um Schäden ging, die es im Ausland angerichtet hat.
"Europäische Unternehmen müssen endlich für ihre Auslandsfirmen haften"
Die Beteiligten hatten allerdings auf einen Präzedenzfall gehofft, dass europäische Konzerne künftig für die Schäden ihrer Tochterfirmen im Ausland haften müssen. Aufgeben wollen sie trotzdem nicht. "Wir gehen in Berufung", sagt Evert Hassing von "Milieudefensie". Gemeinsam wollen sie nun gerichtlich Zugang zu den internen Dokumenten von Shell einfordern. "Denn da stehen die Beweise für Shells Mitverantwortung. Aber wenn Shell seine Geheimnisse für sich behalten darf, wird es schwierig", so Hassing. Trotzdem würde seine Organisation alles dafür tun, dass multinationale Firmen "die Verantwortung dafür übernehmen, was im Namen ihrer Firma im Ausland geschieht." Der Berufungsprozess, der sich rund anderthalb Jahre hinziehen könne, sei die letzte Möglichkeit der Kläger zu ihrem Recht zu kommen.
Zuhause in Nigeria in seiner Gemeinde Goi erwartet Kläger Eric Dooh Trostlosigkeit: Die gesamte Existenz seiner Familie wurde vor fünf Jahren zerstört, als aus undichten Ölpipelines der Firma Shell Nigeria Tausende und Abertausende Liter Öl in die Natur geflossen waren.
Regenbogenfarben schillert das Wasser. Ölschlieren überziehen Flüsse und Seen, schwarzes Rohöl verpestet Mangrovenwälder und verseucht wertvolles Trinkwasser. Einst waren Fischerei und Landwirtschaft hier die Lebensgrundlagen von Familien wie der von Eric Dooh. Heute ist das Land verdreckt und starrt vor klebrigem Öl. "Es sieht aus wie in einem Film aus dem Zweiten Weltkrieg", sagt Martyn Day, einer der britischen Anwälte der Kläger im Gespräch mit der DW. "Es ist einfach furchtbar, es gibt kaum mehr Vegetation, alles ist abgestorben."
Welche massiven Schäden 50 Jahre Ölförderung verursacht haben, hat eine Studie der Vereinten Nationen im Jahr 2011 nachgewiesen. Proben aus dem gesamten nigerianischen Ogoniland wurden gesammelt und ausgewertet. Die Ergebnisse sind verheerend: Eine Sanierung der Region würde fast 30 Jahre dauern und bis zu eine Milliarde US-Dollar kosten, heißt es darin. Royal Dutch Shell muss sich, wenn das Gerichtsurteil Bestand hat, daran nicht beteiligen.
Doppelmoral multinationaler Firmen?
Geert Ritsema von "Milieudefensie" dagegen sieht Shell ganz klar in der Verantwortung. Deshalb hatte er gemeinsam mit fünf nigerianischen Bauern gegen Shell geklagt. "In Europa wäre es undenkbar, dass ein Konzern die Anbauflächen von Bauern mit Öl verschmutzt und dann jahrelang einfach die Hände in den Schoß legt." Weit weg vom Mutterkonzern in den Niederlanden könnten in Nigeria jedoch Umweltstandards einfach missachtet werden.
Wenn die Kläger in Berufung gehen, wird es wieder um diese Forderungen gehen: neue Pipelines, damit kein weiteres Öl ausläuft sowie eine aufwändige Säuberung der Böden und des Grundwassers. Und Schadensersatz für die Bauern und Fischer, die ihre Existenzgrundlage verloren haben. Es war der erste Fall dieser Art in den Niederlanden - und trotzdem ein Teilerfolg für die Umweltschützer. "Was uns dieser Prozess gezeigt hat, ist, dass Menschen überall auf der Welt vor einem europäischen Gericht am Sitz des Mutterkonzerns klagen können, wenn es ein Problem mit der Tochterfirma im Heimatland der Kläger gibt."
Hürden bei der Anklage
Denn einen Konzern wegen seiner Taten im Ausland vor Gericht zu bringen - das ist in Europa noch längst nicht Usus. Oft ist undurchsichtig, ob ein europäisches Gericht überhaupt zuständig für Klagen ist, die sich nicht auf einen Fall in Europa beziehen. Es gibt viele Hürden, sagt Liesbeth Enneking, Rechtsexpertin an der Universität Utrecht. Nicht nur die hohen Prozesskosten. Auch an Beweismaterial zu kommen sei schwierig.
"Wie kamen die Lecks in den Rohren zustande? War es Sabotage oder fehlende Instandhaltung? Wie oft wurden die Pipelines gewartet? Was hat Shell unternommen, nachdem das Öl auslief? Und wie viel Einfluss hat Shell überhaupt darauf, wie nigerianische Pipelines bedient werden?“ Entscheidende Beweise fehlten den Klägern, so Liesbeth Enneking. So sah es nun auch das Gericht in Den Haag.
"Tochtergesellschaft auch verantwortlich"
Der Shell-Konzern hatte zunächst versucht, einem Prozess in den Niederlanden zu entgehen und den Fall vor einem nigerianischen Gericht verhandeln zu lassen. Das Argument, jegliche Verantwortung läge bei der nigerianischen Tochtergesellschaft, akzeptierten die Richter in Den Haag jedoch nicht. Ein ähnlicher Fall liegt in Europa bislang nur einem Londoner Gericht vor. Häufiger sind Klagen gegen Straftaten multinationaler Unternehmen in den USA. Dort seien die Gesetze oft auf der Seite der Kläger, so Liesbeth Enneking. Zu einem rechtskräftigen Urteil komme es jedoch auch in den USA selten.
Weil sie eine Klagewelle fürchteten, zahlten die beschuldigten Konzerne oft direkt Geld an die Geschädigten. "Multinationale Firmen neigen zu außergerichtlichen Vereinbarungen, wenn sie Angst haben, einen Fall zu verlieren", sagt Liesbeth Enneking. Ein möglicher Präzedenzfall, der weitere Klagen nach sich zieht, wird so umgangen. In einer Pressemitteilung ließ der Shell Konzern wissen: "Ölverschmutzung ist ein Problem in Nigeria, das das tägliche Leben der Menschen im Niger Delta belastet. (…) Wir sind an vorderster Front, um hier Lösungen zu finden." Doch der Nigerianer Eric Dooh hat nach dem Urteil noch mehr Mühe, Shell in dieser Frage zu vertrauen.