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Politik

"Hört auf, Nacktfotos im Netz zu teilen"

Priyanka Shankar Brüssel
23. Januar 2022

Erst Opfer, jetzt Aufklärerin: Eine junge Portugiesin wehrt sich gegen sexuelle Erpressung im Internet. Nach zahlreichen nationalen Initiativen will nun auch die EU gegen das Massenphänomen vorgehen.

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Portugal | Inês Marinho
Auf einer Konferenz in Lissabon erklärt Ines B. Marinho, wie man sich vor sexuellem Missbrauch durch Bilder schütztBild: Mariana Branco

Inês B. Marinho beendete gerade ihren Dienst in einem Café in Lissabon in Portugal, als ihr Mobiltelefon summte und eine Nachricht aufleuchtete. Darin wurde sie auf ein Video aufmerksam gemacht, das intime Aufnahmen von ihr enthielt und im Internet kursierte.

"Ich fühlte mich wie betäubt und war sehr nervös", erinnert sich Marinho. "Ich bin sofort nach Hause gefahren, um bei meiner Familie zu sein". Der Vorfall ereignete sich vor drei Jahren. Damals war die Portugiesin 21 Jahre alt.

Ungewollt auf einer Pornoplattform

"Jemand, dem ich vertraute, hatte ein intimes Video von mir mit meinem Namen geteilt. Es war auf verschiedenen Pornoplattformen zu sehen und ging auch auf Twitter und bei Telegram viral. Der Vorfall hat mich erschüttert", sagt sie im DW-Gespräch.

Der Begriff "Sextortion" setzt sich zusammen aus den Worten Sex und "extortion", englisch für Erpressung. Bei dieser Form der Erpressung drohen Kriminelle damit, Videos oder Fotos ihrer Opfer zu verbreiten, die sie in kompromittierenden Situationen zeigen.

Dazu können laut Polizei heimliche Video-Aufnahmen in der Umkleide gehören oder die Erpressung mithilfe von gewagten Selfies, die für einen Flirt bestimmt waren: Der Begriff umfasst auch Fälle von "Upskirting", also Bildern oder Videos, die erstellt werden, indem eine Kamera unter einen Rock gehalten wird, und die ohne Zustimmung online hochgeladen und geteilt werden. Marinho ist eines von vielen Opfern der "Sextortion". 

"Direkt nachdem ich mein Video online sah, bin ich zur Polizei gegangen, um Anzeige zu erstatten. Sie wollten zwar helfen, sind mit der Aufklärung aber überfordert. Heute, drei Jahre später, ist der Fall noch immer offen", sagt Inês Marinho. 

Wie häufig ist sexueller Missbrauch durch Bilder?

Mehr als eine halbe Million Fälle von digitaler sexueller Erpressung verzeichnete Avast, ein weltweit führender Anbieter von Lösungen für digitale Sicherheit und Privatsphäre, allein im Januar 2021.

Die meisten dieser Angriffe zielten auf englischsprachige Nutzer in Großbritannien und den Vereinigten Staaten ab. Aber auch in Deutschland wurden 12.400 Angriffe blockiert, 8700 in der Schweiz und 2100 in Österreich.

Symbolbild Upskirting
Upskirting: In Deutschland sind Spannerfotos unter dem Rock seit Juli 2020 verboten und gelten als SexualdeliktBild: picture-alliance/Captital Pictures/R. Gold

Laut einer Studie von HateAid, Deutschlands erster Beratungsstelle gegen Hass im Netz, haben Frauen in der EU besonders große Angst davor, online angegriffen zu werden. 30 Prozent von ihnen befürchten, dass gestohlene oder gefälschte Nackt- oder Intimbilder ohne ihre Zustimmung veröffentlicht werden könnten.

"Viele Frauen wissen einfach nicht, dass sie Opfer von bildbasiertem sexuellem Missbrauch sind", sagt Clare McGlynn, Rechtsprofessorin an der Durham University in Großbritannien, der DW. "In einigen Ländern wie Südkorea werden Bilder von Frauen in Toiletten oder Umkleideräumen aufgenommen und ohne ihr Wissen auf Pornoplattformen hochgeladen. Es gibt also auch eine versteckte Ebene des Missbrauchs, die zu einem ernsten Problem geworden ist."

Immer wieder geteilt

Marinho erklärt, dass auch ihre Videos auf Social-Media-Plattformen weiterverbreitet wurden. "Ich habe mich an Twitter gewandt, sie haben mein Video gelöscht. Aber bei Telegram erklärten sie, dass sie nicht dafür verantwortlich seien, wie Gruppen Inhalte teilten. Meine Inhalte werden auf dieser Plattform von vielen Gruppen weiterverbreitet, darunter auch von einer Gruppe, die sich 'Racheporno' nennt", erläutert sie.

Laut Josphine Ballon, Leiterin der Rechtsabteilung von HateAid, ist es wichtig, das Problem des Wiederauftauchens von Bildern auf Online-Plattformen anzugehen, um wirksam gegen sexuellen Missbrauch durch Bilder vorzugehen.

Hacking-Angriffe auf Prominenten-Accounts

"Das Problem ist, dass die Bilder von vielen Algorithmen aufgegriffen, heruntergeladen und dann immer wieder geteilt werden, manchmal sogar jahrelang", sagte sie der DW. "Ich kenne Opfer, die sich oft selbst googeln, um zu sehen, ob die Bilder wieder auftauchen."

Einige von ihnen bekämen E-Mails und Nachrichten von Leuten, die ihre Bilder gesehen haben und ihnen Komplimente machen wollten. Die Folge: "Die Opfer können diesen Missbrauch nie vergessen und bleiben weiterhin traumatisiert", sagte sie.

"Ich möchte einfach ein normales Leben führen"

Inês B. Marinho hat ihre digitale Präsenz trotz negativer Erfahrungen nicht eingeschränkt. "Ich habe meine Social-Media-Profile immer beibehalten und bin nie offline gegangen, weil ich das Gefühl hatte, dass ich stark genug bin, um mit diesem Verbrechen umzugehen", erklärt sie. "Ich ziehe mich weiterhin an, wie ich will, und poste Bilder von mir, auf denen ich Röcke und Kleider trage, die mir gefallen. Ich möchte einfach ein normales Leben führen."

Mittlerweile ist Inês B. Marinho 24 Jahre alt und Vorsitzende des im Mai 2021 gegründeten Vereins "Não Partilhes" (Nicht weiterleiten). Die Organisation unterstützt Opfer von bildbasiertem Missbrauch in Portugal. Auf dem Instagram Account gibt sie unter anderem Tipps, wie man "vermeiden kann, einer anderen Person die Macht über dein Bild zu geben". 

"Durch meine Organisation besuche ich Schulen in Portugal und spreche mit Kindern über meine Erfahrungen und darüber, wie jeder Einzelne eine Rolle bei der Bekämpfung dieses Missbrauchs spielen kann. Es ist wichtig, daran zu denken, dass jeder Opfer eines solchen Verbrechens werden kann. Aber wir sind nicht allein in unserem Kampf für Gerechtigkeit und Sicherheit", sagte sie.

In Deutschland unterstützt die Organisation Juuuport Opfer von Cybermobbing, Sextortion und Hass im Netz. Ihre Experten sagen: "Wir brauchen mehr Sicherheit im Netz. Betreiber der Online-Angebote müssen dafür sorgen, dass Kinder und Jugendliche besser geschützt sind."

Brüssel will digitale Konzerne kontrollieren

Genau das will nun die EU erreichen. Sie will Plattformen stärker in die Pflicht nehmen und Hass und Hetze im Netz besser bekämpfen. Am 20. Januar einigte sich das Europaparlament auf eine gemeinsame Position für die anstehenden Verhandlungen über den sogenannten Digital Services Act (DSA) mit den EU-Staaten.

Alexandra Geese, Mitglied des EU-Parlaments und eine der federführenden Verhandlungsführerinnen des DSA, sagte der DW: "Mit dem DSA wird es für die Opfer viel einfacher sein, diese Bilder auf Online-Plattformen loszuwerden, da es ein anonymes Identifizierungsverfahren gibt. Ein Opfer kann also einfach online gehen, sein Gesicht zeigen und die Plattform auffordern, die Bilder zu löschen."

Der Betroffenenorganisation HateAid hingegen geht die Initiative nicht weit genug: Zwar biete der Gesetzentwurf "die historische Chance", effektiver gegen Beleidigungen und Hassrede und andere Formen digitaler Gewalt vorzugehen. Es fehle allerdings der einfache Zugang zu Justiz oder eine leichter zugängliche Kommunikation mit den Plattformen.

Dieser Artikel wurde von Astrid Prange aus dem Englischen adaptiert.