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PolitikSerbien

Serbien: Kritiker mit Spionagesoftware überwacht

20. Dezember 2024

Der serbische Geheimdienst hat Spionagesoftware auf den Telefonen von Journalisten und Aktivisten installiert. Die Nachricht kommt inmitten eines Aufstands gegen die autokratische Herrschaft von Präsident Vucic.

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Menschen stehen hinter einem langen schwarzen Tuch, das sie in der Hand halten
Protest gegen die Staatsführung in der serbischen Hauptstadt Belgrad (Anfang Dezember)Bild: Nemanja Rujević/DW

Nikola Ristic ist oft auf der Straße. Der junge Aktivist führte Anfang November Proteste in Belgrad an, bei denen der Rücktritt von Politikern gefordert wurde, nachdem in Novi Sad, der zweitgrößten Stadt Serbiens, ein Bahnhofsvordach eingestürzt war. 15 Menschen waren dabei ums Leben gekommen.

Ristic wurde von der Polizei abgeführt und in den Räumlichkeiten des serbischen Geheimdienstes BIA verhört. "Das, worüber wir gesprochen haben, wirkte eher wie ein Versuch, mich davon zu überzeugen, mit dem Aktivismus aufzuhören", erzählte er nun dem Recherchekollektiv BIRN.

Während des Verhörs befand sich Ristics Telefon in einem anderen Raum. Wie BIRN und Amnesty International diese Woche enthüllten, wurde zu diesem Zeitpunkt die serbische Spionagesoftware NoviSpy auf dem Telefon des Aktivisten installiert.

Eine explosive Nachricht

Die serbischen Behörden nutzen seit Langem einheimische und israelische Spionagesoftware, um die Telefone von Aktivisten und Journalisten abzuhören. In Serbien ist das längst ein "offenes Geheimnis". Doch jetzt liefert die forensische Untersuchung von Dutzenden Telefonen von Aktivisten und Journalisten stichhaltige Beweise.

Ein Smartphone in der Hand einer Person, ein Zeigefinger zeigt auf einen kleinen Monitor
Ein IT-Ingenieur zeigt die Funktionsweise der Cellebrite-SoftwareBild: Jack Guez/AFP/Getty Images

Die Polizei und BIA knackten den Schutz der Telefone mit israelischer Software der Firma Cellebrite, um anschließend Spyware wie NoviSpy zu installieren. Diese liefert der BIA alle Kontakte sowie unzählige Screenshots, die alles enthüllen, was eine Person auf ihrem Telefon tut oder schreibt. Angeblich können sogar Mikrofon und Kamera aus der Ferne eingeschaltet werden.

Die Nachricht ist umso explosiver, als das Land seit Wochen in einem politischen Chaos steckt. Proteste gegen die politische Führung sind an der Tagesordnung, Studenten blockieren Universitäten. Sie beschuldigen die Regierung, dass Korruption und Inkompetenz zum Einsturz des Vordaches am Bahnhof in Novi Sad am 1. November führten. Das Bahnhofsgebäude war erst im Juli 2024 nach mehrjähriger Renovierung wieder neu eröffnet worden.

Präsident kontrolliert umfassend

Serbien wird seit zwölf Jahren von Präsident Aleksandar Vucic mit eiserner Hand regiert. Obwohl Vucic als Präsident nur beschränkte Vollmachten hat, kontrolliert er die Regierung und - über seine Serbische Fortschrittspartei (SNS) - Wahlen, die größten Medien und die Vergabe lukrativer Staatsaufträge.

Präsident Aleksandar Vucic mit erhobenem Zeigefinger und weit geöffnetem Mund
Der serbische Staatspräsident Aleksandar Vucic (Archiv)Bild: Darko Vojinovic/AP/picture alliance

Vucic balanciert zwischen dem Westen und Russland, während er seinem Volk stetig wirtschaftliche Verbesserungen verspricht. Dabei behält er die Kontrolle über Institutionen wie die BIA und die Justiz und beschimpft in täglichen Fernsehreden Demonstranten und die Opposition als Feinde Serbiens.

"Abschaffung des kritischen Denkens"

Gewöhnt an dieses Bild, zeigt sich der bekannte Journalist Nedim Sejdinovic wenig überrascht über die Enthüllung der Spionagesoftware. "Der Staat hat im Laufe der Jahre kein Geld gescheut, um ein Ziel zu erreichen - kritisches Denken vollständig abzuschaffen", sagt Sejdinovic der DW. Nun seien sowohl Journalisten zusätzlich gefährdet, aber auch Insider aus Institutionen, die ihnen Informationen zuspielten.

Offiziell dementiert Belgrad alle Vorwürfe von Amnesty International. Die BIA erklärte, sie arbeite ausschließlich im Einklang mit dem Gesetz, während Amnesty einen "trivialen und sensationsgierigen Bericht" veröffentlicht habe, der keinen Kommentar verdiene.

Serbien: Landesweite Proteste der Studierenden

Vizepremier Aleksandar Vulin, ein russlandfreundlicher Hardliner, bezeichnete den Bericht von Amnesty als "Fortsetzung des hybriden Krieges" gegen Serbien. Vulins kleine Partei, ein Koalitionspartner der großen SNS, fordert die Einführung eines Gesetzes gegen "ausländische Agenten" nach russischem Vorbild.

Stellungnahme von Cellebrite

Die israelische Firma Cellebrite, deren mächtige Software-Schlüssel auch vom FBI genutzt werden, hat tatsächlich mit den serbischen Behörden zusammengearbeitet. Allerdings betont das Unternehmen, dass seine Software nicht für eine Nutzung vorgesehen sei, wie sie jetzt aufgedeckt wurde.

"Sollten diese Anschuldigungen zutreffen, könnte das möglicherweise gegen unsere Endbenutzer-Lizenzvereinbarung verstoßen", sagte der Marketingchef David Gee gegenüber Reuters. In diesem Fall, so Gee, könnte man die Nutzung der Technologie durch serbische Behörden aussetzen.

Ein Gebäude hinter Palmen mit der Aufschrift "intel CYBERARK cellebrite"
Hauptquartier des israelischen Unternehmens Cellebrite in der Stadt Petah Tikva Bild: Jack Guez/AFP/Getty Images

Besonders pikant ist, dass Serbien die Software auf Kosten Norwegens und durch das Büro für Projektdienste der Vereinten Nationen erhalten hat. Ziel war es, die Standards der EU bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität zu erreichen.

Einschüchterung von Kritikern

Die serbische Zivilgesellschaft zeigt sich alarmiert. Das Balkanland verhandelt seit einem Jahrzehnt über den Beitritt zur EU, doch dieser ist in weiter Ferne. Nicht nur wegen der engen Verbindungen mit Moskau, sondern auch wegen des Abbaus der Demokratie unter Vucic.

"Wir erleben derzeit, dass der Staat einer einzigen politischen Partei untergeordnet ist und dass der Personenkult von Vucic gepflegt wird", sagt Zoran Gavrilovic vom Büro für Sozialforschung, das die Medienlandschaft analysiert. "Ziel der Spionage ist es, Journalisten und die Zivilgesellschaft davon abzubringen, ihre Arbeit zu machen", warnt Gavrilovic im Gespräch mit der DW.

Ein Mann hält ein kleines Plakat mit dem Bild des serbischen Staatspräsidenten hoch, die Aufschrift lautet: "Korruption tötet! Ihre Hände sind blutig!"
Protest gegen den serbischen Staatspräsidenten Aleksandar Vucic: "Korruption tötet! Ihre Hände sind blutig!"Bild: Darko Vojinovic/AP/picture alliance

Kritiker sagen, dass Vucics Allmacht erstmals ernsthaft in Frage gestellt sei, da die Proteste vor allem von jungen Menschen getragen würden. Die Universität Belgrad mit hunderttausend Studierenden und Lehrenden hat den Betrieb eingestellt, ebenso zahlreiche andere Universitäten im Land. Auch viele Gymnasiasten protestieren.

Zunehmende Repression?

Vucic hat einige Zugeständnisse gemacht wie etwa den Rücktritt von zwei Ministern. Einige Beamte wurden im Rahmen der Ermittlungen festgenommen oder befinden sich noch in Haft.

Doch das hat die Protestierenden, die Vucic selbst als Hauptproblem ansehen, nicht zufriedengestellt. Mehrfach gingen Schlägertrupps, die der Serbischen Fortschrittspartei nahestehen, auf friedliche Demonstranten los, um Konflikte zu provozieren.

Deshalb befürchten Gavrilovic und andere Kritiker des serbischen Präsidenten eine Verstärkung der Repression sowie der Überwachung. "Proteste sind ein Fest der Demokratie, aber unsere Regierung beschreibt sie als Subversion, als eine importierte farbige Revolution wie auf dem Maidan. Eigentlich duldet Vucic nicht nur keine Demokratie, sondern keinen einzigen kritischen Ton in der Gesellschaft", so Gavrilovic.