Flüchtlinge in Serbien
17. Januar 2017Als der Bus kam, lag Abbas Khan ziemlich unbeeindruckt da, auf seiner grauen Decke im 'kleinen Peschawar'. So nennen er und seine Kompagnons den winzigen Raum auf der ersten Etage des alten Lagergebäudes hinter dem Belgrader Hauptbahnhof. Die abgenutzten Schuhe in einer Ecke, sonst überall schmutzige graue Decken, die wenigstens etwas Wärme bieten während sich die Temperatur in Belgrad um die Null bewegt. Alle jungen Männer in dem Raum kommen aus dem pakistanischem Peschawar und alle sind zu alt für diesen Bus. Das serbische Flüchtlingskommissariat will vorerst nur einige Minderjährige aussuchen und in offiziellen Camps unterbringen. "Vielleicht sind wir in ein paar Tage dran", hofft Abbas Khan, der Autohändler. In seiner Heimat sei er von Taliban erpresst und bedroht gewesen und deswegen hätte er flüchten müssen, sagt Khan.
Seit fünf Monaten ist er in Belgrad, und damit ein Veteran in der improvisierten Unterkunft. Das desolate Lagerhaus stinkt gewaltig nach Männerschweiß, nach Urin, nach erstickendem Rauch Dutzender kleiner Feuer, über denen die Gestrandeten ihre Hände wärmen oder magere Suppen kochen. Haufenweise Müll.
Über 1.000 ältere Männer und Jugendliche harren hier aus, die meisten aus Afghanistan und Pakistan. Einige sagen, dass sie keinen Platz in einem der regulären Asylzentren in Serbien bekommen haben. Andere wiederum wollen gar nicht dorthin – zu groß ist die Angst, dass man nach Preševo gebracht wird, in das gefürchtete Lager an der Grenze zu Mazedonien. Dann ist auch die Abschiebung nicht mehr weit, glauben viele. Manche warten schlicht auf Schlepper, die in Belgrad ihr Hauptquartier zu haben scheinen.
Dis Stadt ist dafür gut gelegen. Mit einem Auto würde man eine Stunde bis zur kroatischen und zwei Stunden bis zur ungarischen Grenze benötigen. Über beide Strecken hat Abbas Khan schon versucht weiter in die EU zu gelangen, aber vergeblich. "Einmal kamen wir nachts über die kroatische Grenze und marschierten etwa 18 Stunden zu Fuß. Als die Polizei uns aufgegriffen hat, nahmen sie uns Handys und Geld weg. Sie schlugen wie Boxer zu und als ich mit Händen meinen Kopf zu schützen versuchte, schlugen sie noch heftiger zu", erzählt Khan aufgeregt. Dann zieht er die Decke bis zum Hals hoch. Eigentlich ist der Pakistaner stark erkältet, der Arzt hat ihn Tabletten gegeben.
Eine neue Unterkunft
"Eine Vielzahl kommt zu uns mit Hautinfektionen oder Atemproblemen", sagt Nemanja Radovanović, der auch für das Interview seinen Mundschutz nicht abnimmt. Es würde auch keinen Sinn machen, denn die Türen des kleinen LKW von Ärzten ohne Grenzen, gegenüber vom Bahnhof, klappern pausenlos, immer neue Patienten kommen rein. Es seien meistens übliche Erkrankungen, es gebe aber auch schlimmeres: "Bisher hatten wir hier fünf Fälle der Erfrierungen, diese Menschen musste zum Chirurgen ins Klinikum gebracht werden. Andersrum gibt es auch Verbrennungen durch Lagerfeuer", berichtet der junge serbische Arzt.
Das Lagerhaus voller kranker Menschen mit Läusen ist in Serbien seit Monaten ein Thema. Aber erst in den letzten Tagen, als es in Belgrad reichlich zu schneien begann und die Temperatur bis minus 15 Grad sank, belagerten auch die ausländischen Journalisten den Ort, an dem man so 'tolle' Bilder aufnehmen könnte. In serbischen Medien wird gemunkelt, dieser Aufmerksamkeit der ausländischen Journalisten sei es hauptsächlich zu verdanken, dass jetzt Busse kommen, um wenigstens einen Teil der Flüchtlinge in bessere Unterkünfte zu transportieren. Der serbische Staat wolle auch gute Bilder für die Kameras liefern, so die Erklärung.
Nach Informationen der DW wurden zu Wochenbeginn insgesamt 48 Minderjährige zum Asylzentrum in den Belgrader Vorort Krnjača gebracht. Dort sind die Plätze ziemlich knapp und es gibt kaum Privatsphäre. Deshalb soll - 30 Kilometer von Belgrad entfernt - bald eine alte Kaserne in Obrenovac in Stand gesetzt werden. Inoffiziell heißt es, in Kürze könnte die Lagerhalle hinter Bahnhof geräumt sein. "Wir hoffen, dass die Migranten eher freiwillig mitkommen, wenn sie in der Nähe von Belgrad unterbracht werden", so ein Pressesprecher des Flüchtlingskommissariats. Der Staat könne für die prekäre Lage rund um den Hauptbahnhof nicht verantwortlich gemacht werden. Die Plätze seien landesweit vorhanden, man müsse nur hingehen wollen. An der Misere sollen vor allem die freiwilligen Helfer verantwortlich sein, die die Flüchtlinge ermuntern, auf der Straße zu bleiben, so der offizielle Tenor.
Illegale Abschiebungen?
Es sind nur noch eine Handvoll Helfer geblieben, seitdem die Regierung den NGOs "empfiehlt", von der Essens- und Kleidungsverteilung abzusehen. Die meisten haben es auch so gemacht, da sie keinen Ärger mit den Behörden wollten. Geblieben ist noch eine internationale Gruppe, die sich 'Hot Food Idomeni' nennt, nach jenem kleinen Ort an der griechisch-mazedonischen Grenze, der lange Zeit als Synonym für die Flüchtlingskrise herhalten musste. Gegen Mittag wird warmes Essen verteilt. Hunderte von Menschen warten geduldig auf ihre Portion Eintopf mit Bohnen und Linsen und ein kleines Stück Brot.
Geblieben ist Radoš Đurović, der eine NGO namens 'Hilfszentrum für Asylsuchende' aus Belgrad leitet. Er hilft vor allem mit der Rechtsberatung. "Die Offiziellen erzählen der Öffentlichkeit, dass diese Menschen lieber frieren, statt in die Flüchtlingscamps zu gehen." Das stimme aber nicht, so Đurović. "Das Camp in Belgrad ist überfüllt, die Flüchtlinge werden teilweise in Unterkünfte verwiesen, die hunderte Kilometer entfernt liegen, ohne dass es organisierte Transporte gibt. Außerdem haben sie von ihren Landsleuten über illegale Abschiebungen gehört und haben Angst."
Es sind mehr als nur Gerüchte. Es gibt bestätigte Medienberichte darüber, dass Mitte Dezember Polizisten eine siebenköpfige irakische Familie aus einem Linienbus heraus holten, um sie dann über die grüne Grenze in den bulgarischen Wald zu schicken. Dies soll geschehen sein, obwohl die Iraker ordentlich registriert und gerade auf dem Weg zu einer Unterkunft in Südserbien waren. Im Innenministerium wollte keiner wissen, wer die Polizisten waren und nach wessen Befehl sie handelten. Eine Untersuchung blieb ergebnislos.
Die serbische Regierung gebe wieder den braven Musterschüler, meint Đurović. Als die Deutsche Grenze offen war, hat man in Belgrad Großzügigkeit geübt. Der serbische Premier kritisierte sogar seinen "un-europäischen" ungarischen Kollegen Orban, der gerade an einem Grenzzaun baut. Offenbar gelten jetzt in ganz Europa andere Regeln, und Serbien passt sich fleißig an. "Unsere Regierung stellt 6.000 Betten in Unterkünften bereit, und kein einziges mehr. Es wird oft wiederholt, dass man kein Sammelbecken Europas für Migranten sein möchte. Aber wenn man nicht genug Kapazitäten hat, dann verliert man die Kontrolle und das ist schlecht – für Flüchtlinge und für Einheimische."
Helfer aus der Schweiz
Plötzlich entsteht wieder etwas Bewegung vor der Halle. Alle sammeln sich um einen Mann, der anscheinend Wichtiges zu erzählen hat. "Ich musste weinen, als ich das hier gesehen habe", sagt Lukas Siegfried und zeigt auf die Lagerhalle. "Es hat mich zurück ins 19. Jahrhundert versetzt. Es sind Verhältnisse, die wir mitten in Europa nicht erlauben können." Vor elf Jahren gründete der agile Mann aus Basel die Organisation 'Elim Open Doors', die sich in um die berufliche Integration der Flüchtlinge in der Schweiz kümmert. "Es muss mehr geschehen", stellt Siegfried fest. "Man muss die Gleichgültigen mobilisieren, diejenigen, die diese schlimmen Szenen im Fernsehen sehen, aber einfach weiter unbeweglich auf ihrem Sofa sitzen bleiben."
Die leeren DIN-A4-Blätter, die er verteilt, machen die Runde – die Flüchtlinge sollen sich mit Namen und Handynummer eintragen. Dazu erklärt Lukas Siegfried: "Die Schweiz hat vor ein paar Jahren ein Kontingent von etwa 3.000 syrischen Flüchtlingen aufgenommen, die im juristischen Sinne als besonders gefährdet galten. Diese Menschen hier sind aber auch gefährdet, und ich möchte diese Liste der Schweizer Regierung vorlegen." Seine Mitmenschen oder sogar seinen Staat zu bewegen die Situation schnell zu verbessern, erscheint vor der Kulisse der Lagerhalle in Belgrad beinahe sehr optimistisch.
Abbas Khan in der Lagerhalle, dem 'kleinen Paschawar', teilt aber diesen Optimismus. Er hofft, irgendwann nach Frankreich zu gelangen. Für diesen Abend sind seine Pläne gar nicht so anspruchsvoll – nach mehreren Tagen möchte er einfach nur lecker essen. Ein Freund hackt schon die Tomaten und Zwiebel klein. "Der ist wie unsere Oma, die für uns kocht", sagt Abbas Khan, der Witzbold der Gruppe. "Dann kommt Kalbsleber rein. Mensch, das schmeckt gut!"