Senzow warnt EU vor Putin
26. November 2019Mit einem Jahr Verspätung konnte der ukrainische Filmemacher und Aktivist, Oleg Senzow, seinen Preis endlich persönlich in Straßburg entgegennehmen. Bereits im Oktober 2018 hatte das Europäische Parlament Senzow den Menschenrechtspreis, benannt nach dem sowjetischen Dissidenten Andrej Sacharow, zuerkannt. Oleg Senzow sagte in einer kurzen frei gehaltenen Rede im Plenarsaal des Parlaments, er nehme den Preis im Namen aller Ukrainer an, die immer noch in russischen Gefängnissen sitzen müssten.
Er forderte die Abgeordneten auf, dem russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht über den Weg zu trauen. "Mit Putin wird es keinen Frieden in der Ost-Ukraine geben", sagte Senzow in einem Interview mit der Deutschen Welle in Straßburg.
"Er braucht den Konflikt im Donbass, um die Ukraine niederzuhalten. Es geht um die Auseinandersetzung zwischen zwei Welten. Russland ist immer noch in der alten Sowjetunion gefangen. In der Ukraine gibt es eine neue Welt. Es ist der Kampf zwischen zwei Mentalitäten, aber nicht zwischen den Völkern."
Der ukrainische Aktivist, der nach fünf Jahren im September 2019 aus russischer Haft frei kam, setzt auf ein Russland ohne Putin. In Russland sei alles auf den Präsidenten ausgerichtet. "Wenn er einmal zurücktritt oder stirbt, dann wird das System zusammenbrechen. Dann wird es möglich sein, auch das Problem der Ukraine zu lösen", sagte Senzow der DW. Seiner Ansicht nach sei der russische Präsident ein Kriegsverbrecher und gehöre vor ein internationales Tribunal.
Senzow überstand Hungerstreik
"Vor einen Jahr war hier nur ein leerer Stuhl als Zeichen für ihren Kampf für Demokratie", sagte der Präsident des EU-Parlaments, David Sassoli, bevor er Oleg Senzow die Ehrung überreichte. "Sie sind ihren Prinzipien treu geblieben und haben einen hohen Preis dafür gezahlt. Niemand sollte einen Preis für seine Freiheit zahlen müssen."
Oleg Senzow hatte sich im politischen Widerstand gegen die Annexion der ukrainischen Krim-Halbinsel durch Russland engagiert. 2014 wurde er auf der Krim verhaftet und nach Russland verschleppt. Ein Jahr später wurde er von einem russischen Gericht zu 20 Jahren Haft verurteilt, weil er angeblich terroristische Anschläge geplant haben soll.
Senzow bestritt alle Vorwürfe und trat 2018 in einen Hungerstreik, den er fast fünf Monate durchhielt. International forderten zahlreiche Verbände, die EU, Parlamente und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine bessere Versorgung Senzows oder seine Freilassung.
Erst im September 2019 kam Senzow schließlich im Austausch gegen russische Gefangene aus der Ukraine frei. In Zukunft will er sich als Aktivist für Reformen in der Ukraine, eine Rückgabe der Krimhalbinsel und ein Ende des Bürgerkrieges mit pro-russischen Rebellen in der Ost-Ukraine einsetzen.
Scharfe Kritik an Putin
In seiner Dankesrede vor den Parlamentariern warnte Oleg Senzow davor, sich mit dem russischen Präsidenten auf einen Handel einzulassen."Wenn Sie Putin die Hand reichen, denken Sie an die vielen Toten in Ukraine, an die Kameraden, die noch im Gefängnis sitzen und die Kinder, die in Tarnanzügen stecken."
Seine Forderung, der Ukraine ihre Atomwaffen wieder zurückzugeben, relativierte Senzow im Interview mit der DW. Es sei ihm nur darum gegangen klar zu machen, dass die Ukraine auf vieles verzichtet habe, um ihre Unabhängigkeit zu erlangen.
Bei Auflösung der Sowjetunion waren die Atomwaffen von ukrainischem Boden nach Russland verlegt worden. Der ehemalige Filmemacher räumte ein, dass in der Ukraine die alten Strukturen noch nicht überwunden seien und das Land immer noch große interne Probleme habe. Die Zukunft sieht er aber ganz klar in einer Partnerschaft mit der EU. "Wir haben keine Alternative", sagte Senzow der DW. "Die Ukraine ist heute das pro-europäischste Land überhaupt."
Der Sacharow-Preis für geistige Freiheit für dieses Jahr wird im Dezember an Ilham Thoti, einen Sprecher der uigurischen Minderheit in China verliehen. Allerdings wird auch Thoti den Preis nicht persönlich in Empfang nehmen können. Er wurde von einem chinesischen Gericht 2014 zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Europäische Parlament fordere seine Freilassung, sagte Parlamentspräsident Sassoli. 2019 wird also wieder ein leerer Stuhl im Plenarsaal stehen.